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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 1.1866

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Heft 8
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Das Buch für Alle.

225


1.
an nannte sie Adelma.
Sie war für ihre dreizehn
: Jahre ungewöhnlich ent-
wickelt und ihre goldenen
Locken, ihre kleinen feinen
Lippen und ihre von Le-
benslust funkelnden tief-
l chlauen Augen mandelför-
migen Schnitts, vielleicht,
^wer weiß, auch die Aus-
j sichten der einzigen Toch-
ter, hatten bereits ange-
e ! fangen, das lebhafteste Jn-
o-tereffe eines jungen Man-
nes zu erregen und seine nüchterne Natur in einige Erre-
gung zu bringen. Und das war von dem Augenblick an
geschehen, wo sie zu ihm gesagt hatte: „Hör' mal. Du
bist noch viel, viel häßlicher wie unser Mobb." Und
Mobb war doch ein Hund, eigentlich ein sehr gemeiner
Köter mit gestutzten Ohren, schmutzigem Fell und triefen-
den Augen, der nur der sonderbaren Vorliebe, die
Adelma's Vater für ihn hegte, es verdankte, daß nicht
längst sein armseliges Gebein der Mutter Erde zurückge-
geben worden. Und ganz dieselbe Vorliebe des Vater
Fels, des Apothekers, schützte gegen Frau und Töchterchen
den Provisor Schallhorn, der noch häßlicher sein sollte,
als Mobb. Der Schutz hatte gute Gründe: Mobb war
ein Erbstück aus der Verlassenschaft einer alten, wunder-
lichen, aber reichen Tante, deren Geld nur durch Mobbs
Vermittlung, wie Fels behauptete, an den Neffen gelangt
sein konnte — und der Provisor war in der Apotheke eine
so zuverläßige Person, daß der Besitzer derselben Tage
lang mit Seelenruhe seinen Wirthshauspassionen nachgehen
konnte. Tas waren gewiß achtungs- und schätzenswerthe
Verdienste, die Weiber und Kinder nicht zu würdigen ver-
stehen. Weiber und Kinder! Mit diesem Ausdruck und
einem herablassenden Lächeln bezeichnete der meist kurz an-
gebundene Mann alles Urtheilslose und Unzurechnungs-
fähige. Die Regelmäßigkeit und der Eifer in Anwendung
dieser Redensart hatte freilich einen Haken, der keineswegs
aus seiner geistigen Ueberlegenheit stammte. Es verbarg
sich dahinter vielmehr der Aerger, daß diese Ueberlegenheit
Sache seiner Frau war, welche, als Tochter eines Land-

pfarrers zur Gouvernanlenlaufbahn bestimmt, eine Bildung
genoffen hatte, gegen welche die seine nicht aufkommen
konnte. Frau Albertinens Feingefühl ließ zwar die Gel-
tendmachung ihrer inneren Mittel selten zu und gewiß
nur, wenn das Wohl des Hauswesens oder die erziehende
Leitung ihres einzigen Kindes dies durchaus erheischte.
Und auch dann empfand sie jedesmal einen stechenden
Schmerz, allen Frauen im Stillen gemeinsam, deren Männer
die Stellung nicht einzunehmen vermögen, auf welcher jedes
wahre eheliche Glück nun einmal beruht. Eigentlich un-
glücklich erschien das Verhältniß der Gatten einem ferner
stehenden Dritten freilich niemals. Sie war sanft, wo er
schroff war, und so schweigsam und kurz seine Art des
Umgangs mit ihr sich herausgebildet — die ihre übertraf
ihn auch in dieser Hinsicht. Ohne Adelma, das ruhe- und
rastlose Kind, wäre die Stille des Hauses eine drückende
gewesen. Die Wohnzimmer erfreuten sich selten und dann
nur auf kurze Augenblicke der Gegenwart des Hausherrn;
war er nicht auswärts, dann saß er gewiß in dem kleinen
Gemach neben der Apotheke, seine und Schallhorn's Do-
mäne, in welche Frau Albertine seit dem Einzug des
„dürren Daniel," wie der Gehülfe bei den Dienstboten des
Hauses und der Nachbarschaft allgemein hieß, nie mehr
einen Fuß gesetzt hatte. Sie empfand eine unbezwingliche
Abneigung gegen diesen Menschen, dessen schielender Blick,
dessen widerwärtig - grinsende Unterthänigkeit, verbunden
mit einem gefährlichen Talent, die schwachen Seiten An-
derer zu erspähen, ihr eine Beängstigung erregte, über
deren tiefere Ursache sie sich keine Rechenschaft zu geben
wußte.
An dem Tage, an welchem unsere Geschichte beginnt,
saß Karl Fels, seine Morgenpfeife rauchend, an seinem ge-
wohnten Platz im Lehnstuhl des „Provisoriums," des
Stübchens, von dem vorhin die Rede. Vor ihm stand,
was bei ihm den Morgenkaffee vertrat: Wurst, Brod und
eine große Flasche Rum; sein geröthetes Gesicht zeigte, daß
sie bereits ihre Dienste zum größeren Theil gethan haben
mußte. Der dürre Daniel, für den immer ein Gläschen
abzufallen pflegte, expedirte ein Rezept in der Apotheke,
und durch die nur angelehnte Thüre nahmen Töne einer
schwachen mit dem Weinen kämpfenden Knabenstimme die
Aufmerksamkeit des Hausherrn in Anspruch.
Wer heulte denn da, Schallhorn? fragte er den wieder
eintretenden Gehülsen.

VM
Hugo Aelbermann.

Buch für Alle. 1S«0. VIII.

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