ſuchung bei ihm abgehalten. Außer der verhängnis-
vollen Schildkrottabaksdoſe entdeckte man nichts von
den damals geraubten Wertſachen bei ihm. Doch
verdächtig erſchien es, daß er im Beſitze eines Ge-
ebenfalls beſchlagnahmte.
Seine Frau geriet in Todesſchrecken; er ſagte
aber, bevor er abgeführt wurde, gefaßten Mutes zu
ihr: „Beruhige dich, liebe Jane, weine nicht; die
Sache muß ſich bald aufklären und meine Unſchuld
an den Tag kommen, denn ich habe jene Schreckens-
tat nicht auf dem Gewiſſen!“
Die gegen ihn eingeleitete Vorunterſuchung er-
gab jedoch mancherlei Momente, die gegen ihn zu
zeugen ſchienen. Es wurde feſtgeſtellt, daß er bei
jenen Arbeiterunruhen, wenn auch gerade kein
Rädelsführer, ſo doch einer der eifrigſten Redner
geweſen war. Auch ermittelte man, daß er mit
Schießwaffen geſchickt umzugehen wiſſe, als ganz
junger Menſch hatte er ſogar einmal wegen Wilderns
einige Monate im Gefängnis geſeſſen. Haupt-
belaſtungsbeweis gegen ihn blieb jedoch die bei ihm
gefundene Schnupftabaksdoſe, welche er angeblich
— 92 —
jage in den Zeitungen bekannt gemacht. Aber nie-
mand meldete ſich als Verlierer, und ſo hielt man
alſo Irvings Behauptung für unwahr.
Die Doſe, welche eine kleine Schramme auf dem
Deckel hatte, zeigte auf ihrer unteren Seite eine
Fabrikmarke, nämlich ein winziges Viereck mit dem
Buchſtaben „C“ Ddarın. Dies war die Marke des
Verfertigers, eines intelligenten und geſchickten Künſt-
lers in Edinburg, namens Thomas Clarke, damals
fünfundvierzig Jahre alt, der allerlei Kunſtarbeiten
von vorzüglicher Schönheit und Güte aus Schild-
krot, Perlmutter und aus anderem koſtbaren Material
anfertigte, beſonders aber Schnupftabaksdoſen, die viel
gekauft wurden, auch von auswärtigen Händlern in
London und anderswo. Mit den bisher erwachſenen
Unterſuchungsakten über die Angelegenheit befand
zurzeit die Doſe ſich bei dem Oberrichter, dem Prä-
ſidenten des Schwurgerichtshofs.
Am Abend vor dem Tage, an welchem die Ge-
richtsverhandlung ſtattfinden ſollte, wurde auf ge-
heimnisvolle Art dem Oberrichter ein kleines Päck-
chen auf den Hausflur geworfen. Man fand es zu-
fällig Nachdem die Umhüllung davon entfernt
worden war, kam eine ſchöne Schildkrotdoſe
zum Vorſchein, wobei ein zuſammengefalteter, offen-
bar mit verſtellter Handſchrift beſchriebener Zettel
lag mit der Mitteilung: „Joſeph Irving iſt un-
ſchuldig. Das meldet Ihnen derjenige, der's getan
hat, und zum Beweiſe überſendet er hiebei die rich-
tige Doſe.“
Erſtaunt betrachtete der Oberrichter die Schnupf-
tabaksdoſe, welche, wie die Vergleichung ergab, faſt
genau ſo ausſah wie die andere, auch an derſelben
Stelle eine ähnliche kleine Schramme zeigte auf dem
Deckel, ſowie auf der unteren Bodenſeite dieſelbe
Fabrikmarke. Auffällig war nur der Umſtand, daß
ſie faſt doppelt ſo ſchwer war wie die andere. Nach
reiflichex Überlegung kam der gewiegte alte Juriſt
zu der Meinung, daß die Sendung von einem Mit-
wiſſex oder Teilnehmex an dem Verbrechen herrühre,
der ſich bemühe, den Hauptſchuldigen der geſetzlichen
Strafe zu entziehen, zu ſolchem Behufe ſich die
Doſe irgendwo verſchafft und ſie dann mit einer
Schramme verſehen habe, um auf ſolche Art die
dieſem Sinne beſchloß der alte Herr, dem ähnliche
Verbrecherkniffe aus ſeiner langjährigen Berufstätig-
keit gut bekannt waren, den anonhmen Brief zuͤr
Kenntnis des Gerichtshofes und der Geſchworenen
zu bringen. Um aber durchaus nichts zu berſäumen,
vas irgendwie zur Aufhellung des Sachberhalts dien-
lich ſein könnte, ordnete er auch noch unverweilt an,
daß Herr Thomas Clarke, der Verfertiger der beiden
Doſen, als Sachverſtändiger zu der Gelichtsverhand-
lung berufen werden ſolle.
— m großen Schwurgerichtsſaale zu Edinburg
fand die Gerichtsverhandlung ſtaͤtt.
Der Angeklagte, befragt, ob er ſich ſchuldig be-
kennen wolle, antwortete mit feſter Stimme: „Nein!“
Es wurden nun die Belaſtungsbeweiſe gegen ihn
vorgebracht, und die Zeugen verhört.
Der Barbier Gardiner blieb bei ſeiner Behaup-
tung, daß die leichtere Doſe mit der Schramme die
des Ermoxdeten ſei, aber er wurde doch erſichtlich
und unſicher, als man ihm auch die andere
zeigte.
Henry Cummings und deſſen Mutter, die Witwe
des Toten, erklärten, daß ſie zwax anfänglich ge-
glaubt hätten, die leichtere Doſe ſei die richtige;
nunmehr aber, nachdem ſie auch die andere gefehen,
heit behaupten Die Ahnlichkeit, abgeſehen von dem
verſchiedenen Gewicht, ſei eine gar zu auffallende
und könne deshalb irreführend ſein.
Darauf wurde der Sachverſtändige vernommen.
Thomas Clarke war ein Mann mit einer redlichen
und zugleich klugen Erfinderphyſiognomie, deſſen
gefurchte Stirne von vieler Denkarbeit Zeugnis gab.
„Sie haben dieſe beiden mit Ihrer Fabrikmarke
verſehenen Doſen verſertigt?“ wurde er gefragt.
—— CL OO GE
„Haben Sie eine davon vor etwa zehn oder elf Jah-
ren ſelbſt an Herrn Jonathan Cummings verkauft?“
„Nein; er muß die Doſe von irgend einem Händ-
ler, dem ich ſie geliefert, gekauft haben.“
„Dann können Sie alſo nicht angeben, welche
„Das kann ich wohl, aber ich tue es ungern.“
„Warum?“
„Weil ich in ſolchem Falle, um Ihnen befriedigende
und beweiskräftige Auskunft zu geben, ein Fabrik-
„Es handelt ſich hier um eine fehr ernſte Sache!“
ſprach ermahnend der Gerichtspräſident.
wortete Thomas Clarfe. „Die Tabaksdoſe, welche Herr
Jonathan Cummings vor zehn oder elf Jahren ge-
kauft hat, iſt die, welche ſchwerer iſt als die andere.“
„Wenn Sie das beweiſen können, würde die
Hauptbelaſtung gegen den Angeklagten hinfällig!“
rief der Oberrichter.
„Das kann ich ſehr leicht beweiſen,“ verſetzte
lächelnd der Künſtler.
Wie denn 2“
„Die ſchwere Dofe iſt aus echtem Schildkrot ver-
fertigt
„Und die leichtere?“
„Aus künſtlichem Schildkrot.“
„Davon habe ich noch niemals gehört. Gibtnes
denn überhaupt künſtliches?“ ;
„Gewiß. Da das echte Material fortwährend
im Preiſe ſtieg, zuletzt über fünfundneunzig Schil-
Unge per Pfund Koftete, ſann ich nach über ein
Surrogat, und es gelang mir, eines ausfindig zu
machen, oder vielmehr zu erfinden“
„Ahex die Schrammen auf beiden Dojfen e“
„Dieſe kleinen Beſchädigungen ſind jedenfalls
nur zufällig ſo übexeinſtimmend.“
„Warum ſoll die leichtere Doſe nicht dem Herrn
Jonathan Cummings gehört haben?
„Weil das ganz unmöglich iſt, Sir. Jonathan
Cummings wurde am 21. Oktober 1754 getötet?“
vollen Schildkrottabaksdoſe entdeckte man nichts von
den damals geraubten Wertſachen bei ihm. Doch
verdächtig erſchien es, daß er im Beſitze eines Ge-
ebenfalls beſchlagnahmte.
Seine Frau geriet in Todesſchrecken; er ſagte
aber, bevor er abgeführt wurde, gefaßten Mutes zu
ihr: „Beruhige dich, liebe Jane, weine nicht; die
Sache muß ſich bald aufklären und meine Unſchuld
an den Tag kommen, denn ich habe jene Schreckens-
tat nicht auf dem Gewiſſen!“
Die gegen ihn eingeleitete Vorunterſuchung er-
gab jedoch mancherlei Momente, die gegen ihn zu
zeugen ſchienen. Es wurde feſtgeſtellt, daß er bei
jenen Arbeiterunruhen, wenn auch gerade kein
Rädelsführer, ſo doch einer der eifrigſten Redner
geweſen war. Auch ermittelte man, daß er mit
Schießwaffen geſchickt umzugehen wiſſe, als ganz
junger Menſch hatte er ſogar einmal wegen Wilderns
einige Monate im Gefängnis geſeſſen. Haupt-
belaſtungsbeweis gegen ihn blieb jedoch die bei ihm
gefundene Schnupftabaksdoſe, welche er angeblich
— 92 —
jage in den Zeitungen bekannt gemacht. Aber nie-
mand meldete ſich als Verlierer, und ſo hielt man
alſo Irvings Behauptung für unwahr.
Die Doſe, welche eine kleine Schramme auf dem
Deckel hatte, zeigte auf ihrer unteren Seite eine
Fabrikmarke, nämlich ein winziges Viereck mit dem
Buchſtaben „C“ Ddarın. Dies war die Marke des
Verfertigers, eines intelligenten und geſchickten Künſt-
lers in Edinburg, namens Thomas Clarke, damals
fünfundvierzig Jahre alt, der allerlei Kunſtarbeiten
von vorzüglicher Schönheit und Güte aus Schild-
krot, Perlmutter und aus anderem koſtbaren Material
anfertigte, beſonders aber Schnupftabaksdoſen, die viel
gekauft wurden, auch von auswärtigen Händlern in
London und anderswo. Mit den bisher erwachſenen
Unterſuchungsakten über die Angelegenheit befand
zurzeit die Doſe ſich bei dem Oberrichter, dem Prä-
ſidenten des Schwurgerichtshofs.
Am Abend vor dem Tage, an welchem die Ge-
richtsverhandlung ſtattfinden ſollte, wurde auf ge-
heimnisvolle Art dem Oberrichter ein kleines Päck-
chen auf den Hausflur geworfen. Man fand es zu-
fällig Nachdem die Umhüllung davon entfernt
worden war, kam eine ſchöne Schildkrotdoſe
zum Vorſchein, wobei ein zuſammengefalteter, offen-
bar mit verſtellter Handſchrift beſchriebener Zettel
lag mit der Mitteilung: „Joſeph Irving iſt un-
ſchuldig. Das meldet Ihnen derjenige, der's getan
hat, und zum Beweiſe überſendet er hiebei die rich-
tige Doſe.“
Erſtaunt betrachtete der Oberrichter die Schnupf-
tabaksdoſe, welche, wie die Vergleichung ergab, faſt
genau ſo ausſah wie die andere, auch an derſelben
Stelle eine ähnliche kleine Schramme zeigte auf dem
Deckel, ſowie auf der unteren Bodenſeite dieſelbe
Fabrikmarke. Auffällig war nur der Umſtand, daß
ſie faſt doppelt ſo ſchwer war wie die andere. Nach
reiflichex Überlegung kam der gewiegte alte Juriſt
zu der Meinung, daß die Sendung von einem Mit-
wiſſex oder Teilnehmex an dem Verbrechen herrühre,
der ſich bemühe, den Hauptſchuldigen der geſetzlichen
Strafe zu entziehen, zu ſolchem Behufe ſich die
Doſe irgendwo verſchafft und ſie dann mit einer
Schramme verſehen habe, um auf ſolche Art die
dieſem Sinne beſchloß der alte Herr, dem ähnliche
Verbrecherkniffe aus ſeiner langjährigen Berufstätig-
keit gut bekannt waren, den anonhmen Brief zuͤr
Kenntnis des Gerichtshofes und der Geſchworenen
zu bringen. Um aber durchaus nichts zu berſäumen,
vas irgendwie zur Aufhellung des Sachberhalts dien-
lich ſein könnte, ordnete er auch noch unverweilt an,
daß Herr Thomas Clarke, der Verfertiger der beiden
Doſen, als Sachverſtändiger zu der Gelichtsverhand-
lung berufen werden ſolle.
— m großen Schwurgerichtsſaale zu Edinburg
fand die Gerichtsverhandlung ſtaͤtt.
Der Angeklagte, befragt, ob er ſich ſchuldig be-
kennen wolle, antwortete mit feſter Stimme: „Nein!“
Es wurden nun die Belaſtungsbeweiſe gegen ihn
vorgebracht, und die Zeugen verhört.
Der Barbier Gardiner blieb bei ſeiner Behaup-
tung, daß die leichtere Doſe mit der Schramme die
des Ermoxdeten ſei, aber er wurde doch erſichtlich
und unſicher, als man ihm auch die andere
zeigte.
Henry Cummings und deſſen Mutter, die Witwe
des Toten, erklärten, daß ſie zwax anfänglich ge-
glaubt hätten, die leichtere Doſe ſei die richtige;
nunmehr aber, nachdem ſie auch die andere gefehen,
heit behaupten Die Ahnlichkeit, abgeſehen von dem
verſchiedenen Gewicht, ſei eine gar zu auffallende
und könne deshalb irreführend ſein.
Darauf wurde der Sachverſtändige vernommen.
Thomas Clarke war ein Mann mit einer redlichen
und zugleich klugen Erfinderphyſiognomie, deſſen
gefurchte Stirne von vieler Denkarbeit Zeugnis gab.
„Sie haben dieſe beiden mit Ihrer Fabrikmarke
verſehenen Doſen verſertigt?“ wurde er gefragt.
—— CL OO GE
„Haben Sie eine davon vor etwa zehn oder elf Jah-
ren ſelbſt an Herrn Jonathan Cummings verkauft?“
„Nein; er muß die Doſe von irgend einem Händ-
ler, dem ich ſie geliefert, gekauft haben.“
„Dann können Sie alſo nicht angeben, welche
„Das kann ich wohl, aber ich tue es ungern.“
„Warum?“
„Weil ich in ſolchem Falle, um Ihnen befriedigende
und beweiskräftige Auskunft zu geben, ein Fabrik-
„Es handelt ſich hier um eine fehr ernſte Sache!“
ſprach ermahnend der Gerichtspräſident.
wortete Thomas Clarfe. „Die Tabaksdoſe, welche Herr
Jonathan Cummings vor zehn oder elf Jahren ge-
kauft hat, iſt die, welche ſchwerer iſt als die andere.“
„Wenn Sie das beweiſen können, würde die
Hauptbelaſtung gegen den Angeklagten hinfällig!“
rief der Oberrichter.
„Das kann ich ſehr leicht beweiſen,“ verſetzte
lächelnd der Künſtler.
Wie denn 2“
„Die ſchwere Dofe iſt aus echtem Schildkrot ver-
fertigt
„Und die leichtere?“
„Aus künſtlichem Schildkrot.“
„Davon habe ich noch niemals gehört. Gibtnes
denn überhaupt künſtliches?“ ;
„Gewiß. Da das echte Material fortwährend
im Preiſe ſtieg, zuletzt über fünfundneunzig Schil-
Unge per Pfund Koftete, ſann ich nach über ein
Surrogat, und es gelang mir, eines ausfindig zu
machen, oder vielmehr zu erfinden“
„Ahex die Schrammen auf beiden Dojfen e“
„Dieſe kleinen Beſchädigungen ſind jedenfalls
nur zufällig ſo übexeinſtimmend.“
„Warum ſoll die leichtere Doſe nicht dem Herrn
Jonathan Cummings gehört haben?
„Weil das ganz unmöglich iſt, Sir. Jonathan
Cummings wurde am 21. Oktober 1754 getötet?“