Donnern der Fälle übertönte. Tauſende von Hüten
wurden zu dem Seiltänzer emporgeſchwenkt, und un-
zählige weiße Taſchentücher wehten ihm zu. In
die Büchſen der uniformierten Männer aber, die ſich
durch die Zuſchauermaſſen drängten, um für Signor
Balleni zu ſammeln, regneten von allen Seiten die
klingenden Spenden, denn der Amerikaner iſt frei-
gebig gegen die, die es verſtanden haben, ihn gut
zu unterhalten.
Zeit, ihr Sammelwerk zu beenden, ehe er ſich zum
Rückweg anſchickte. Er überwand ihn mit demſelben
glücklichen Gelingen, wenn er auch das Wageſtück
des Herabgleitens diesmal unterließ. Von unendlichem
Jubel begrüßt, ſtieg er die Leiter hinab und rettete
ſich vor den ihm zugedachten Huldigungen eilig in
das Bretterhäuschen, an deſſen Tür ſein voriger
Begleiter, der kein anderer war als William Peere
aus Drummondville, ihn erwartet hatte. —
Alle Welt war entzückt und begeiſtert. Diejeni-
gen, die den großen Blondin geſehen hatten, ver-
ſicherten, daß ſeine Produktionen durch die heutigen
Leiſtungen des Italieners weit in den Schatten ge-
ſtellt würden, und Signor Balleni war mit einem
Schlage zu einer Welkberühmtheit geworden. Es
fehlte nicht viel, daß ihn überſchwengliche En-
thuſiaſten, nachdem er ſich umgekleidet, auf ihren
Schultern in ſein Hotel getragen hätten, und die
Gaſtwirte an beiden Ufern des Niagara rieben ſich
die Hände, weil ſie einer Reihe goldener Erntetage
entgegenſahen.
Niemand aber mar aufgeregter als der junge
Maler. Er war während der letzten Wochen nicht
nur Ballenis eifrigſter Gehilfe geweſen, ſondern auch
ſein vertrauter Freund geworden. Seiner Umſicht
und Energie allein hatte es der Italiener zu ver-
danken, daß es gelungen war, alle Schwierigkeiten,
die ſich dem Unternehmen entgegenſtellten, rechtzeitig
zu überwinden. Mehr als einmal hatte er ihn in
überſchwenglichen Worten ſeiner Erkenntlichkeit ver-
ſichert. Heute nun hatte er Gelegenheit, zu beweiſen,
daß es ihm mit dieſen Verſicherungen ernſt geweſen
ſei, und er entledigte ſich ſeiner Dankespflicht mit
der Freigebigkeit eines Fürſten.
Der Abend war ſchon hexeingebrochen, als Wil-
liam Peere das beſcheidene Zimmex betrat, in
welchem Alice Garriſon wohnte. Sie lag angekleidet
auf einem Ruhebett, denn ihr Befinden ließ ſeit
einiger Zeit viel zu wünſchen übrig, und ſie hatte
nur ſelten das Haus verlaſſen können. Auch der
heutigen Vorſtellung des Seiltänzers hatte ſie nicht
beigewohnt, weil, wie ſie ſagte, ihre Nerven nicht
im ſtande ſeien, derartige aufregende Schauſpiele zu
ertragen.
„Das war ein Tag!! ſagte William
Balleni iſt der beneidenswerteſte aller Menſchen.
Was hilft es unſereinem, ſich jahrelang in heißem
Bemühen aufzureiben, um zu guter Letzt vielleicht ein
winziges Bröcklein armſeligen und raſch vergäng-
lichen Künſtlerruhms zu erringen! Iſt es nicht
tauſendmal beſſer, ſein Leben auf eine einzige Karte
zu ſetzen, ſtatt es langſam und ſtückweiſe hinzugeben?
Dieſer Gymnaſtiker, der geſtern noch ein unbekann-
ter armer Teufel war ift heute ein reicher Mann,
und morgen widerhallt die ganze Welt von ſeinem
Ruhme.“
„Von dem Ruhme eines Seiltänzers, William,“
wandte ſie ein. „Könnteſt du ihn um den beneiden?“
Er hielt in ſeiner Wanderung inne und ſah ſie
mit blitzenden Augen an 40 Balleni iſt mein
Freund, aber als ihm heute die Menge wie in einem
Taumel des Entzückens zujauchzte, da habe ich ihn
von ganzem Herzen beneidet Iſt es nicht ſchließ-
lich gänz gleichgſiltig, wodurch man bexühmt wird?
Glaubſt du, daß das größte und herrlichſte Kunſt-
werk einen ſolchen Sturm der Begeiſterung entfeſſeln
könnte wie heute die Tat dieſes Seiltänzers?“
Aliee ſah den Aufgeregten ſorgenvoll an. Cr
aber mochte ihrem Blick eine andere Deutung geben,
denn er griff plötzlich mit beiden Händen in ſeine
Taſchen und begann ihren Inhalt auf den Tiſch zu
entleexen. da ſteh he 4 agl , de allesiſt
unſer, und wir werden bald noch viel mehr haben,
denn Balleni will ſeinen Niagaraübergang in drei-
tägigen Zwiſchenräumen wiederholen.“
Es ſchien wirklich eine beträchtliche Summe zu
ſein, die Aliee Da vor ſich ſah, eine viel größere
jedenfalls, als Peexe ſie jemals ſeit dem Tode ſeines
Vaters beſeſſen Aber die Freude, die er durch den
Anblick des Geldes hervorzurufen geglaubt hatte,
zeigte ſich nicht auf ihrem Geſicht.
Eine kleine Weile ſchaute ſie ſtill vor ſich hin,
dann ſagte ſie beklommen: „Ich möchte dir einen
Vorſchlaß machen, William! Ich weiß, daß es dein
ſehnlichſter Wunſch iſt, wieder nach Italien zu gehen
und dort deine künſtleriſche Ausbildung zu vollenden.
Du biſt großmütig genug geweſen, mich mitnehmen
zu wollen. Aber ich würde dir nur eine Laſt ſein, die
dich dort wie hier am Vorwärtskommen hindert —.
zumal jetzt, da ich ſo kränklich bin Laß mich alſo
hier auf deine Wiederkehr warten und reiſe allein.
Dieſe Summe reicht ſicherlich aus, die Koſten zu be-
ſtreiten, und Herr Balleni hat dich hier wohl nicht
mehr nötig.“ ; <
Er mar gerührt von der Selbſtloſigkeit ihres Vor-
ſchlages, von ſeiner Ausführung aber wollte ex durch-
aus nichts hören. „Ich gehe mit dir nach Italien,
ſtimmtheik. „Wir haben durchaus nichk nötig, uns
ſchon in dieſer Stunde darübex zu entſcheiden! Denn
es wäre Torheit, wenn ich Baͤllent jetzt verlaſſen
wollte, jetzt, mo für 1hm und damit auch für mich
die goldenen Tage erſt begonnen haben.“
Sie verſuchte nicht weiter in ihn zu dringen, da
ſie einſah, daß es vergeblich ſein mürde. Aber fie
konnte ſeine freudige Erregung nicht teilen, heute
Wochen. Die Veränderung in ſeinem Weſen, die
auffallige Unraſt, die ihn kaum fünf Minuten lang
auf dem nämlichen Fleck duldete, und ſeine immer
wiederholten Äußerungen über das beneidenswerte
Geſchick Ballenis wurden ihr zu einer Quelle der
Angſt und Unruhe-
Während des Tages nahmen William die ge-
ſchäftlichen Angelegenheiten, die cr für ſeinen be-
viihmten Freund zu erledigen hatte, ſehr ſtark In
Anſpruch, und auch die fpäleren Abendſtunden muß-
ten irgend einem wichtigen Zweck gehören, da er
ſich kaum noch bemühte, die Ungeduld zu verhergen,
mit der er ſeine Beſuͤche bei Aliee immer mehr ab-
zuklrzen ſuchte
Balleni, der ſeine Produktion von drei zu drei
Tagen unter ſtändig wachſendem Zulauf der Menge
wiederholte, und dem das Geld. in Strömen zufloß-—
teil, den er ſeinem Gehilfen gewährte, machte ſchon
eine recht auſehnliche Summe ans, und wenn es ihm
darum zu tun'geweſen wäre, ſeinen anfänglich ge-
hegten Plan zu verwirklichen, würde der junge Maler
jetzt ſchon recht wohl dazu im ſtande geweſen ſein.
Aber er ſchien es mit ſeiner italieniſchen Reiſe ſelt-