mich,“ erzählte der Betrübte mit Tränen m den
Augen. „Auch viel geduldiger, er mochte niemand
lieber um ſich haben als mich. Und einmal ſagte
er ſogar, er habe mir viel abzubitten. Das rührte
mich ordentlich, und ich ſagte: „Schadet nichts,
Phips, daß du mich über die Achſeln angeſehen haſt,
du biſt ja auch viel fixer als ich und haſt es viel
weiter gebracht.“ — „Ja, das habe ich,“ ſagte er,
„'n bißchen dämlich warſt du immer,“ worauf ich
ihm recht geben mußte. Und nun iſt er tot, mein
einziger Bruder, wie gern wollte ich mich jetzt von
ihm ſchlechtmachen laſſen.“
Hans ging die nächſten Tage ab und zu; er
mußte, ſo gut er's konnte, ſeiner traurigen und hilf-
loſen Schwägexin beiſtehen, die Kinder ſeien noch
zu unvernünftig. Gegen Marie war er weich und
liebevoll. Er bedauerte ſie aus Herzensgrund.
„Armes Ding,“ ſeufzte er, „wie leid tut mir
deine Angſt, ich wollte, ich könnte dir helfen, aber
nun iſt nichts mehr an der ganzen Geſchichte zu
— 66 —
machen. Und haſt du dich einmal in das Unab-
änderliche geſchickt, magſt du doch noch ganz zufrie-
den werden.“
„Kann mir's nicht denken, Onkel Hans.
iſt immer zum Weinen.“
„Glaub mir, Mariechen, es geht Hunderten ſo,
und nachher ſind ſie ganz zufriedene Ehefrauen.
Du bleibſt bei uns hier im Hauſe und ſiehſt, wie
glücklich dein Vater iſt.“
„Ja, das iſt auch mein einziger Troſt.“
Da erſchien Goldammer, heute etwas verlegen,
denn er kam mit einem neuen Vorſchlage. Eigent-
lich gäbe es doch keinen famoſeren Ort als Berlin.
man nirgends auf einem Haufen. Und dann das
und vieles andere! Was Marie meine, wenn ſie
für acht Tage in den „Kaiſerhof“ verreiſten? Koſtet
auch ſchon einen gehörigen Poſten Geld. Das bil-
ligſte Zimmer täglich vier Mark, wo man hier doch
— — —⏑
— — — — aa
umſonſt wohne. „Aber für nichts iſt nichts. Eſſen
pikfein, da hat man was für ſein gutes Geld.“
Ihm ſcheine dies die allerpraktiſchſte Hochzeitsreiſe,
die ganze Geſchichte mit ſeiner neuen Ehe koſte ja
doch ein ſchmähliches Geld.
Wenn'z ihm zu teuer wäre, könnten ſie ja das
Heiraten lieber ganz laſſen, meinte das Mädchen
mit aufflackernder Hoffnung. — —
Da kam ſie aber ſchlecht an „Tue mir den
einzigen Gefallen und rede nicht fo ’n Blech, als
wollteſt du abſchnappen,“ rief er zornig. „Wir haben
im Kaſten gehangen, ſind aufgeboten, nu' gibt es
kein Auskneifen mehr. Willſt du abſolut nach Dres-
den, ſo ſoll mir's auch egal ſein, aber ein Blödſinn!
wär's doch.“
Sie perſicherte, daß ihr an Dresden gar nichts
* und daß er ihretwegen reiſen könne, wohin er
wolle.
„Wir richten alles ein, wie es verabredet iſt,“
ſagte er, ſich vergnügt die Hände reibend. „Du packſt
den feinen Handkoffer, den ich dir geſchenkt habe,
mit allem Nötigſten, wir bleiben bis zuletzt beim
Diner, was auch ſein Gutes hat, wenn man's doch
mal bezahlen muß, und fahren hierher. Du ziehſt
das ſchicke Schneiderkleid an, das du von mir haſt,
ich ſtecke mich in den feſchen karrierten Reiſeanzug,
und dann fahren wir ins Hotel. Is doch ganz
egal, ob's hier iſt oder anderswo.“
Marie zuckte die Achſeln und ergab ſich in ſeinen
Willen.
Sie hatte wegen des Trauerfalls in der Familie,
da Philipp Aſſel doch ein rechtex Vetter ihres Vaters
war, um Aufſchub der Hochzeit gebeten, doch ver-
gebens. So kurz vorher könne man keine Anderung
mehr vornehmen. Alle Menſchen müßten ſterben,
7 der gute Philipp ſei gerade kein Heiliger ge-
weſen.
Aher nun werde Hans doch keinenfalls am Hoch-
zeitseſſen teilnehmen, meinte ſie noch, und den hätte
ſie am allerliebſten dabei gehabt.
„Iſt ſeine Sache,“ brummte Goldammer. „Will-
er nicht, dann iſt's auch gut. Für 'ne große Zierde
der Tafel kann ich ihn kaum halten.“
Ein Polterabend ſollte nicht gefeiert werden,
denn beide Familien hatten zu wenige geſellige Be-
ziehungen; zum Hochzeitsmahl waren nur zwanzig
Perſonen zuſammengebracht worden.
Am Nachmittage vor der Hochzeit, als Marie
ausgegangen war, trat ihr Verlobter zu Liebreich
ins Zimmer. -
„Meine Tochter iſt nicht zu Hauſe,“ empfing der
Photograph den Gaſt, bedauernd, daß dieſer ver-
geblich komme.
„Heute will ich nur zu Ihnen, Liebwerteſter. Wir
müſfen doch auch mal ein Wort im Vertrauen über
Geſchäfte und Mein und Dein reden.“
Verſtändnislos ſah Liebreich den Freund an.
Der hatte ja übernommen, ſeine Sachen zu ordnen
und für ihn zu ſorgen.
„Hier find alle Ihre quittierten Rechnungen, habe
ſie prompt beglichen, Summa 740 Mark 65 Pfennig.
Sie können das gegen ein „Bedankemich“ hinnehmen.
Ihre alten Schuldſcheine behalte ich noch. Man
känn nicht wiſfen — beſſer iſt beſſer! Wird mein
Frauchen mal widerhaarig, iſt das ſo n kleines
Brenneiſen. Und dann, Verehrteſter, müſſen wir
den Zuſchuß für Ihre Wirtſchaft guch noch feſt-
ſetzen Sie müſſen nicht glauben, daß Sie nun wild
ins Blaue leben und gänzlich auf dey Bärenhaut
liegen können.“
einzige Liebe und ſeien Sie nicht ungebärdig. Ich
kann nicht für all Ihren Klimbim aufkommen, kann
nicht wie ’n Pferd arbeiten, damit Sie faulenzen.
Alſo fünfzig Mark ſollen Sie im Monat Zulage
bekommen, das iſt gewiß anſtändig für 'nen Schwie-
gervater, der eigenklich auch noch ein ganz rüſtiger
Burſche iſt. Mehr gibt's nicht. Alſo danach ſchicken
Sie ſich. Ihr Geſchäft nährt ſeinen Mann, Miete
verlange ich nicht, im übrigen aber richten Sie ſich
ein, wenn wir Freunde bleiben ſollen.“
„Was wird meine Tochter dazu ſagen?!
„Nehmen Sie Vernunft an! Machen Sie mir
meine Braut in letzter Stunde aufſäſſig, ſo haben
Sie morgen am Tage, kraft meiner Schuldſcheine,
den Exekutor im Hauſe, verſtanden? Mahlzeit,
mein Beſter!“
Damit verließ Goldammer den Salon und ließ
den vertrauensſeligen Freund, der ſich goldene Berge,
oder doch ein völliges Schlaraffenleben von der Zu-
kunft verſprochen hatte, in der äußerſten Beſtürzung
zurück. ;
Liebreich verſank in tiefes Nachdenken. Ka, ja,
er mußte ſchweigen, Goldammer haͤtte recht. Welche
Szenen, welche Aufregungen würde es geben, wenn
Marie erführe, daß doch nicht ſo ausgiebig für ihn
geſorgt ſein würde, wie ſie annahm Alſo ſtillhalten,
die Zeit kommen laſſen, hoffen! Seine gute Zochter
würde ſchon Mittel und Wege finden, ihm ein be-
quemes Leben nach ſeinem Geſchmack zu verſchaffen.
Siebentes Kapitel.
Am Abend dieſes Tages, dem letzten vor der
Hochzeit feiner Tochtex, fiel es Liebreich ein, daß in
dem Schreibtiſchchen ſeiner Frau gewiß deren kleine
Schmuͤckſachen, wenige und einfache Dinge, liegen
würden, die er doch dem Mädchen, bevor ſie von ihm
ging, mitgeben könne. ;
Er haͤtte in ſeiner Trauer und in der feigen
Scheu vor jeder ſchmerzlichen Srinnerung und Er-
Augen. „Auch viel geduldiger, er mochte niemand
lieber um ſich haben als mich. Und einmal ſagte
er ſogar, er habe mir viel abzubitten. Das rührte
mich ordentlich, und ich ſagte: „Schadet nichts,
Phips, daß du mich über die Achſeln angeſehen haſt,
du biſt ja auch viel fixer als ich und haſt es viel
weiter gebracht.“ — „Ja, das habe ich,“ ſagte er,
„'n bißchen dämlich warſt du immer,“ worauf ich
ihm recht geben mußte. Und nun iſt er tot, mein
einziger Bruder, wie gern wollte ich mich jetzt von
ihm ſchlechtmachen laſſen.“
Hans ging die nächſten Tage ab und zu; er
mußte, ſo gut er's konnte, ſeiner traurigen und hilf-
loſen Schwägexin beiſtehen, die Kinder ſeien noch
zu unvernünftig. Gegen Marie war er weich und
liebevoll. Er bedauerte ſie aus Herzensgrund.
„Armes Ding,“ ſeufzte er, „wie leid tut mir
deine Angſt, ich wollte, ich könnte dir helfen, aber
nun iſt nichts mehr an der ganzen Geſchichte zu
— 66 —
machen. Und haſt du dich einmal in das Unab-
änderliche geſchickt, magſt du doch noch ganz zufrie-
den werden.“
„Kann mir's nicht denken, Onkel Hans.
iſt immer zum Weinen.“
„Glaub mir, Mariechen, es geht Hunderten ſo,
und nachher ſind ſie ganz zufriedene Ehefrauen.
Du bleibſt bei uns hier im Hauſe und ſiehſt, wie
glücklich dein Vater iſt.“
„Ja, das iſt auch mein einziger Troſt.“
Da erſchien Goldammer, heute etwas verlegen,
denn er kam mit einem neuen Vorſchlage. Eigent-
lich gäbe es doch keinen famoſeren Ort als Berlin.
man nirgends auf einem Haufen. Und dann das
und vieles andere! Was Marie meine, wenn ſie
für acht Tage in den „Kaiſerhof“ verreiſten? Koſtet
auch ſchon einen gehörigen Poſten Geld. Das bil-
ligſte Zimmer täglich vier Mark, wo man hier doch
— — —⏑
— — — — aa
umſonſt wohne. „Aber für nichts iſt nichts. Eſſen
pikfein, da hat man was für ſein gutes Geld.“
Ihm ſcheine dies die allerpraktiſchſte Hochzeitsreiſe,
die ganze Geſchichte mit ſeiner neuen Ehe koſte ja
doch ein ſchmähliches Geld.
Wenn'z ihm zu teuer wäre, könnten ſie ja das
Heiraten lieber ganz laſſen, meinte das Mädchen
mit aufflackernder Hoffnung. — —
Da kam ſie aber ſchlecht an „Tue mir den
einzigen Gefallen und rede nicht fo ’n Blech, als
wollteſt du abſchnappen,“ rief er zornig. „Wir haben
im Kaſten gehangen, ſind aufgeboten, nu' gibt es
kein Auskneifen mehr. Willſt du abſolut nach Dres-
den, ſo ſoll mir's auch egal ſein, aber ein Blödſinn!
wär's doch.“
Sie perſicherte, daß ihr an Dresden gar nichts
* und daß er ihretwegen reiſen könne, wohin er
wolle.
„Wir richten alles ein, wie es verabredet iſt,“
ſagte er, ſich vergnügt die Hände reibend. „Du packſt
den feinen Handkoffer, den ich dir geſchenkt habe,
mit allem Nötigſten, wir bleiben bis zuletzt beim
Diner, was auch ſein Gutes hat, wenn man's doch
mal bezahlen muß, und fahren hierher. Du ziehſt
das ſchicke Schneiderkleid an, das du von mir haſt,
ich ſtecke mich in den feſchen karrierten Reiſeanzug,
und dann fahren wir ins Hotel. Is doch ganz
egal, ob's hier iſt oder anderswo.“
Marie zuckte die Achſeln und ergab ſich in ſeinen
Willen.
Sie hatte wegen des Trauerfalls in der Familie,
da Philipp Aſſel doch ein rechtex Vetter ihres Vaters
war, um Aufſchub der Hochzeit gebeten, doch ver-
gebens. So kurz vorher könne man keine Anderung
mehr vornehmen. Alle Menſchen müßten ſterben,
7 der gute Philipp ſei gerade kein Heiliger ge-
weſen.
Aher nun werde Hans doch keinenfalls am Hoch-
zeitseſſen teilnehmen, meinte ſie noch, und den hätte
ſie am allerliebſten dabei gehabt.
„Iſt ſeine Sache,“ brummte Goldammer. „Will-
er nicht, dann iſt's auch gut. Für 'ne große Zierde
der Tafel kann ich ihn kaum halten.“
Ein Polterabend ſollte nicht gefeiert werden,
denn beide Familien hatten zu wenige geſellige Be-
ziehungen; zum Hochzeitsmahl waren nur zwanzig
Perſonen zuſammengebracht worden.
Am Nachmittage vor der Hochzeit, als Marie
ausgegangen war, trat ihr Verlobter zu Liebreich
ins Zimmer. -
„Meine Tochter iſt nicht zu Hauſe,“ empfing der
Photograph den Gaſt, bedauernd, daß dieſer ver-
geblich komme.
„Heute will ich nur zu Ihnen, Liebwerteſter. Wir
müſfen doch auch mal ein Wort im Vertrauen über
Geſchäfte und Mein und Dein reden.“
Verſtändnislos ſah Liebreich den Freund an.
Der hatte ja übernommen, ſeine Sachen zu ordnen
und für ihn zu ſorgen.
„Hier find alle Ihre quittierten Rechnungen, habe
ſie prompt beglichen, Summa 740 Mark 65 Pfennig.
Sie können das gegen ein „Bedankemich“ hinnehmen.
Ihre alten Schuldſcheine behalte ich noch. Man
känn nicht wiſfen — beſſer iſt beſſer! Wird mein
Frauchen mal widerhaarig, iſt das ſo n kleines
Brenneiſen. Und dann, Verehrteſter, müſſen wir
den Zuſchuß für Ihre Wirtſchaft guch noch feſt-
ſetzen Sie müſſen nicht glauben, daß Sie nun wild
ins Blaue leben und gänzlich auf dey Bärenhaut
liegen können.“
einzige Liebe und ſeien Sie nicht ungebärdig. Ich
kann nicht für all Ihren Klimbim aufkommen, kann
nicht wie ’n Pferd arbeiten, damit Sie faulenzen.
Alſo fünfzig Mark ſollen Sie im Monat Zulage
bekommen, das iſt gewiß anſtändig für 'nen Schwie-
gervater, der eigenklich auch noch ein ganz rüſtiger
Burſche iſt. Mehr gibt's nicht. Alſo danach ſchicken
Sie ſich. Ihr Geſchäft nährt ſeinen Mann, Miete
verlange ich nicht, im übrigen aber richten Sie ſich
ein, wenn wir Freunde bleiben ſollen.“
„Was wird meine Tochter dazu ſagen?!
„Nehmen Sie Vernunft an! Machen Sie mir
meine Braut in letzter Stunde aufſäſſig, ſo haben
Sie morgen am Tage, kraft meiner Schuldſcheine,
den Exekutor im Hauſe, verſtanden? Mahlzeit,
mein Beſter!“
Damit verließ Goldammer den Salon und ließ
den vertrauensſeligen Freund, der ſich goldene Berge,
oder doch ein völliges Schlaraffenleben von der Zu-
kunft verſprochen hatte, in der äußerſten Beſtürzung
zurück. ;
Liebreich verſank in tiefes Nachdenken. Ka, ja,
er mußte ſchweigen, Goldammer haͤtte recht. Welche
Szenen, welche Aufregungen würde es geben, wenn
Marie erführe, daß doch nicht ſo ausgiebig für ihn
geſorgt ſein würde, wie ſie annahm Alſo ſtillhalten,
die Zeit kommen laſſen, hoffen! Seine gute Zochter
würde ſchon Mittel und Wege finden, ihm ein be-
quemes Leben nach ſeinem Geſchmack zu verſchaffen.
Siebentes Kapitel.
Am Abend dieſes Tages, dem letzten vor der
Hochzeit feiner Tochtex, fiel es Liebreich ein, daß in
dem Schreibtiſchchen ſeiner Frau gewiß deren kleine
Schmuͤckſachen, wenige und einfache Dinge, liegen
würden, die er doch dem Mädchen, bevor ſie von ihm
ging, mitgeben könne. ;
Er haͤtte in ſeiner Trauer und in der feigen
Scheu vor jeder ſchmerzlichen Srinnerung und Er-