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Der Zaubertrank.
Eine Vol[fnondngdpt in der Thebaida.
— 57 goldgleißendeSchei-

klaren Luft hoch über
dem fruchtſtrotzenden
Niltale. Aus dem
breiten, glitzernden
Spiegel des heiligen
Stromes heben ſich
palmenbeſtandene In-
ſeln ab; Palmenhaine
und blätterreiche Sy-
komoren, unterbrochen
durch die einer frühen
Ernte entgegenreifen-
den Mais und Zucker-
rohrfelder.

— — Ein einſamer Wan-
Gauchos, — — kochend. derer ſtieg langfam
den holprigen Reitweg herauf, der aus dem engen
Glutkeſſel des Biban el Muluk, den „Pforten der Kö-
nige“ längs der jähen, rötlichgelben Felsmaſſive des
Iybiſchen Gebirges emporführt. Auf der Kammhöhe
angelangt, blieb er in ſtummer Bewunderung ſtehen.
Welch' eine glanzüberſchüttete Weite, in die Rieſen-
reſte von Säulenhallen und Pylonen, Grabmälern und
Paläſten ihre ſchwarzblauen Schlagſchatten werfen!

Ein paar Minuten mochte der Fremde, den ſeine
weſteuropäiſche Kleidung als ſolchen erkennen ließ,
in wortloſem Schauen dageſtanden haben, als plötz-
lich ein leiſes Stöhnen an ſein Ohr drang. Ge-
ſpannt lauſchte er. Das Achzen wiederholte fich, und
vernehulich klang es durch die Nacht: „Help! help!“

„ Where are you?“ rief er und ging der Stimme
nach. Wenige Schritte abwärts hockte auf einem

Steine am Wegrande eine weibliche Geſtalt, die bei
ſeinem Erſcheinen ein erleichtertes: „Heaven be
praised!“ ausſtieß. —

„Was iſt Ihnen zugeſtoßen?“ fragte der Hinzu-
getretene, ſich ebenfalls der engliſchen Sprache be-
dienend. Dabei ſah er in das blaſſe, ſchmerzverzogene

Geſicht einer jungen Dame, die ſicherlich, trotz ihres
einfachen Lodenrockes und der ſchmuckloſen Seiden-
bluſe den höheren Ständen angehörte.

„Ich habe mir den Fuß verſtaucht, wenn nicht
gar gebrochen und liege ſeit Sonnenuntergang hier.“
Nette Beſcherung!“ ſagte der

Mann auf Deutſch vor ſich hin.



Tour nach Edfu, zu der ich keine Luſt verſpürte. Da
wollte ich mir den Tempel am Der el bahri anſchauen
und hier oben den geprieſenen Mondaufgang erwarten.“

„Hinunter können Sie heut unmöglich mehr.
Ich bitte Sie alſo, meine Gaſtfreundſchaft anzu-
nehmen, ſo wie ſie halt die Wüſte bieten kann.
Ich heiße Kernholz, bin Archäologe und durchſtöbere
zur Zeit die Königsgräber.“

„Mein Name iſt Eveline Glennismoore.“

„Eine Verwandte des bekannten Parlamentariers
und Kunſtfreundes?“ ;

„Seine Tochter.“

„Nun laſſen Sie mich aber einmal nach Ihrem
Fuße ſehen, mein Fräulein.“ Er verſuchte den der-
ben Schuh von dem verletzten Gliede zu löſen, und
ſie ließ ihn ohne Prüderie gewähren. Plötzlich ſtieß
ſie einen Wehruf aus. Da zerſchnitt er kurz entſchloſſen
die Schnürbänder. Der Knöchel zeigte ſich geſchwollen
und glänzend gerötet. „Für den Augenblick werde ich
ſchon Rat ſchaffen; das übrige wird ſich morgen finden.“

Darauf ließ er in beſtimmten Intervallen einige
gellende Pfiffe ertönen, die ſofort von einer Seiten-
ſchlucht her in derſelben Weiſe erwidert wurden.


im Geſchwindſchritt. „Schnell, ſchnell, Joſeph,“ rief
Kernholz, „hier iſt eine Dame verunglückt. Wir
müſſen ſie zum Zelte tragen.“ Er faßte in feſtem
Griffe mit ſeiner Rechten die Linke des Dieners;


auf dieſem eigenartigen Tragſeſſel Platz nahm.
Schritt für Schritt ging e& nun in einem kleinen
Tälchen bergan, bis man nach etwa einer Viertel-


terraſſenförmigen Vorſprunge aufgeſchlagen war.
Einige Schritte davon lagerten zwei Kamele am
Boden, neben ihnen, in hellfarbige Mäntel gehüllt,
ihre Treiber.

Die Verletzte wurde ſorgfältig auf das eiſerne
Feldbett niedergelegt. Der Profeſſor entzündete eine
Kerze und unterſuchte noch einmal genau den kranken
Fuß. Für ſeine Forſchungsfahrten in kulturferne
Gegenden waren ja einige mediziniſche Vorkenntniſſe
und eine gewiſſe chirurgiſche Handfertigkeit unum-
gänglich notwendig. Der Knöchel war glücklicher-
weiſe nur verrenkt. Ofters erneute Kompreſſen mit
kühlem Waſſer, das ſich noch vorfand, brachten ſicht-
liche Erleichterung. Trotz deſſen überkam die Pa-
tientin ein leichter Ohnmachtsanfall.

„Hunger,“ ſprach der Profeſſor vor ſich hin.

„Konnt' mir's denken!“ Er trat vor das Zelt. Dort
hantierte Joſeph an einem kleinen Petroleumofen,
und bald darauf präſentierte der Archäologe ſeinem
Schützling einen Becher mit einer köſtlich duftenden
Flüſſigkeit.

Das junge Mädchen nahm mit augenſcheinlichem
Wohlbehagen den aromatiſchen Trank. Er wirkte
Wunder. Die Farbe kehrte in die bleichen Wangen
zurück und der Blick wurde lebhafter.

„Noch gefällig?“

S —

„Nun verraten Sie mir bloß, verehrter Lebens-
retter, was für einen Zaubertrank Sie mir da ge-
reicht haben,“ ſagte Eveline neugeſtärkt.

„In der Tat ein Zaubertrank. Bouillon aus
Liebig's Fleiſchextrakt.“

„Alſo das? Ich habe ſchon oft davon gehört,
aber bis jetzt noch nie Gelegenheit gehabt, die be-
lebende Kraft dieſes Präparates an mir zu erproben.
Dem Mann, der das erfunden hat, müßte man ein
Denkmal errichten.“

„Was ſchon längſt geſchehen iſt.“

„Rauchen Sie?“ fragte Lady Eveline unver-
mittelt.

„Leidenſchaftlich.“

Alſo zünden Sie ſich eine Zigarre an und er-
zählen mir zwiſchen Ihren Samariterdienſten etwas
von Ihrem Wunderextrakt.“

„Das kann ich umſo beruhigter, als ſchon ein
Treiber mit der Hiobspoſt unterwegs iſt.“

Der Profeſſor ſchlug den Vorhang weit zurück,
ſo daß das Mondlicht in ſilbernen Strömen herein-
flutete. Dann ſetzte er ſeine Zigarre in Brand,
ließ ſich auf einem Klappſtuhle nieder und begann:
„In Ihrem Vaterlande, Lady Eveline, der klaſſiſchen
Heimat des Roaſtbeef und der Ortailſoup, gibt es
einen ſtattlichen Rinderſchlag. Aber ihm ebenbürtig
ſind die Herden, die ſich weit unten in Argentinien
auf den Weideplätzen der Liebig-Compagnie bei Fray-
Bentos tummeln, auf einer Fläche, die mit ihren
nahezu 300,000 Hektaren das deutſche Großherzog-
tum Mecklenburg-Strelitz noch um 70 Quadrat-
kilometer übertrifft. Alles noch von den ſpaniſchen
Konquiſtadores eingeführtes Raſſeblut, aber immer
regeneriert durch die berühmteſte europäiſche Zucht.
Und Sie ſollten die berittenen Hirten, dieſe halb-
ziviliſierten, wildmaleriſchen Gauchos, ſchauen, wenn
ſie auch den ungebärdigſten Stier durch den mit

*

unfehlbarer Sicherheit geworfenen Laſſo bändigen.“

Ich wollte nach Kurna hinun- |
ter,” fuhrdas Fräulein, mun gleich⸗-
falls deutſch, wenn auch mit frem-
dem Aecent redend, fort. „Der

Eſeljunge hat wegen dieſes elen-
den Steiges ſein Tier auf einem
anderen Wege zu Tale geführt
und erwartet mich unten.“
Soallein reiſen Sie in dieſer
Ode?“

Nie wieder,“ entgegnete ſie
— Mmatt lächelnd. „Unſere Coof’{che
Dampfdahabije liegt bei Luxor
vor Anker. Papa iſt auf einer


„Haben Sie es denn ſelbſt
O geſehen, mein Herr?“

„Allerdings. Gelegentlich einer
Überſteigung der Anden von den
La Plata⸗Staaten aus lernte ich
dieſen großartigen Betrieb aus
eigener Anſchauung kennen.“

„Sie machen mich immer neu-
gieriger.“

„Begleiten wir alſo ſolch ein
gewaltiges Pampastier auf dem
Wege von der endloſen Gras-
ſteppe in den Liebigtopf..

Nach ſorgfältiger Pflege wer-
den die wohlgenährten Tiere durch
einheimiſche Treiber, die Troperos,
 
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