Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
uns zu beſuchen. O, er war eine ſehr geſellige
Natur.“

„Und eine ſehr heitere.“

Auch das! Aber warum haben Sie denn ſo
lange auf Ihren Beſuch warten laſſen?“ ;

„Ja = mon iſt eben nicht immer Herr ſeiner

eit.“
9 „Sie ſind noch im Amte? Darf ich fragen —“

Ich bin im — Ackerbauminiſterium.“

„Ja, da kommen Sie freilich nicht leicht ab.“

„Nur wenn ich eine Dienſtreiſe mache.“

„Sind Sie jetzt auf einer ſolchen begriffen,

err —“
„Breuner heiße ich. Jawohl, gnädige Frau, ich
reiſe dienſtlich Und da mich mein Weg nach Böh-
miſch⸗Trübau geführt hat, habe ich es mir nicht ver-
ſagen können, auch nach Rybnik zu kommen — leider
zu ſpät.
* mein armer Mann iſt ſeit drei Jahren
*

„Was ich erſt vorhin erfahren habe. Da müſſen
gnädige Frau ſich ſchrecklich einſam fühlen. Das
iſt nicht gut, das vertieft nur die düſtere Stimmung.
Ich bemerke, daß Sie noch immer Trauer-
kleider tragen.“

— 103 —

modiſcher Schreibtiſch. Beide Möbel paßten gar
gut zueinander. Weniger harmoniſch ſtimmte eine
Wanddekoration dazu, welche ſich über dem alten
Sekretär befand.

Es war dies einer jener ungemütlichen, aus japa-
niſchen Rohrmatten hergeſtellten Photographienhalter,
die man jetzt faſt in jeder Wohnung findet, wenn
eine ſolche Wanddekoration auch durch nichts an-
deres an das Reich der Kirſchblüten und Chryſan-
themen erinnert als vielleicht durch ihre auch echt
japaniſche — Anſpruchsloſigkeit.

In dieſem Photographienhaltex befanden ſich
etwa ein Dutzend Bilder. Sie ſtellten alle ein und
dieſelbe Perſoͤnlichkeit dar: einen jungen, ſchlanken
Mann mit ſympathiſchem, hübſchem Geſicht.

Natürlich mar das „Leo Raneck“, der noch gänz-
lich unberühmte Schauſpieler, der in irgend welchen
Schmieren oder wohl auch Provinztheatern pompöſe
Rollen geſpielt hatte.

Er war nämlich in verſchiedenen Koſtümen und
verſchiedenen Poſen photographiert; ſo einmal in
einer Toga, einen Roſenkranz auf dem Haupte und
einen Becher in der hoch erhobenen Hand, und da-

keine Anſtalten zu deſſen Unterdrückung zu machen
Frau Klaudy mar vielleicht ein ſchwacher Charak-
ter und wußte dies, daher das trotzige Gebahren.
Für Schwächlinge iſt der Trotz die Rüſtung, in
welche ſie ſich hüllen; die Starken bedürfen ihrer
nicht.

Wenn die alte Frau, die bis jetzt ſo harmlos,
ja herzlich geweſen, e& ſo recht deutlich hätte zeigen
wollen, daß ſie etwas ſehr Peinliches zu verbergen
habe, ſo brauchte ſie ſich nur genau ſo zu benehmen,
wie ſie ſich eben benahm.

Breuners Sehnſucht nach Hamburg wuchs in
dieſer Minute gewaltig. Jedenfalls hielt ihn nichts
mehr hier in Rybnik. Er erhob ſich und langte nach
ſeinem Hut.

Frau Klaudy hielt ihn nicht zurück Sie wurde
zwar wieder ein bißchen wärmer, aber ſie konnte
ſich nicht einmal zu einer Außerung des Bedauerns
über den raſchen Aufbruch ihres Beſuchers zwingen.

Es gibt ſolche Menſchen, Menſchen von ſo kief-
gehender Ehrlichkeit, die nichts von Verſtellung wiſſen,
die immer geradeaus gehen und die wie vor den
Kopf geſtoßen ſind und einfach ſtehen bleiben, wenn

ſie an ein Hindernis kommen, das andere

„Nicht mehr um meinen lieben Mann.
Die Traner im Herzen werde ich um ihn
freilich nie ablegen — aber dieſes ſchwarze
Kleid trage ich nicht ſeinethalben.“

„Sie haben einen neuen Verluſt er-
litten?“

„Meine Schweſter iſt unlängſt ge-
ſtorben.“

„Mein Beileid — gnädige Frau.“

Frau Klaudy lächelte ſchmerzlich. „Der
Armen iſt jetzt wohl,“ ſagte ſie, „die hat
ein — Leben überſtanden.“

„Deren Mann war genau das Gegen-
teil von dem meinigen. Na — auch er
iſt tot — und Toten ſoll man nichts
Schlechtes nachreden. Wenn nur wenig-
ſtens das Elend mit ihm gegangen wäre!
Aber ein böſer Menſch läßt immer wie-
der Böſes zurück. Das Leben meiner
Schweſter war eine Leidenskette. Nur
gut, daß niemand weiß, warum ſie ſo
gern geſtorben iſt.“

„Gern geſtorben? Da hatte ſie wohl.
keine Kinder?

„O doch. Sie“ — Frau Klaudy wurde
xlötzlich unruhig — „ſie hatte einen
Sohn,“ vollendeke ſie, und ſich erhebend,
fuhr ſie fort: „Ich habe über Ihr Kom-
men ganz vexgeſſen, daß ich ein Tele-
gramm erhalten habe. Sie erlauben
ſchon — ;

„Bleiben Sie, gnädige Frau. Sie
haben die Depeſche auf das Tiſchchen
dort gelegt. Ich hole ſie Ihnen.“



In der nächſten Minute öffnete
Frau Klaudy das Telegramm und las
es, aufmerkſam. Wieder zitterten ihre
Hände leiſe dabei.

Breuner tat, als ſei er mit der Be-
trachtung des Porträts des verſtorbenen
Forſtmannes, beſchäftigt, aber er beobachtete doch
recht ſcharf die alte Frau. Er ſah, wie ihre Wangen
4 wenig röteten und wie ſie berſtohlen tief Atem

olte.

Sie hatte die paar Worte jedenfalls mehrmals
geleſen und blieb eine Weile in Schweigen verfunken.
Dann exinnerte ſie ſich jedoch wieder daran, daß ſie
nicht allein ſei.

Die Depeſche einſteckend, wandte ſie ſich wieder
an Breuner und erzählte ihm, daß das Telegramm
von ihrem Neffen ſei, der kürzlich abgereiſt wäre.

„Hoffentlich bringt es Ihnen gute Nachricht,“
entgegnete der Beſucher artiß.

Sie nickte. „Ja, gute Nachricht,“ wiederholte ſie
leiſe und fuhr daͤnn fort? „Welche Sorge man doch
miteden jungen Leuten hat! Wahrhaftig, ich bin
froh, daß ich keine Kinder habe.“

So hat Ihre Fran Schiveſter mit ihren Kindern
viel Kummer gehabt?“

„O — mein Gott!“
Klaudy, ſchmerzlich nach oben blickend, darauf ant-
wortete. ;

Das war Breuner natürlich viel zu wenig. Aber

da man nun einmal bei der Perſönlichkeit an-
gelangt war, um derentwillen Breuner ſich auf ſeine
„Dienſtreiſe“ hegeben— hatte dieſer nicht Luſt, es bei
jenem ſchmerzlichen Blick und Ausruf bewenden zu
lafjen. Er wußte übrigens jebt auch ſchon, wie
dieſex Neffe ausſah.

Dicht neben dem altväteriſchen Sofa, auf welchem
Frau Klaudy ſaß, befand ſich ein nicht weniger alt-


Die kürzlich dem Betrieb übergebene Albulabahn:
Die Solisbrücke am Schynpaß. (S. 107)
Nach einer Photographie von Lteahard Salzborn in Chur.

neben in einem mittelalterlichen Gelehrtenkoſtüm.
Auch als Marquis Poſa und als Götz von Ber-
lichingen hatte Leo Raneck ſich verewigt, wenn auch
nicht im Gedächtnis des Publikums, ſo doch für das
Gedächtnis der einfachen alten Frau, in deren ſtillem
Heim dieſe Schauſpielerphotographien etwas recht
Fremdwirkendes waren. ;

Breuners ſcharfe Augen hatten das Charakte-
riſtiſche in dieſem Geſichte längſt herausgefunden,
denn gleich, nachdem er das Geſpräch mit der alten
Frau begonnen, hatte er die Entdeckung gemacht,
daß auch der geſuchte Franz Rank ſein Gegenüber ſei.

Als die Förſterswitwe nach ihrem ſchmerzlichen
Ausruf über das berührte Thema ſchweigen zu wollen
ſchien, begann ihr Gaſt von neuem: „Der Herr
Neffe iſt gewiß ein leichtſinniges Studentlein?“
„Ach — wenn's nur das wäre!“

Frau Klaudy erſchrak offenbar über dieſes Zu-
geſtändnis, und jetzt wußte Breuner auch ſchon, daß
er durch dieſe Frau nichts weiter über Franz Rank
oder Leo Raneck erfahren würde.

Die Frau war plötzlich wie verwandelt. Sie
hatte ſich aufgerichtet, und es war über ihr ganzes
Weſen eine gewiſſe Steifheit gebreitet. Ihre Lippen
waren jetzt feſt geſchloſſen, ihr Kopf wie im Trotz
empor gerichtet.

So machen es die Kinder, wenn ſie nicht reden
wollen, und alle die, welche ſich vor ihrer eigenen
Redeſeligkeit fürchten. Aber jedenfalls haben die,
welche es fo-machen, etwas zu ſagen, denn wenn


leicht umgehen.

Solch eine Frau war die Tante
Franz Ranks, und da Breuner dies er-
kannte, verlor ſie alles Intereſſe für ihn,
wiewohl ſie ihm eigentlich jetzt noch viel
ſympathiſcher wurde.

Er empfahl ſich überaus höflich von
ihr, und dieſe große Höflichkeit kam direkt
aus ſeinem Herzen.

Als er wieder nach Böhmiſch-Trübau
zurückging, war er ziemlich nachdenklich,
manchmal blieb er ſogar ſtehen, um über
einen Gedanken hinwegzukommen. Er
hörte nicht einmal, daß ein Zug drüben
vorüberbrauſte.

Jetzt aber zwang ihn ein Radler, der
des Weges kam, zur Seite zu weichen.
Er tat das ganz mechaniſch und dabei
ſagte er etwas.

Der Radler warf einen Blick auf ihn
und fuhr dann noch ſchneller weiter.
Vielleicht glaubte er, daß der kleine,
hagere Herr über ihn ungehalten war.

Jedoch dem war nicht ſo. Breuner
hatte ihn gar nicht beachtet, der hatte
nur die Summe ſeiner Gedanken in Worte
gebracht. „Sie weiß etwas, die gute
Frau, aber das, worauf es mir anfommt,
das weiß ſie nicht.“

So hatte Breuner mit ſich geſprochen
und dann legte er den Reſt ſeines Weges
mit raſchen, elaſtiſchen Schritten zurück.

Am Schalter löſte er eine Karte nach
Bodenbach.

Er hatte ſoeben ſeinen Platz in einem
Abteil zweiter Klaſſe eingenommen, als
ein Packer den Kopf zur Tür herein-
ſtreckte.

Ich bitte, ſind Sie der Herr Breuner
aus Wien?“

„Der bin ich.“

„Der Herr Stationschef hat ſoeben
eine Sendung für Sie in Empfang ge-
nommen“ Der Mann brachte die gewiſſe Segel-
leinwandrolle zum Vorſchein.

Breuner langte haſtig nach ihr. „Das iſt ge-
ſcheit,“ ſagte er, „das brauch' ich morgen mittag.
Ich laſſe dem Herrn Stationschef beſtens danken.“
Er ſteckte dabei dem Packer ein gutes Trinkgeld
in die Hand.

Als der Zug ſchon eine Weile unterwegs war,
entnahm Breuner ſeiner Taſche ein Zigarrenetui.
Bei dieſer Gelegenheit kam ihm das eng zuſammen-
gelegte Luftpolſter in die Hand. Er war ſehr ord-
nungsliebend, der kleine Herr, ſo war es alſo ſelbſt-
verſtändlich, daß er das Polſter zu der Decke legte.

Dabei bekam der zweite Reiſende, welcher in
Breuners Abteil ſaß, die Gelegenheit, zu ſehen,
welche Gegenſtände ſein Mitreiſender morgen mittag
brauchen werde.

Es war nicht befremdend, daß er ſich darüber


Breuners Fahrt ging ohne jede Störung vor-
über. Er ſchlief in dieſer Nacht, die er im Wagen
zubringen mußte, nicht beſonders gut, und am näch-
ſten Morgen fühlte er eine gewiſſe Mattigkeit.

Er hätte dieſe Erſcheinung vielleicht auf die wenig
erquickliche Nachtruhe geſchoben, wenn ihm nicht
ſein Hände geſagt hätten, daß ſie ein Vorbote des
wiederkehrenden Fiebers ſei.

Die Nägel dieſer Hände ſahen nämlich ſchon
wie diejenigen eines Toten aus — ſie waren bläu-
lich geworden.
Ehinin und heißer Tee, den Breuner in jeder
 
Annotationen