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Von dort aus kam ihm der Wächter ſchon ent-
gegen. „Sie dürfen doch da gehen?“ rief er.

„Ich darf da gehen.“

„Müſſen Sie auch die Strecke abſuchen?“

Freilich!

„Sind Sie von der Polizei?“

„Gewiß.“

Sie werden auch nichts finden,“ meinte der
andere. „Bis Böhmiſch-Trübau hinauf iſt ſchier
jedes Steinl am Weg umgewendet worden, zum
Fluß ſind's hinuntergeſtiegen und hinter jeden Strauch
haben's geſchaut, ich auch — denn ein Herr aus
Prag hat ja eine Belohnung verſprochen, bare fünf-
hundert Gulden, wenn der Verſchwundene gefunden
wird. Aber das Geld hat ſich noch keiner verdient
und wird ſich auch keiner verdienen. Die Zwittawa
iſt gar groß jetzt, die hat in den letzten vier Wochen
ſchon mehr mitgenommen als einen Menſchenleih.“

Breuner ließ den Redeluſtigen plaudern. Er
lehnte an der Bruſtwehr der Brücke und ſchaute
gedankenvoll auf das jetzt hochangeſchwollene Flüß-

chen nieder, deſſen wildes Waſſer ſchaumbedeckt vor-

— 58 —

wärts drängte, ſich an den Felſen ſtieß, am ihnen
hinaufſtieg, um mit dumpfem Schlage wieder in ſich
ſelber zurückzufallen.

Gerade trieb ein Baumſtamm vorüber, ein
Baumſtamm, der vielleicht geſtern noch feſtgewurzelt
an des Fluſſes Ufer geſtanden. Noch hingen Erd-
knollen zwiſchen ſeinen Wurzeln, und noch ſchaukel-


Wie ein Toller jagte er vorüber hielt emen
Augenblick lang bei den Brückenpfeilern an, tauchte
im Waſſerſchwall unter, ſprang wieder empor und
wurde von der Strömung weitergetragen. Und das war
ein Baum mit weitausladenden Wurzeln und Aſten!

Ein Menſch wäre einfach wie ein Stein, den
man hineingeworfen, in dieſem grimmigen Waſſer-
ſchwall untergegangen und von der Grundſtrömung
weitergeführt worden, vielleicht bis zur March, bis
zur Donau, wenn er nicht etwa in einem Strömungs-
trichter für immer verſchwunden oder von einem
Felſen für immer aufgehalten wurde.

Breuner verſprach ſich nicht viel von ſeinem
heutigen Unternehmen. Der Wächter hatte recht.

Warum ſollte denn gerade er finden, was wohl hun-
dert Leute vor ihm nicht gefunden hatten!

Allerdings — ev hatte gute Augen, mennn eS
galt, etwas zu finden. AWber eine Belohnung von
fünfhundert Gulden ſchärft die Augen aller Leute;
wenn es überhaupt etwas zu ſehen gibt, fieht es
unter ſolchen IUhnftänden bald einer.

Nein, nein, Breuner verſprach ſich nicht viel von
ſeinem heutigen Unternehmen, dennoch fiel e& ihm
nicht ein, es aufzugeben Was ev jetzt wußte, das
hatte er ja auch gewußt, ehe &A von yla Al
gezogen war; dennoch hatte er ebenfalls die Strecke,
auf welcher das Verbrechen geſchehen war, auch
Schritt für Schritt kennen lernen wollen che ex an
dieſer Sache weiter arbeitete.

Er xichtete ſich wieder auf und ſagte gemütlich:
„Ich hilde mir nicht ein, daß ich beſſere Augen
habe als die, welche vor mir geſucht haben, aber ich
kann ja mehr Glück haben. So — und jetzt wollen
wir durch den Tunnel“ -

Wir? Soll ich mugehen 27

„Ja, bis zum nächſten Wächter.“


„Gut. Ich werde nicht müd' werden dapon.“

Der Maͤnn ging in ſein Häuschen und kam mit
einer brennenden Laterne zurück. Gleich danach
nahm der Tunnel die beiden auf. Der Durchſtich
zwiſchen den Wächterhäuſern 116 und 117 ift etwa
hundert Meter lang. Man verliert das Tageslicht
darin gerade nur, um es nach einer kleinen Schwen-
kung wiederzugewinnen. Dennoch genügte Breyner
die Laterne nicht. Er ließ ſeine elektriſche Taſchen-
lampe aufleuchken Aber auch deren ſcharfe Strah-
len ließen ihn nichts Ungewöhnliches ſehen: feuchte
Felſen und ein ſauber gehaltener Schienenweg —
das war alles, was ſeine Augen in dieſem kurzen
Tunnel erblickten.

Als er und ſein Begleiter wieder unter freiem
Himmel ſtanden, ſagte dieſer: „So, da nimmt Sie
mein Nachbar in Empfang. — He, Janda! Da
iſt ein Herr, den ſollſt du begleiten.“

In dem Wächterhäuschen 117 ſaßen die Leute
beim Kaffee, und der Wächter, ein kränklich aus-
ſehender Mann, war nicht ſehr erfreut über die
Störung.

Das war Breuner eben recht. Er war bei ſeinen
Exkurſionen immer am liebſten allein.

„Bleiben Sie nur. Ich brauche keinen Begleiter
mehr,“ rief er dem Manne zu.

Dieſer, wohl wiſſend, daß nur einer, der das
Recht hatte, den Bahnkörper zu begehen, bis hierher
gekommen ſei, ließ ſich nicht lange zum Bleiben nötigen.

Breuner ging alſo allein weiter. Er ließ ſich


Fluß dicht unter dem Bahnkörpex dahinbrauſte, Zeit
zur Unterſuchung der Sttecke Es iſt dies zwiſchen
dem 117. und dem 118. Wächterhauſe faſt überall
der Fall. Breunex brauchte, um dieſen etwa einen
Kilometer langen Weg zurückzulegen, faſt dreiviertel
Stunden.

Nummer 118 wird von dem nächſten Wächter-
hauſe abermals durch einen Tunnel getrennt.

Vor dem Eingang desſelben wurde der Detektip
wieder angehalten, aber er ſchüttelte von jetzt ab
mit ſeiner Amtsmiene und der Vorweiſung ſeines
Erlaubnisſcheines jede Begleitung ab. Auch in dieſem
zweiten Tunnel forſchte er umſonſt nach irgend etwas,
das mit der Tat zuſammenhängen könne und ebenſo
war es bei der gleich dahinter liegenden Brücke.

Wieder waren dreiviertel Stunden vergangen,
als er die erſte, hinter Brünn liegende Station Bi-
lowitz erreichle-

© mar ihm bis jeßt ein Zug entgegen und
einer nachgekommen-

Nun öffnete ſich linksſeitig die Gegend wiedex-
Blaßgrünes Weideland mit Wald und Feld gemiſcht
reichen dort bis an den Bahngrund heran, während


weg die Strecke begleiten.

Einmal kletterte Breuner, ſeinen Hut und Über-
rock unter einem Buſche zurücklaſſend, bis zum
Spiegel des Fluſſes hinunter. Dort hatte ſich etwas
Dunkles in den langen Ruten einer Weide verfangen,

welche zuweilen tief ins Waſſer tauchten, zuweilen
mit dem dunklen Etwas wieder zum Vorſchein kamen.
Es koſtete dem Detektiv viele Mühe, ſich des Gegen-
ſtandes zu bemächtigen. Als er ihn endlich an ſſich
ziehen könnte, hatte er den Reſt eines Frauenrockes
vor ſich. ;

Er ließ ihn wieder ſchwimmen und kletterte zu-
rück ; S
Bald danach hatte er die Gegend des Babitzer
Waldes ereicht Da koͤnnleer K w A
ſchnelleres Tempo geftatten, denn hier wich der Fluß
zweimal weit von der Bahn zurück.

Beim Wächterhauſe 126 betrat er wiedex einen
Tunnel, ein wahres Windloch, wie ihm der Wächter
verſicherte, der ihm noch nachrief, daß ſogleich der
Zug Nunimer 79 kommen werde.

Vielleicht hatte Breuner dies nicht mehr gehört,
jedenfalls ging er, die Lampe vor ſich hinhaltend
Und aufmerffam umherſchauend, ganz langſam durch
den eiſigkalten Erdſchacht.

Plöhlich blieb er ſtehen, horchte noch einen Augen-
blick umd ſprang danı zur Seite. Gr konnte ſich
gerade noch an die Wand drücken, da ſauſte auch
ſchon der Zug vorliber.

Es mar ein mehr als unangenehmer Augenblick
geweſen. *

Am Ausgange dieſes Tunnels kam Breuner wieder
zu einer Bahnbrücke, und jenſeits dieſer tat ſich aber-
mals ein ſchwarzer Schlund auf. Zwiſchen dieſen
beiden Tunnels brauſt fchauerlicher noch als weiter
 
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