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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 1.1866

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.49709#0233
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226

Das Buch für Alle.

Es war Geheimraths Julius, sagte der dürre Daniel;
seine Mutter hat einen Rückfall bekommen und scheint,
nach dem Rezept des Doctors zu schließen, der Welt Valet
sagen zu müssen.
Eine letzte Wegzehrung also; eins von den famosen
Pülverchen, die schmerzlos hinüberschaffen, he?
Ein rohes Lachen war die Antwort und Fels sagte
in würdigem Anschluß an dasselbe: Und der Tertianer
heult bereits, als wenn er nicht nur seinen Cicero, sondern
sogar Doctorlatein verständet
Er wird es gerochen haben, meinte der Provisor
trocken.
Ja, hob Fels wieder an, eine feine Nase hat er, er
wittert ja schon hinter unserm Adelmchen eine künftige
noble Passion, wozu ihn seine feinen Manieren, wie meine
Frau sagen würde, natürlich berechtigen. In fünf, sechs
Jahren kann man's erleben, aber das Porzellanbürschchen
wird sich wundern über die feine Manier, mit der ihm
der grobe Fels einmal die Thüre weisen wird. Daraus
wird nichts, Herr Julius von Achner! Dein „von" besticht
keinen Deutschen.
Aber vielleicht eine Deutsche, näselte mit unzweideuti-
gem Blick der dürre Daniel.
Braucht's gar nicht mehr; schon geschehen, mein Bester;
aber man ist auch noch da.
Der Provisor näherte sich dem Ohr seines Prinzeps
und dämpfte seine Stimme zum Flüstern: Fünf, sechs
Jahre sind eine lange Zeit und der Mensch ist wie des
Grases Blume, warnt die Schrift.
Fels zuckte zusammen. Dann zeigte er aus die Flasche:
He?
Freilich, sagte Daniel und zog die rechte Schulter in
die Höhe, wie er immer zu thun pflegte, wenn's ihm
dringlich war.
Mag sein, daß der Doctor Recht kriegt; aber es geht
unmöglich. Die droben werden ein Einsehen haben. Man
lebt nur einmal, lieber Junge.
Eben deßwegen! sagte der liebe Junge und zog die
Schulter noch höher hinauf.
Es wär' aber jammerschade, es wär' wahrhaftig ein
Bubenstreich von der Fürsehung! Mein Mädel gibt ein-
mal ein kapitales Weib, lebenslustig, schön und drall und
ein bischen stark verliebt, wie ich die Frauen mag; nicht
so eine feierliche Genovefa, wie meine Alte. Möcht's er-
leben, daß ihr Beiden ein Paar würdet.
Der Dürre krümmte den Rücken: Zu viel Ehre, Herr
Fels!
Dummes Zeug, Schallhorn; Ehre hin, Ehre her. Sie
sind ein Pillendreher, wie er sein soll, und das Mädel
bleibt mir im Geschäft. In fünf Jahren ist sie achtzehn
und Sie?
Achtunddreißig, leider Gottes.
Schön; das klappt ja vortrefflich. Zwanzig Jahr älter
zu sein, als ein heirathsfähiges Frauenzimmer, sehen
Sie, das nenne ich des Bräutigams verfluchte Schuldigkeit.
Sonst barbiert ihn hernach sein Gesponst alle Tage drei-
mal über den Löffel. In dem Punkt stecken sie uns alle
gern in den Sack.
Mich nicht, Herr Fels!
Na, lassen wir's ruhen; hinterher findet fich's. Hab'
auch ein groß Maul gehabt meiner Zeit. Freilich, solch'
ein Schlaumeyer wie der dürre Daniel ist der grobe Fels
nie gewesen. Ha, ha, ha!
Zu viel Ehre, Herr Fels!

Fels lachte. Also: das Mädel bleibt im Geschäft —
verstanden?
Verstanden! nickte Daniel. Aber wenn Sie — vor-
der Zeit heraus müssen? he?
Nun ja! Der Herr reichte seinem Diener die Hand.
Es ist wahr, sagte er seufzend, ein Kind ist ein Kind und
fünf Jahre kriechen langsam in solchem Fall. Wollen's
schriftlich abmachen für Leben und Sterben.
Daniels Augen funkelten, aber er schwieg.
Es ist immerhin besser so. Sie soll's wenigstens
wissen, was der Alte im Sinn gehabt, und der Segen
des Vaters, sagt die Verheißung, baut den Kindern
Häuser.
Hält die Kinder im Hause! muß es diesmal heißen,
schmunzelte der Eidam in spo.
Auch gut. Das vereinfacht die Mühe des Himmels.
Also schriftlich? flüsterte Daniel.
Gewiß.
Wann?
Morgen!
Da kam Adelma hereingesprungen: Papa, morgen kriege
ich eine neue Puppe von Mama mit lebendigen Augen.
Papa, schenkst Du mir auch eine? aber keine häßliche, nicht
wahr?
Nein, eine schöne; aber diesmal kriegt sie unser Herr
Schallhorn.
2.
Mobb, der Ehrenpensionär des Fels'schen Hauses, lag
auf der Strohmatte vor dem „besten Zimmer" und schlief
den Schlaf eines noch unerwachten Gewissens. Frau Al-
bertine wäre beinahe über das Thier gestolpert. Im er-
sten Aerger gedachte sie ihm eine Lektion zu geben und
feinem etwas schwachen hündischen Bewußtsein einzuprägcn,
daß man als Köter nicht vor dem besten Zimmer zu lie-
gen habe, aber schon war der Gefährdete mit einem in-
stinktmäßigen Satz dem Bereich ihres Fußes entronnen.
Mobb und Daniel! sagte sie, ihrer Aufwallung sich schämend
— was ist's nur mit diesen unerklärlichen Antipathieen?
Sie öffnete die Thüre, blieb erschrocken auf der Schwelle
stehen und trat dann zurück. Sic mußte sich einen Augen-
blick sammeln. Es war nun zum drittenmal, daß sie ihre
Adelma vor dem großen Spiegel hockend antraf. Sie
hatte es zweimal nicht bemerken wollen, diesmal war, das
fühlte sie, ein Jgnoriren unklug. Ob das Kind erröthen
würde?
Sie ging hinein und blickte die Tochter, die jetzt auf
einem Stuhl am Fenster saß, scharf an. Richtig; das Be-
wußtsein der Eitelkeit war vorhanden. Ob sie ausweichen
würde?
Adelma, was thatest Du?
Ich besah mich im Spiegel, Mama.
Warum denn, mein Kind? Sie frug so" ruhig, aber
ihr Herz klopfte heftig.
Nein, Gott sei Dank, sie wich nicht aus: Weil ich
schön bin, Mama.
Frau Albertine athmete auf, als fiele ihr eine Last
von der Seele. Wer sagt, daß Du schön seiest?
O Mama, wenn ich zu Herrn Schallhorn sage, er sei
noch viel häßlicher als Mobb, dann sagt er immer, ich sei
noch viel, viel schöner, als meine Mama.
Also daher hatte sie's. Kind, Du mußt so etwas nie
wieder zu Herrn Schallhorn sagen. Was sähest Du im
Spiegel?
 
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