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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 1.1866

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Heft 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.49709#0169
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Das Buch für Alle.

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Doctor Fämmlein's Herraths-Geschichte.
Humoreske von Ar. "Meli.


Bei

Städtchens, war ein sehr humaner und c ?
i geselliger Herr. Sein gastfreies Haus
s galt für gewöhnlich als Sammelplatz
der ganzen „Honoratiorenschaft." — Die Seele
der kleinen und gemüthlichen Cirkel, bei denen die
Frau Justizräthin auf die liebenswürdigste Weise
die Honneurs machte, war säst immer der Doxtor
Lämmlein, der sich mehr und mehr als ein ge-
wandter und unterhaltender Gesellschafter zeigte,
den Damen, Frauen sowohl als Fräuleins, hatte der
junge hübsche, »ermögliche und galante, und überdieß noch
unverheirathete Doctor bald einen großen Stein im Brett.
In besonderer Gunst und Gnade aber stand er bei der
Frau Justizräthin, einer schon älteren Dame, die ewig an
den Nerven litt und daher täglicher ärztlicher Konsulta-
tionen bedurfte, welche der Amtsphysikus bisher etwas zu
soldatisch abgemacht hatte. Doctor Lämmlein dagegen be-
handelte das Leiden der gnädigen Frau ganz anders und
glücklicher Weise mit so gutem Erfolge, daß die erfreute
Patientin den geschickten Arzt nicht genug rühmen konnte.

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n einem kleinen Städtchen, hart -
am Fuße der schwäbischen, soge-
nannten rauhen Alb, hatte sich
ü zu Anfang der vierziger Jahre der
f ! Doctor Lämmlein als praktiziren-
der, oder, wie man dort sagte,
' r „praktischer" Arzt niedergelassen.
Seine Examina, die ihn zur Ausübung der
edlen Heilkunst berechtigten, waren glücklich überstanden, und
es handelte sich jetzt' nur noch um eine recht schöne Praxis.
Damit schien es aber keine Eile zu haben. Denn bis
jetzt war seine Kunst nur wenig begehrt worden, obgleich
man ihm nicht nachsagen konnte, irgend einen seiner Pa-
tienten zum lebenslänglichen Krüppel kurirt oder gar durch
gewagte Versuche zu srühzeitig ins Jenseits befördert zu
haben. Auch hatte er noch keinen Todten erweckt oder
sonst eine Aufsehen erregende Parforcekur gemacht, die
ihm eine plötzliche Berühmtheit hätte verschaffen können.
Der Grund hiervon mochte, wohl eher in dem Umstande

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zu suchen sein, daß ^och ein Arzt im Städtchen war, der
alte Amtsphysikus, ein früherer Militärarzt aus den letzten
Feldzügen, welcher, obgleich er seine Patienten mitunter
für Konskribirte und Blessirte ansah, immer noch einer

Man wunderte sich höchlich, und fand es ganz außeror-
dentlich, daß ein „noch so junger Doctor" schon so ge-
schickt sei. Weil es aber die Frau Justizräthin bau,
tete, so mußte es wahr sein. Auf nicht minder freundli-

ausgedehnten Praxis sich erfreute. Im Uebrigen hatten
die Leute der dortigen Gegend fast insgesammt die üble
Gewohnheit, vor lauter Gesundheit nur selten und dann

chem Fuße stand der Doctor auch mit dem Justizrath.
Dieser war ein leidenschaftlicher Liebhaber der Botanik.
Diese war sein Steckenpferd, das er bei jeder Gelegenheit

obendrein nicht einmal langwierig krank zu werden, oder
gar ohne Arzt zu sterben. Dem angehenden Doctor fehlte
cs daher keineswegs an Zeit, bis auf Weiteres sich das
Leben möglichst angenehm zu machen. Seine Mittel er-
laubten ihm das. Denn ein ansehnliches, von einer Tante
erst kürzlich ererbtes Kapital setzte ihn in den Stand, für
die Ansprüche und Bedürfnisse eines Landstädtchens recht
anständig, auch ohne ärztliche Praxis, zu leben. Er amü-
sirte sich daher so gut als möglich, wozu es an Gelegen-
heit auch nicht fehlte. Mit den jüngeren Beamten war
er bald bekannt geworden. Einige davon, der Polizeiak-
tuar und der Forstassistent, waren ohnedieß von der Uni-
versität her alte Freunde von ihm, und diese versäumten
nicht, ihn in ihren Kreisen einzuführen, in denen er auch
die freundlichste und zuvorkommendste Aufnahme fand.
Der Justizrath, als Bezirksrichter und Ritter des Ver-
dienstordens der höchste und angesehenste Beamte des

seinen Bekannten in allen Gangarten vorritt, wobei beson-
ders sein Herbarium eine hervorragende Rolle spielte. Es
freute ihn höchlich, als der Doctor sich erbat, dieses Her-
barium, das mit dem neuesten Stand der Wissenschaft
nicht recht im Einklang war, nach dem anerkannt besten
System zu ordnen, und damit schon nach einigen Tagen"
den Anfang machte. Von nun an galt der grundgelehrte
Doctor Alles bei dem Justizrath. Die Frau Justizräthin
aber spielte an den langen Winterabenden mit Niemand
so gerne Schach, als mit dem Doctor Lämmlein, der ga-
lant genug war, so oft als möglich die Partie zu verlie-
ren. Der Doctor erfreute sich somit im Ganzen als Arzt
und Mensch einer recht angenehmen Existenz.
Seine freie Zeit benützte Doctor Lämmlein anfangs
wirklich gewissenhaft zur Fortsetzung seiner Fachstudien. In
letzterer Zeit aber waren diese Studien etwas in den Hin-
tergrund geschoben worden, nicht weil er sich etwa plötz-

Bllch für Alle. 1806. VI.

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