Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Schüſſelchen mit Milch ſtanden xingsum, daneben
Holzteller, auf jedem ein Stück Schinkenſpeck, und
ein großes Schwarzbrot lag mit der Anſchnittſeite
dem Hausherrn zugewandt.

Dietrich Kruſe ſetzte ſich an die obere ſchmale
Seite des Tiſches, an ſeine Linke kam der Knecht,
neben den die beiden Mägde. Rechts neben dem
Vater ſaß Rikchen, die
ihr Schweſterkind, das ſie
zu ſich gewinkt, oft mit
liebevollen Blicken anſah.

Der Hausvater ſprach,
die arbeitsharten Hände
auf der Tiſchplatte ge-
faltet, ein kleines Gebet.
Heute war es nichts An-
gelerntes oder Bekanntes;
er dankte Gott für den
dieſem Hauſe widerfah-
renen Segen, der Heim-
kehr des Enkelkindes un-
ter ſein Dach. Er ſchloß:
„Himmliſcher Vater, laß
es ihr gut gehen bei uns
und gib auch meinem
Hauſe viele Freude an
ihr!“

Als er ſchwieg, rief
Marie warm, indem helle
Tränen in ihren Augen
glänzten: „O Großvater,
ich will gewiß mein Beſtes
tun, euch allen gefällig
zu ſein, ich bin ja glück-
lich, daß ich hierbleiben
darf!“

Rike zog ſie an ſich
und küßte ſie mütterlich:
„Nu' lange auch zu und
iß, du haſt gewiß dollen
Hunger nach der Reiſe.“

Es erſchien der Städte-
rin ſehr ſeltſam, daß hier
alle nach Bedarf, Herr
und Knecht, den Löffel
in die Schüſſel mit Grütze
tauchten, ihre Milch da-
zu aßen und auf dem
Holzteller mit einem kur-
zen Meſſer den Speck
zerſchnitten und mit Brot
verzehrten.

Marie hatte wirklich
großen Hunger, und es
ſchmeckte ihr herrlich. Sie
dachte, wenn auch hier
vieles anders ſei als zu
Hauſe und manches ihr
wunderlich vorkomme, ſo
werde ſie ſich doch bald
in das Ungewohnte fin-
den. Ja, es gefiel ihr,
was ſie ſah, als ſchlicht
und vernünftig.

Nach dem Eſſen fragte
der Großvater, wo Rike
das Mädchen unterbringen
wolle.

„Die nehme ich mit
auf meine Kammer, Va-
ter, die gehört zu mir.“

Marie holte ihren
Koffer, ſagte dem Alten
gute Nacht und folgte
der kleinen Tante.

Während ſie zuſam-
men das Bett herrichteten
und ſich auskleideten,
fragte Rike nach allem,
was ihre ſelige Schweſter
anging und was der Nichte
Kommen veranlaßt habe.

Marie erzählte, was
ſie dem Großvater geſagt
hatte. Des alten Jüngfer-
chens Herz fühlte aber tiefer mit der vor einer
aufgezwungenen Ehe Geflohenen, als der ſtrenge

Nann es vermocht. Sie lobte des Mädchens Ent-
ſchluß und verſicherte, ſie werde hier wohl aufgehoben
ſein und immer dableiben können. Morgen wollte
ſie auch an den Leinenkoffer gehen und füx mehr
Zeug ſorgen, als ſie hier in der „lütjen Lade“ bei
ſich habe.

Marie ſchlief trotz furchtbarer Müdigkeit wenig.
Die Erlebniſſe des Tages brannten noch zu deutlich
in ihrer Seele. Wie mochte daheim alles abgelaufen
ſein? Armer Hans, armer, großmütiger Hans!
Auf ihn würden alle Vorwürfe kommen, über ihn

— 112 —



Frau des Flickſchuſters aus dem Hiutexhauſe, die ſie
zur Aufwartung gedungen, auch ihre Pflicht tat und
einigermaßen für die beiden Verlaſſenen ſorgte?

Wie dieſelben Gedanken und Bilder immer
wieder und wieder kamen und ihr den Schlummer
verſcheuchten!

Kaum graute am anderen Morgen der Tag, ſo
ſprang Marie aus dem Bette, ſuchte ſich aus ihrem
Koffer Bleiſtift und Papier und. ſchrieb an Onkel
Hans. Sie ſchloß: „Ich liege im Geiſte vox Dir
aͤuf den Knieen und küſſe Deine Hände, Du Beſter,
Edelmütigſter! Du biſt mein Rettex, und ich preiſe
Gott, durch Deine Hilfe erlöſt und dann hierher-

geflüchtet zu ſein. Wenn ſie Dich nur nicht zu hart
ſchelten.“ —

Marie, daran gewöhnt zuzugreifen, nahm der
ſchwächlichen Tante viele Arbeit ab. Freilich gab es
hier anderes zu tun als zu Hauſe, aber ihrer jungen
Kraft wurde alles leicht.

Sie fegte eben die Stube, als Hinrich ſich ins


Fenſter lehnte. Sr beobachtete ſie. Heute ſah, ſie
friſcher aus als geſtern, und wie flog ihr die Arbeit
von der Hand. *
„Wie zeht's,“ fragte er, „ſind ſie nett mit dir?“
— —
„Komm doch her und erzähle.“
Marie trat zu ihm heran und ſie plauderten.
„Nun mach aber, daß du wegkommſt,“ rief ſie
bald. „Man darf doch nicht ſo viel Zeit ver-
ſchwatzen.“
Er ging und ſuchte Tante Rike auf, fragte ſie
über des Mädchens Verhältniſſe aus, ihr Kommen
und Hierbleiben! Er glaubte, daß ſie nur hier ſei,


um der ſeligen Mutter Brief zu bringen. Und nun
wollte ſie ganz dableiben und ihren Vater im Stiche
laſſen? Weshalb das? Seinem praktiſchen Kopf
leuchtete dies alles nicht recht ein, ſo zufrieden er
auch damit war.

„Tante, die Geſchichte hat nen Haken. Warum
will ſie nicht wieder nach Berlin?“

A —m— << — = =
ʒ— ——e——D——⏑O

Karl Raupp. (S. 114)

„Sei ſtill,“ wiſperte Rike und ſah ſcheu nach der
Magd, die Schweinefutter ſtampfte. „Da iſt einer,
den ſie nicht mag, aber ſie ſoll ihn nehmen.“

„Sie hat wohl 'nen andern Schatz?“ ſtieß Hin-
rich mit krauſer Stirn hervor.

„Das glaub' ich nicht, mein Junge. Dann ließe
ſie die Ohren hängen und wäre nicht ſo vergnügt,
daß ſie hierbleiben darf.“

Hinrich erging ſich darüber, daß Großvatex ſie
habe aufnehmen müſſen. Für einen vexmöglichen
Bauern, der reichlich zu leben habe, ſchicke es ſich
nicht anders, als daß er den Seinigen, wenn ſie in
Verlegenheit kämen, beiſtehe.

— 113 —

„Und ſie kann arbeiten und will es auch gern.
Und, ſieh mal, Hinrich, ich werde doch nu' nach-
gerade ’n bißchen ſchwach, und da iſt's gut, daß
* Junges, Starkes ins Haus kommt, das zufaſſen
ann.“

„Ja, Tante, die Hilfe iſt dir zu gönnen. Abex
nun komm auch bald mit ihr zu uns herüber; kannſt

dir ja wohl denken, daß Mutter ſie gern ſehen
möchte.“

„Natürlich, mein Junge, ſobald die Axbeit getan
iſt und wir weg können. Heute ſcheint die Sonne
ja aus allen Löchern.“ —

Die Ankunft der fremden, ſtädtiſchen Baſe beim
Großvater hatte auf Beermannshof, nicht allein bei
Frau Trina, eine große Erregung hervorgerufen.
In dem ländlichen Einerlei des Lebens, das die
Heidedörfler führten, wirkte ein ſo beſonderes Er-
eignis aufregend Und wenn ſie ihrer Eigenart nach
auch keine lebhafte Menſchen waxen, ſo beſaßen ſie
doch viel Familienſinn. Freilich hatten ſie kaum

etwas von der verſtorbenen Tante Dorette gewußt;
ſie wurde ihnen nun wichtig durch die Tochter.

Lisbeth freute ſich am meiſten auf die neue
Freundin. Eine, die aus Berlin kam, würde fein
fein, keine groben Arbeiten tun, hübſche Kleider
tragen und von der Mode Beſcheid wiſſen.

Endlich trat Tante Rikchen mit ihrer Nichte in
der Schweſter Haus. Die
ganze Familie lief herzu,
alle reichten der fremden
Verwandten ohne viele
Worte die Hand, und
dann gingen ſie in die
Stube.

Nur Hinrich gab ſich
geſprächig. Wie ſteif wa-
ren ſie alle! Man mußte
die neue Baſe doch fühlen
laſſen, daß ſie willkom-
men ſei.

Lisbeth ſaß neben ihr
und beſah ſich Marie von
oben bis unten. Städtiſch
war ſie ja angezogen,
aber fein nicht.

„Magſt du denn auch
auf dem Lande ſein?“

— —

„Na, paß mal auf,
wenn die Landarbeit an-
geht.“

„Ich kann alles ler-
nen“

Hinrich war kein Sa-
lonplauderer, und ſein
Zartgefühl hinderte ihn,
von Berlin anzufangen.
Es mochte dem Mädchen
doch unangenehm ſein.
So ſprach man vom Wet-
ter, vom bevorſtehenden
Markt in Soltau und
daß die Schweinepreiſe
anzögen. —

Am Nachmittage, als
die Arbeit getan war,
ſtand Marie in der Stube
am Tiſche und ſchnitt
aus einem Stück blauer
Leinwand, das Tante
Rike ihrem Koffer ent-
nommen, Küchenſchürzen
für ſich zu, die ſtädtiſchen
langten hier doch nicht recht.

Großvater war mit
Hinrich ins Feld ge-
gangen, um zu ſehen, ob
man ackern könne.

Rike ſaß, die Kaffee-
mühle drehend, am Herde,
da kam ihr Liebling Fe-
dor Kruſe ins Haus.

„Ich muß doͤch ſehen,
wie es hier bei euch ge-
worden iſt, Tantchen!“

„Geh da ſitzen, mein
Jung',“ ſagte ſie, ihm
freundlich zunickend „Und
dann will ich dir erzäh-
len. Vater iſt ſehr nett
mit ihr, und ſie ſoll ganz
dableiben.“

„Sie, immer?“ Sein
Geſicht ſtrahlte. „Aber
wie geht das zu?“

„Pſt — da iſt Peter
um den Weg. Sie hat
ſich zu Hauſe verzürnt,
weil ſie 'nen alten Kerl
freien ſollte, den ſie nicht
mag. Ihr Vater muß
ein Schlimmer ſein, ſonſt
hätt' er uns die Dora
auch wohl nicht wegge-
chleppt.”

Der Kandidat wiegte nachdenklich den Kopf.

„Geh man in die Stube, ich bringe dir ein Schäl-
chen Kaffee.“

Er ſtand gleich darauf neben Marie. „Ich höre
eben, daß du beim Großvater bleibſt,“ ſagte er herz-
lich, „und das freut mich.“ Treuherzig ſchüttelte er
ihr die Hand.

Ihr tat dieſe offen ausgeſprochene freundliche
Geſinnung wohl. Er hatte ja überhaupt etwas ſehr
Vertrauenerweckendes. „Setz dich zu mir, Fedor,“
ſagte ſie, „ich habe dir noch gar nicht gedankt, daß
* mich, geſtern ſo ſorgſam geſtützt und geführt haſt,
aber —“
 
Annotationen