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Moderne Freibeuter.

Aoman

seinen Taktstock in der Hand hielt, wirbelte sie auch
als die unermüdlichste aller Tänzerinnen in dem bun-
ten Reigen dahin. Nie in ihrem Leben hatte sie sich
so köstlich ainüsirt, wie gerade heute. Ihr Blut war
erregt, und in ihren Nerven prickelte es, wie unter der
Wirkung eines Champagnerrausches. Wenn es augen-
blicklich noch einen Wunsch für sie gab, so war es einzig
der, das; dieser Taumel des Vergnügens niemals ein
Ende nehmen möge.
Bruno Meinardi war nun schon viermal ihr Tänzer-
gewesen, und sie hatte die unbeschreibliche Wonne, die
für sie von jeher in diesem rhythmischen Drehen und
Wiegen lag, mit verdoppelter Süßigkeit empfunden,
wenn sein Arm sie umschlang. Es war noch nicht viel
zwischen ihnen gesprochen worden, und die wenigen Worte,
die sie miteinander getauscht, hätten keines Menschen
Ehr zu scheuen brauchen. Aber jedesmal, wenn die
dunklen, schwermüthig verschleierten Augen des jungen
Bildhauers die ihrigen suchten, stieg ihr das Blut heißer
in's Gesicht, uud ihr Herz klopfte in rascheren Schlägen.

Nun gab es die erste größere Pause, und die Paare
promenirten im Saal, wie in den anstoßenden Räumen,
um sich von den Anstrengungen des Vergnügens zu
erholen. Es war im Gründe nur eiu Zufall, daß
Bruno Meinardi Gelegenheit gefunden hatte, Hertha
früher als irgend ein Anderer seinen Arm zu bieten,
sie aber hatte diesen Zufall wie etwas Erwartetes und
Erwünschtes hingenommen, und es machte ihr offenbar
sehr wenig Sorge, ob mißgünstige Beobachter ihr Ver-
halten etwa als eine auffällige und unschickliche Bevor-
zugung des Künstlers deuten konnten.
Zum ersten Male kam jetzt auch ein ordentliches
Gespräch zwischen ihnen zu Stande, und Hertha war
es, die dem Ballgeplauder von vornherein einen für
Bruno Meinardi sehr schmeichelhaften Inhalt gab.
„Wissen Sie auch, daß man seit gestern überall
von Ihnen spricht?" fragte sie. „Der schöne Aufsatz
in der ,Tagespresse' hat Sie mit einem Schlage be-
rühmt gemacht, und ich glaube, Sie haben jetzt eine
große Zahl von Bewunderern selbst unter denen, die
noch keines Ihrer Werke gesehen haben."
„Das wäre ein Erfolg, den ich wahr-
lich nicht erstrebt habe. Ich brauche Ihnen
wohl kaum zu versichern, gnädige Frau,
daß die Veröffentlichung des Artikels ohne
mein Vornüssen erfolgt ist, und daß. ich,
wenn man mich befragt hätte, niemals
meine Einwilligung dazu gegeben haben
würde."
„Aber was der Verfasser von Ihrer
Kindheit und von Ihren Jünglingsjahren
erzählt, ist doch die Wahrheit?"
„Die volle Wahrheit, allerdings! In-
soweit wenigstens, als ein Anderer über-
haupt im Stande ist, die grausame Härte
solcher Kämpfe zu begreifen uud zu schil-
dern. Wenn ich selber einmal daran den-
ken wollte, meine Lebensgeschichte nieder-
zuschreiben, so würden die Farben des
Bildes wahrscheinlich noch etwas lebhafter
werden."
Seine Stimme bebte ein wenig bei
diesen letzten Worten, und als Hertha nun
noch eine Menge von Fragen an ihn rich-
tete, die sich auf seine Vergangenheit und
auf seine künstlerische Entwickelung bezogen,
antwortete er ihr mit einein so melancho-
lischen Tonfall, als würden durch die bloße
Erinnerung an jene hinter ihm liegenden
Mühseligkeiten die bittersten und weh-
müthigsten Gefühle in ihm geweckt. Aber
er wurde sofort feurig und beredt, als
er aus die Gegenwart und auf seine schöpfe-
rischen Pläne für die Zukunft zu sprechen
kam. Bewundernd lauschte Hertha der
Schilderung, die ihr seine kühnen und ge-
waltigen Entwürfe in großen Zügen klar-
legen sollte. Sie fühlte den Hauch des
Genies, und wie eine Empfindung scheuer
Ehrfurcht ging es durch ihre Seele.
„Wie herrlich muß es sein, so zu
schaffen!" sagte sie leise. „Wie beneide
ich Sie um Ihr schönes Vorrecht, sich

Lothar Brenkrndorf.

(Forschung.)
ielleicht thust Du Deinem Manne doch
Unrecht, Hertha!" entgegnete ihr Vater.
„Soviel ich weiß, hindert er Dich sonst
nicht, Deinen Zerstreuungen nachzugehen.
Er könnte ja möglicherweise diesmal wirk-
lich einen triftigen Grund haben, nicht
zu kommeu."
Trotzig warf sie den Kopf zurück. „So
hätte er mir diesen Grund nennen sollen. Wenn er-
es nicht für nöthig hält, mich über seine
Angelegenheiten zu unterrichten, darf er-
sieh auch nicht darüber beklagen, daß sie
mir gleichgiltig sind. Ob er rum kommt
oder nicht, ich werde jedenfalls bleiben."
„Aber, Kind, eine verheirathete Frau,
die ohne ihren Gatten arr einem Ball theil-
nimmt, fordert das Gerede der Leute ge-
radezu heraus."
„Was kümmern mich die Leute und
ihr Gerede! Ueberdies bist Du ja hier!
Ihr werdet mich nachher in eurem Wagen
mitnehmen und vor" meiner Wohnung ab-
setzen. Wer sollte es dann noch wagen,
sich darüber aufzuhalten."
„Und fürchtest Du nicht, daß Richard —"
Aber sie fiel ihm beinahe unartig in
die Rede: „Vor meinem Manne werde
ich mich schon zu rechtfertigen wissen, wenn
es überhaupt einer Rechtfertigung bedarf.
Und nun bitte ich Dich von Herzen, laß
uns nicht weiter darüber reden. Ich war
eben noch so glücklich! Willst Du mir den
schönen Abend völlig verderben?"
Und Julius Löwengaard erwies sich
auch diesmal als ein nachgiebiger, zärt-
licher Vater, wie er es seinen Töchtern
gegenüber noch immer gewesen war. Er
erhob keine Einwendungen mehr, sondern
er bot der jungen Frau selbst den Arm,
nur sie in den benachbarten Erfrischungs-
raum zu geleiten.

Acktes Kcrpitek.
Wie es nach ihrem großen Erfolg nur
selbstverständlich war, blieb Hertha Sieve-
king die vielumworbene Königin des Festes.
Von ihr die Bewilligung eines Tanzes
zu erlangen, galt offenbar als die höchste
Auszeichnung, deren ein männliches Wesen
an diesem Abend überhaupt theilhaftig wer-
den konnte, und so lange der Kapellmeister

Desiderius Krhr. v. Aansty, der neue ungarische Ministerpräsident. (S. 479)
 
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