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Bernoulli, Johann Jacob
Römische Ikonographie (Band 2,1): Die Bildnisse der römischen Kaiser: Das julisch-claudische Kaiserhaus — Berlin, 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.663#0311
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298 Auf die Familie des Auguatus bez. Denkmäler.

mit dem Weggange des Tiberius nach Capri, völlig aufhörte. Nach-
dem einmal Tiberius den Schleier fallen Hess, der über dem Zerwürfnis
lag, wird er seiner Mutter schwerlich mehr die Ehre gegönnt haben,
öffentlich als Mitherrscherin neben ihm dargestellt zu werden. Mög-
lich, dass die ganze,Bestellung von Livia ausgieng (Wieseler), welche
der Eifersucht ihres Sohnes dadurch zuvorkam, dass sie seine Person
in den Mittelpunkt, die ihrige an die zweite Stelle setzte. Doch
konnte Tiberius in den nächsten Jahren nach Germanicus Tod wohl
auch selber den Auftrag zu einem Kunstwerk gegeben haben, in
welchem die Mitherrschaft Livia's in so discreter Weise angedeutet war.

Ueberhaupt je früher innerhalb des genannten Zeitraums (19—26)
wir die Entstehung setzen, desto besser scheint sie motiviert zu
sein. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass das Werk unter dem
unmittelbaren Eindruck der zu Grunde liegenden Ereignisse ge-
macht worden, als erst nachdem Jahre darüber hingegangen. Und
wenn, wie vielleicht mit Recht vermutet worden ist (Wieseler),' das
Schuldbewusstsein der Herrscher gegenüber Germanicus zu dieser
nachträglichen Verherrlichung desselben mitwirkte, so hat dies nur
einen Sinn für die nächste Zeit nach seinem Tode, wo es galt, die
Ungunst der öffentlichen Meinung abzulenken oderzu mildern. Denn
sehr lange dauerte dieses Schuldbewusstsein nicht, wie man aus den
bald darauf beginnenden Feindseligkeiten gegen Agrippina und ihre
Kinder sieht. Es wäre widersinnig gewesen, das Andenken des Ger-
manicus zu feiern, als man bereits darauf ausgieng, seine Wittwe zu
demütigen und unschädlich zu machen. Vollends wird man auf eine
frühe Zeit hingewiesen, wenn man annimmt, dass Agrippina auf dem
Bilde mit dargestellt sei. Wir dürfen dies allerdings nicht als aus-
gemacht betrachten; wohl aber ist es für uns ausgemacht, dass
unter den sitzenden Frauengestalten keine Schicksalsgöttinen ver-
standen sind (rechts Nemesis als Andeutung des Todes des jüngeren
Drusus. Wieseler), wodurch wir genötigt würden, die Entstehung über
das Jahr 23 hinauszurücken.

Aus allen diesen Gründen — Notwendigkeit eines äusserlich noch
guten Verhältnisses zwischen Tiberius und Livia, eines noch frischen
Andenkens der Thaten des Germanicus, Wahrscheinlichkeit eines
nachwirkenden Schuldbewusstseins der Herrscher — möchten wir den
mutmasslichen Zeitpunkt der Verfertigung unmittelbar nach dem
Jahre 19 setzen.

Von den beiden Copieen ist der Pariser Cameo, wie man aus
seiner Kostbarkeit und aus der Darstellung der julischen Ahnen
schliessen muss, speciell für das Kaiserhaus gearbeitet worden, ent-
weder ebenfalls im Auftrage des Tiberius, resp. der Livia, oder aber
 
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