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nnd auch das Zimmer ſeiner Tochter. War ſie
denn noch nicht fertig angekleidet? Er ſah ſich um,
uiemand da. Sr rief, kein Menſch in der Wohnung.
Da traf ſein Blick auf den Zettel, der ſeinen Namen
trug. Er las und erſtarrte Sie bat ihn um Ver-
gebung, Hans hatte plötzlich Geld, wollte ſeine
Schulden abtragen, für ihn ſorgen, und nun war
ſie fort.

Er ſchritt ratlos hin und her. Welch unſinniger
Streich! Ob Hans ſie dazu angeſtiftet hatte? Was
würde Goldammer ſagen, daß man ihn ſo fürchter-
lich anführte? Eine plötzliche Angſt vor dem Be-
trogenen, gewiß maßlos Wütenden, befiel ihn. CSr
ſteckte den Zettel in die Taſche und ging mit Männe
durch Aſſels Stübchen in ſein Schlafzimmer. Die
Tür ſchloß er hinter ſich ab, ſetzte ſich aufs Bett
und wartete in großer Spannung, was es geben
werde. —

Anatol Goldammer ſtieg im ſtolzen Bräutigams-
bewußtſein die Treppe zum dritten Stock hinauf.«

Er trat ein, Marie kam ihm nicht entgegen.

— 132 —

Alles leer, und da lag der ganze Brautſtaat, wie
man ihn heute früh hingelegt hatte. Sie mar alſo
noch nicht fertig, was ſollte das Trödeln, und wo
ſteckte ſie?

Da aber lag ein Zettel an ihn, daneben die
Schmuckſachen, die er ihr gegeben.

Starr vor Schreck überflog ſein Blick das Papier.
Schuld bezahlen — zerreiße die Feſſel — kehre nie
wiedex. — Aber was ſollte denn al der Unſinn?
Sie war ja ſeine Frau, war er denn verrückt, ſo
etwas war ja undenkbar! Wo ſteckte denn die ganze
Bande?

Schreiend, Türen ſchlagend, tobend rannte er
umher. Er kam an Liebreichs Kammertür, trommelte
mit den Fäuſten daran und brüllte: „Wo verkriechen
Sie ſich denn, Sie Halunke, Sie Feigling?“

Innen hielt der Entſetzte ſeinem knurrenden Hunde
das Maul zu und duckte ſich, den ſtarren Blick auf
die Tür geheftet, ſo klein zuſammen, wie er nur
konnte.

Nach einem nochmaligen Fußtritt gegen die Tür,


Das Wart traf ihn am wunden Fleck ſeiner
. 0, 1a5 MM en CS — en
Sie — Sie find meine einzige Freundin!“ ſtammelte
er in tödlicher Angſt vor dem Aufſehen und einer
neuen Demütigung. Er klammerte ſich, verzagend
unter der Wucht dieſer Vorſtellungen an ihren Axm,
und ſein Flehen ging in trockenes Schluchzen über.

„Kommen Sie,? rief die Franzöſin entſchloſſen
und zog ihn zur Treppe.

„Was wollen Sie tun?“

In dieſem Augenblick kam Florian die Treppe
heraufgeſprungen. Der Zylinder war ihm bis auf
die Augen, heruntergerutſcht, und er ſah ſehr ein-
geſchüchtert aus. „Der Schutzmann will den Wagen
nicht länger dulden“ rief er, „er ſagt, die Paſſage
wird gehemmt Warum kommt ihr denn nicht?“

„Marie iſt plötzlich erkrankt,“ erwiderte jetzt
Mademoiſelle Duvernier mit großer Faſſung „Die
Trauung kann nicht ſtattfinden, ſie wird aufgeſchoben,
es muß alles abbeſtellt werden.“

Wie geknickt, außer ſtande allein zu ſtehen, ſtützte
Goldammer ſich auf ſie, während ſie die Treppen
hinuntergingen.

Unten hatte er ſich ſo weit gefaßt, daß er, ſtam-
melnd und mit ſichtlicher Verſtörtheit, die hilfreiche
Lüge ſeiner Freundin öfters wiederholen konnte.
Sr irat Jogar an den Wagen, den noch immer der

Galonierte geöffnet hielt, und gebot dem Kutſcher,
nach Hauſe zu fahren.

Die Menge verlief ſich murrend.
die Braut ſie ſo anführen und plötzlich erkranken!

Nachdem Goldammer es über ſich gewonnen,
dieſe erſten notwendigen Anordnungen zu reffen,
ging er ſchwankenden Schrittes in ſein Kontor.
Mademoiſelle Duvernier folgte ihm.

Er braͤch auf ſeinem Schreibſtuhl zuſammen und
ſtöhnte kläglich. Aufälle von Wut, von Anklagen
wechſelten mit Zerfnirfchtheit. In allen Stim-
mungen wußte Heame das rechte Wort zu finden,
ihn zu beruhigen, zu tröſten

Draußen ſchlüpften die Töchter des Verlaſſenen
in den Laden. E3 mar hier auf der Diele doch avg
zugig, und bewundert hatte man fie mun auch genug.
Ob fie ſich ausziehen ſollten? Aber das Hochzeitsmahl?
Wurde wirklich nichts daraus? Sie hatten ſich ſo
rieſig gefreut ünd jetzt ſpürten ſie einen Wolfshunger.

Sinftmweilen konnten ſie im Laden mit den Ver-
fänferinen das Vorgefallene beſprechen und aller-
hand Mutmaßungen daran hüpfen.

Florian blieb auf der Diele ftehen. Er traute
ſich nicht ins Kontor, aber vielleicht konnte ſein Vater
ihn gebrauchen. Da wollte er doch zur Hand fein.
Er dachte an die Kirche, wo der Geiſtliche und die
Gäſte warteten, und an das Hotel mit dem fertigen


an der das Schloß jedoch nicht nachgab, taumelte
Boldammer, vox Wut ſchwankend, wieder auf den
Flur hinaus. Hier ſtand zitternd vor Schreck an


„Aber was gibt es denn hier?“ jammerte ſie.
„Welch ein Lärm! Wo bleiben Sie, warum kommen
Sie denn nicht??

Mit gerungenen Händen wankte der Mann ihr
entgegen! „Fort iſt e brüllte &. Angeführt ven
dieſem Geſindel, das ich mit Wohltaten überhäufte!“

„Marie?“ fragte ſie und wich zurück, erbebend
vor ſeiner Bnnn

„Weg — auf und davon — hier,“ er warf ihr
das zerknitterte Blatt hin.

Wie entſetzt JAıg e die Hände zuſammen
„Aber das iſt ja ſchrecklich, unfaßlich! Die Herzloſe
— Pflichtvergeſſene — Undankbare!“

„Schändlich — infam!“ ;

Aber was mun Herr Goldammer? Um Gottes
willen, faſſen Sie fich, mir müſſen ſuchen, Skandal
zu vermeiden?


(S. 131)

Gſſen. Dies mußte doch nun alles abbeftellt werden,
aber ex magte nicht, es ohne Auftrag zu tun. Es
gingen hier noch immer Leute ab und zu, und
manches Wort wurde gewechſelt }

Sollte er's mwagen, nach Marie zu fehen? Ob
ein Arzt oben war? Die ganze Sache fam ihm un-
heimlich und ſeltſam vor, und er meinte, es fel am
beſten, hier auf dem Poſten zu bleiben und nichts
eigenmächtig zu unternehmen.

Ganz' leife getuſchelt lief ein aufregendes Ge-
rücht durchs Haus, gleich einem Dunft 30g cS durch
Schlüffellöcher und Räume. Von Unglauben, Achſel-
zucken, Staumen begleitet, raunte man ſich zu: —
mwollte ihn nicht — ſie iſt fort — durchgegangen!“
Hatten Leute aus dem Hinterhauſe Marie mit Aſſel
über den Hof ſchlüpfen fehen, oder woher wußte
man’s? — AWber das Gerücht verſtärkte fich, fand
Gläuben, wurde weitergetragen und lebhaft be-
ſprochen. Sollte es möglich ſein, daß dies arme
Mädchen eine ſo gute Partie aufgab?

Yım kam Haus Aſſel nach Haufe. Florian lief


ſie iſt krank geworden, es gibt keine Hochzeit!“
„Glaub's'nicht,“ ziſchelte eine dex Friſeuſen, die
vorbeihuͤfchte, „ſiè iſt weg, ſie mag ihn nicht.“ Und
ſie kicherte ſpöttiſch. ;
Affet ſuchte mit ſcheuem Seitenblick am Kontor
 
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