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ammer und verſuchte, die Vorbeieilende zu faſſen.
Sie griff in eine Düte, die ſie in einer Wachs-
tuchtaſche trug, und warf dem ſüßlich Schmunzeln-
den eine Prife Salz ins Geſicht. Er pruſtete und
ſpuckte, und ſie verſchwand kichernd in der Küche.

Als Goldammer ſich erholt hatte, öffnete er die
Tür, die ſie hinter ſich zugeſchlagen hatte, und rief
hinein: „Aber du haſt mich ja gar nicht angehört,
was ich eigentlich will.“

Sie hatte ihre Küchenſchürze bereits vorgebunden,
ſtand am Herde und machte Feuer an. Halb ihm
zugewandt, ſagte ſie: „Iſt mir auch höchſt ſchnuppe.“

— au‚ 4 4 4 —
nicht ſo ſperrig. Ich lade dich ein, heute abend
mit mir ins Schauſpielhaus zu gehen, zweiter Rang,
„Romeo und Julia“, 'ne himmliſche Liebesgeſchichte!“

„Laden Sie ſich lieber jemand anders ein.“

„Guten Morgen allerſeits,“ ſagte da eine ſanfte
Männerſtimme.

Der Friſeur ſah ſich um und gewahrte ſeinen
Freund und langjährigen Hausgenoſſen, den Photo-
graphen Emil Liebreich, an ſeiner Seite! Der
ſchlanke Mann mit der gebeugten Haltung und dem

— 10 E

digkeit auch einen gewiſſen Reiz. Tun Sie mir die
einzige Liebe an, Papachen, und gehen Sie mir ſanft
mit dem ſüßen Herzehen um.“

Die beiden waren etwa gleichaltrig, und Emil


könne.
„Meiner Tochter fehlt eben die Mutter,“ ſeufzte er.
Goldammer, gewöhnt an die kriechenden Huldi-
gungen ſeiner Ladenmädchen, Friſeuſen und Haar-
arbeiterinnen, fand ebenſoviel Gefallen an dem her-
ben Weſen der jungen Marie, wie an ihrer friſchen
Schönheit. Sie mar ihm ſchon immer eine beſondere


liege.

Er begann nunmehr mit Liebreich zu überlegen,
ob ſie nicht zuſammen in nächſter Zeit irgend eine
Abendpartie unternehmen könnten. Er wolle Made-
moiſelle Jeanne Duvernier, ſeine Direktriee, mit-
nehmen, dann wäre die Geſellſchaft runder. Lieb-
reich habe ja immer eine Vorliebe für die feine
Franzöſin gehabt.


bewußt. Allein ohne an die Franzöſin zu denken,
hatte er gewichtige Gründe, das Anerbieten abzu-
lehnen. Seine einſiedleriſche
Natur ſcheute jede Art von Ge-

kränklichen Schwärmexgeſichte trug einen kleinen
7 — 7— 7
* +

immer noch Held geſchafft hatte, wenn ſie deffen
füx die beſcheidene Winſchaft brauchte, ſo machte ſie
ſich keine Sorgen. Sie war fröhlich und guter
Dinge, wie es ihrem Alter zukam. —

-

Zweites Kapitel. ;

AVach dem Mittageſſen, als Movie ihre Küch
in Ordnung gebracht und ſich ein bißchen hübſch
gemacht haͤtte, ging ſie zu Onkel San

Der kleine Mann ſaß über ſeine Arbeit gebückt
an dem großen Eichentiſche und war ſo vertieft,
daß er des Mädchens leiſes Eintreten überhörte.
Sie legte ihm von rückwärts die Hände über die
Augen, und er ſagte freudigen Tones: „Das i
unſere Göre!” —

Sie ſchwang ſich auf die Tiſchecke, ihren gewöhn-
lichen Plaß, ſeit er ſie als ſechsjähriges Ding zuerſt
da hinaufgehoben hatte. Sie konnken ſich fo am
beſten anſehen und miteinander plaudern. — ;

Sie zog ihr Strickzeug aus der Taſche, weiche
Wollſocken für den Vater, und ſagte: „Was machſt
du denn da nun wieder?“

„Ich konſtruiere eine landwirtſchaftliche Maſchine.

ſelligkeit. Der Lärm, das Ge-
wühl und der Dunſt in den
Reſtaurants und Muſikhallen
ſtieß ihn ab.

Er verſuchte Ausflüchte,
denn direkt beleidigen wollte
er den freundſchaftlich geſinn-
ten Friſeur nicht. Emil Lieb-
reich war überhaupt nicht der
Mann beſtimmten Vorgehens.

„Es verſteht ſich von ſelbſt,
daß ich Sie freihalte!“ ſagte
Goldammer und klapperte mit
den Schlüſſeln in ſeiner Hoſen-
taſche „Weiß ja, Freundchen,
daß Sie ſich ſolche Extraſpäß-
chen nicht leiſten können.“

„Auch abgeſehen davon,“
murmelte der Photograph, wäh-
rend ſein bleiches Geſicht ſich
vor Beſchämung etwas rötete,
„glaube ich kaum, daß meine
Tochter will; ſie iſt leider etwas
eigenſinnig.“

„Ibre Sache, Verehrteſter,
mit dem Starrköpfchen fertig zu
werden. Erwarte Beſcheid bis
Mittas Ma Da
verließ er das Zimmer.

Liebreich beſchwichtigte den
nachkläffenden Hund, legte ſeine
Arme um das Tierchen und
flüſterte: „Wir beide vertragen
MS Maln — Ca DE
anderen nur laufen, die gehen
uns nichts an.“ Den Hund auf
den Schoß nehmend, ſetzte er


(S. 7)

ſchwarzbraunen Teckel ſorgfältig, als ſei es ein Kind,
auf dem Arme.

Während er des Tieres Köpfchen mit der langen
blaſſen Hand ſtreichelte, fuhr er fort: „Romeo und
Julia habe ich oft geleſen — herrliche Dichtung!
Aber meine Tochter hat leider wenig Sinn für Poeſie.“

„Nehmen Sie doch Papa mit ins Theater, Herr
Goldammer!“

„Nee, Verehrteſte. Und damit du's weißt ein
für allemal, ſüßes Mariechen: ich ziehe Damen-
geſellſchaft vor.“

„Da haben Sie ja Mademoiſelle Jeanne viel
näher.“

„So me Krabhe! wurrte der Friſeur, ſich der
Treppe zuwendend.

„Nehmen Sie es
wertex Freund. Jugend iſt ungeſtüm.
Sie einzutreten?“

Goldammer war ſchon verſöhnt und ging in den
ſogenannten „Salon“ voran, ein mit ſchaͤbiger Ele-
ganz ausgeſtattetes Zimmer, in dem die Beſucher
empfangen wurden ünd von wo man ins Atelier
hinaufſtieg.

‚ Der Photograph ſetzte ſein Hündchen ſorgfaͤltig
in die Ecke des roten Plüſchdiwaͤns, dann ſchob er
dem Gaſt mit der einladenden Handbewegung, mit
der er ſeine Kunden zurechtwies, einen Seſſel hin.

Goldammer aber ſchritt, befriedigtes Schmunzeln
in dem dicken Geſichte, die Hände auf den Rücken
gelegt, hin und her. Dann blieb er vor dem ande-
ren ſtehen und begann: „Eigentlich hat ſolche Sprö-

meiner Tochter nicht übel,
Belieben

ſich an das Fenſter.

Die Glocke zum Aufzug er-
klang ſchrill, und gleich darauf
ſteckte Aſſel ſeinen Kopf ins
Zimmer und ſagte, noch etwas außer Atem von
feiner Arbeit am Fahrſtuhl: „Eine Dame mit zwei
Kindern wünſcht — ich glaube, es iſt die reiche
Meßzgersfrau von der Kronenſtraßenecke.“

Unwirſch fuhr der Photograph auf: „Kann jetzt
nicht. Sollen wiederkommen!“

Aſſel flüſterte ein begütigendes Wort, merkte
aber, daß mit dem Freunde in dieſex Stimmung
wenig anzufangen ſein Er ſchloß daher die Tür
und wußte auch die örgerlich redende Frau zum
Wiederkommen zu bewegen. *

Liebreich empfand immer geringeren Antrieb
zur Arbeit. Innerlich wund, mochte es obenein auch
eine körperliche Erſchlaffung ſein, die nach dem
Tode der Frau, an deren Krajt er ſich gehalten,
über ihn Fekommen war. Um ſein reſolutes Kind
kümmerte er ſich wenig, das konnte ſich ſelber
helfen. Zum Glück hatte die treffliche Mutter bis
zum ſechzehnten Jahre des Mädchens dieſes ſo ernſt


führen im ſtande war.
Marie fühlte mit ihrem Vater, ſie verſtand feine
große Trauer um die Verſtorbene, denn auch ſie
hatte ſich längere Zeit nach dem Tode dieſer beſten
aller Mütter nicht von dem Schlage exholen können.
Allein ihre friſche Jugend, die Notwendigkeit zu
arbeiten, flr die beiden auf ſie angewieſenen Männer
zu ſorgen, halfen ihr, den Schwerz zu übewinden.
Es erſchien ihr bald nötig, Vater und Ontel aur
ihre Berufspflichlen hinzuweiſen, doch das Geſchäft
ging mehr und mehr zurück. Da aber ihr Vater

Regenmeſſer. (S. 7)
nach einer Photographie von Campbell & Gray in London.

Hör mal, Kind, warum biſt du denn ſo eklig gegen
uͤnſeren Haustyrannen? Sr kann uns doch allerlei
antun.“

„Ich kann den dummen Goldammerimmer wentger
leiden! Früher bin ich ja manchmal hinuntergegangen,
habe mit den Fräuteins geſchwatzt und mich mit
Florian hexumgeneckt Jeßt gehe ich allen da unten
aus dem Wege. Onkel Anakol iſt ſo Jüßlich und
überfreundlich und will mich immex anfaſſen daß
ich mich nicht anders retten kann, als daß ich grob
werde. Und je zärtlicher er wird, je kühler und
abweiſender iſt Mademoiſelle Yeanne, mit der ich
doch fonſt ein Herz und eine Seele war.“

Der £keine Mann zuckte mit ſchlauem Lächeln
die Schultern. Was fie arglos hHinnahın, begriff er
vollſtändig. Schade wärx's ja freilich a e
aber ihre Zukunft wurde gefichert fein, und ihr
Vater, fein Tarmer kränklicher Freund der immer
unfähiger wurde, etwas zu verdienen, käme auch in
einen guten Hafen, Anatol Goldammer hatte vor
etwa fechs Jahren, in der letzten Lebeuszeit ſeiner
ewig Fränfehnden, aber ſehr geſchäftskundigen W,
zu deren Unterſtuͤhung eine Divektrice angenommen,
und beſonders deshalb eine Franzöſin gewählt, ım
auf. einem fchön verziexten Reklameſchilde die Worte
„on parle franhais“ in ſein Schaufenſter ſetzen zu
können. ;

Seine Wahl mar zufriedenſtellend 'auägefaflen.
Nach dem Tode der Frau hatte Mademoifelle Jeanne
Duvernier fich mehr und mehr in die Pflichten der
Verſtorbenen eingelebt.
 
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