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ausforderung kam, bexechtigt, zuerſt zu kämpfen, ein
Vorrecht, das ihm Charles vergebens auszureden
ſuchte. Die Brüdex begaben ſich mit ihrem Vater,
Sir William Brandon, zur vexabredeten Zeit nach
dem Kampfplatze, mo ſie Judſon und ſeine beiden
Sekundanten bereits vorfanden.

Obgleich Sir William, ein noch kraftvoller Mann,
in Waffengeſchicklichkeit wenig ſeinesgleichen hatte
und ſeine Söhne ihm hierin keineswegs nachſtanden,
fühlten ſie doch alle, daß bei Judſons bekannter


dieſes Duell den Tod bedeute. Furchtlos ſtellten ſie
ſich jedoch ſeiner Klinge.

Es war ein nebliger Märzmorgen. Gleich zu
Anfang des Kampfes zeigte ſich, daß der ältere Bran-
don dem Gegner an Kraft und Geſchicklichkeit über-
legen war. Nach wenigen Hieben jedoch bog ſich
Brandons Klinge und brach kurz am Heft ab, als er
eben im Begriff war, zuzuſtoßen. Judſon zielte hier-
auf wohlüberlegt, mit boshaftem, ſiegesgewiſſem
Lächeln nach dem Herzen ſeines Gegners, durchbohrte
es mit ſeiner Klinge, und nicht genug damit, durch-
wühlte er noch in grauſamer Mordluſt die Wunde.

Sofort zog Sir William die Klinge und trat für
ſeinen toten Sohn ein, um ihn zu rächen. Wieder
brach bei dem Stoße, der todbringend ſein ſollte,
die Klinge, und gleich dem Sohn fiel auch der
Vater.

Jetzt kam der jugendliche Charles an die Reihe.
Mutig und furchtlos, den ſicheren Tod vor Augen,
ging er auf ſeinen Gegner los. Er war ſich ſeiner
Uberlegenheit an Kraft und Gewandtheit ſeinen
beiden Vorgängern und Judſon gegenüber wohl
bewußt, allein die Hand dieſes Mannes ſchien
nun einmal die Hand des Todes zu ſein. Da gab
eine ungeſchickte Wendung Judſons dem jungen
Brandon Gelegenheit, einen Todesſtreich auszuführen,
aber auch ſeine Klinge, gleich der ſeines Vaters und
Bruders, bog ſich, ohne einzudringen. Allein dies-
mal brach ſie nicht, und der Stoß offenbarte die Ur-
ſache von Judſons Unbeſiegbarkeit im Zweikampfe:
er trug ein Panzerhemd.

Nunmehr war Brandon voll Siegeszuverſicht und
überzeugt, daß er bald die Gemordeten gerächt haben
würde, denn er wußte jetzt, daß ſein Gegner in
ſeinen Bewegungen gehemmt war. Somit beſchloß
er, ſich zunächſt auf die Abwehr zu beſchränken, bis
Judſons Kräfte nachließen, um ihn daun zu töten,
wann und wie ihm beliebte.

Judſons Atem wurde in der Tat bald ſchwerer
und ſchwerer und ſeine Hiebe kraftlos. „Junger
Mann, ich möchte dich ſchonen,“ rief er, „genug deines
Geſchlechtes habe ich ſchon getötet. Stecke dein
Schwert ein, wir wollen uns verſöhnen.“
Brandon erwiderte: „Feigling, du biſt verloren,
ſobald deine Kräfte nachtäſſen. Wenn du verſuchſt
zu fliehen, werde ich dich niederſtoßen wie einen
Hund. Ich werde bald mit dir fertig ſein; du biſt
ſchon verloren. Meinen Degen will ich nicht an
deinem Panzerhemd abbrechen; ich werde warten,
biS du aus Schwäche umſinkſt! Schlag uur zu, du
Bluthund!“

Zudſon war blaß vor Erſchöpfung, und ſeine
röchelnden Atemzüge kamen nur noch ſtoßweiſe, wäh-
rend er den unbarmherzigen Schwertſtreichen aus-
zuweichen ſuchte. Endlich gelang es Brandon durch
eine geſchickte Wendung, Juͤdſons Schwert weit weg
zu ſchleudern. Dieſer mächte Miene zu entfliehen,
wandte ſich jedoch wieder um und ſank, um fein
Leben flehend, auf die Kniee nieder. Als Antwort
darauf durchſchwirrte Brandons Stahlklinge blitzartig
die Luft und die Spitze ſchnitt Judſon nütten durch
Augen und Naſe, Er mar feines Augenlichtes be-
raubt und entſtellt für das ganze Leben; der Tod
wäre wohl, im Vergleich zu dieſer Rache, eine Barm-
herzigkeit geweſen.

Das Duell erxegte Aufſehen im ganzen König-
reiche, denn Judſons Ruhm als Zweikaͤmpfer war
über das ganze Land verbreitet. Er war des öfte-
ven hei Hofe geweſen und hatte einmal in einem
Turniere zu Ehren des königlichen Geburtsfeſtes in
den Schranken mitgekämpft. So wurde bei Hofe
viel über das Ereignis geſprochen, und Brandon mit
einem Schlage Gegenſtand allgemeinen Aufſehens.
Das Intereſſe für ihn wurde noch gefteigert Durch
die Berichte über ſeinen Mut und' feiue Tapferkeit
im Felde, und durch die Kunde von Waffentaten,
die ihn den beſten Rittern würdig zur GSeite
ſtellten.

Brandon hatte einen Oheim am Hofe, Sir Tho-
mas Brandon, Stallmeiſter des Königs. Dieſer hielt
die Gelegenheit für günſtig, ſeinen Neffen einzufüh-
ren Er brachte die Augelegenheit mit Erfolg vor
den König, und Charles Braͤndön, geleitet von der
Hand des Schickſals, kam an den Hof zu London.

— 901 —

Zweites Kapitel.

Wir alle waren überzeugt, daß der junge Bran-
don ſchuell des Königs Gunſt erlangen würde.
Welche Ehren und Auszeichnungen dann des jungen
Helden warten konnten, war nicht abzuſehen, denn
in ſeiner ſelbſtherrlichen Art teilte der König Amter
und Würden aus, wie es ihm beliebte. Wenn der
König an den ſtarken Muskeln eines ſeiner Leib-
gardiften Gefallen fand, konnte es ihm einfallen, ihn
zu ſeinem Kampfgenoſſen im Turniere zu wählen.
Auch Witz und Schlagfertigkeit wußte der Monarxch
zu ſchätzen, und den glücklich damit Begabten ſchuf
er Hofſtellungen und hielt ſie ſo in ſeiner Umgebung
feſt! Auch mich hat die gütige Natux mit einem
geſunden Mutterwitz begnadet, ſo daß ich mix ſchmei-
cheln darf, in des Koͤnigs Tafelrunde nicht das
ſchlechteſte Mitglied geweſen zu ſein.

Aus verſchiedenen Gründen war ich beim König
gut angeſchrieben; einmal, weil ich keinen Pfennig
aus ſeiner Kaſſe bezog, und dann meiner Manieren
halber, die ich darf es, ohne eitel zu ſein, ge-
ſtehen — viel feiner und gefälliger waren, als man
es ſonſt zur damaligen Zeit in England gewohnt war.

Die franzöſiſche Hauptſtadt war der Mittelpunkt
aller Bildung und feinen Sitte, und ich hatte mir
zur Pflicht gemacht, jedes Jahr einige Wochen dort
zuzubringen. Dem hatte ich auch meine Berufung
an den Hof zu danken. Wohl hielt dex König viel
auf meinen Bruder, den Baronet, doch dieſer konnte
es mir nie verzeihen, daß mein Vater mir ein ſo
gutes Auskommen geſichert hatte, anſtatt das ganze
Vermögen dem Erſtgeborenen zu hinterlaſſen und
mich von deſſen Gnade abhängig zu machen. Ich
war klein von Geſtalt und konnte mich im Lanzen-
ſpiel nicht mit ſtattlicheren Männern meſſen. Da-
gegen galt mir — ich ſage es offen und wer würde
ſich deſſen nicht rühmen! — manches holde Lächeln
und mancher feurige Blick einer Schönen, nach dem
vielleicht ein Kämpfer im Turnier vergeblich ge-
ſchmachtet hatte.

Brandons Ankunft in London war mir nicht ſo-
gleich kund geworden. Wir befanden uns damals
alle in Greenwich, während der König in Weſtminſter
ſich mit dem Parlamente herumzankte, das wegen
des Betrages gewiſſer Subſidien zu Rate ſaß.

Prinzeſſin Mary, des Königs Lieblingsſchweſter,
war in Windſor zu Beſuch bei ihrer Schweſter Mar-
garete von Schottland. Sie war damals achtzehn
Jahre alt und im Begriff, ſich aus der lieblichſten
Knoſpe zu einer vollkommenen Blume zu entfalten.

In den Tagen, als Brandon dem Könige in
Windſor vorgeſtellt wurde, fand ein Turnier ſtatt,
das Heinrich zur Feier eines für ſeine Finanzen
günſtigen Parlamentsbeſchluſſes gab. Er hatte da-
für eine beſondere Kberraſchung vorgeſehen.

Die Königin mit ihren Damen war geladen, und
auch Mary ſollte von Windſor kommen, um nach-
hex mit dem König und dem ganzen Hof nach Green-
wich zurückzukehren.

Als alles auf dem Turnierplatze verſammelt war,


einem wallenden Gewand von purpurrotem Atlas.
Mit tiefer Verneigung überreichte er der Königin
eine Bittſchrift, worin er um die Gnade bat, zu
ihrer Ehre am Turniere teilnehmen zu dürfen. Seine
Bitte ward huldvoll gewährt.

Es dürfte ſchwer ſein, all die Waffentaten auf-
zuzählen, die an dieſem Tage geſchahen. Der König
war in glänzender Laune, und er ſowie der Fremde
trugen die erſten Preiſe davon.

Als die Königin dem Unbekannten ihre Erlaub-
nis zum Rennen gegeben hatte, und er alsdann
ſeinem Roſſe die Sporen gab, da erhob ſich auf dem
Platze der Frauen ein lautes Beifallklatſchen und
Schwenken der Taſchentücher, denn trotz der glänzen-
den Erſcheinung des Königs leukte das ſchöne Ant-
litz und die edle Haltung des Fremden aller Blicke
auf ſich. Sein Haar fiel in braunen, wallenden
Locken pon der Stirn bis zu den Schultern herab,
wie es damals in Frankreich Mode geworden war.
Seine Augen waren von tiefem Blaulund ſeine Ge-
ſichtsfarbe, obgleich wettergebräunt, doch ſo zart, daß
ihn ein Mädchen darum hätte beneiden können Er
teug keinen Baxt, wie er jetzt meiſt das Antlitz der
Männex entſtellt, und ſein edles Profil mit der
wohlgeformten Naſe und der ſcharfgeſchnittenen Linie
des Mundes zeugten von Milde, Güte, Kühnheit
und Kraft.

Ich ſtand in der Nähe der Königin, und ſie rief
mir zu: „Wer iſt der ſchöne Fremde, der ſo an-
mutig unſere Exlaubnis zum Rennen einholte?“

„Ich kann Eurex Majeſtät keine Auskunft geben;
auch ich ſehe ihn ſoeben zum erſten Male, und er
dünkt mich der ſchönſte Ritter, den ich je geſehen.“

„Zweifellos iſt er das,“ erwiderte die Königin,
„und wir möchten ihn ſehr gern kennen lernen.
Was ſagen meine Damen dazu?“

Allgemeine Zuſtimmung war die Antwort, und
mit dem Verſprechen, nach dem Turnier alles, was
ich über ihn erfahren könne, zu bexichten, entfernte
ich mich.

Auch Prinzeſſin Mary war neugierig geworden
und bat mich um genaue Auskunft. Als ich ihr
dieſe nicht geben konnte, wandte ſie ſich an den
König, und ich hörte ſie fragen: „Bruder, ſage, wer
iſt dein neuer Kampfgenoſſe?“

„Das iſt Geheimnis, ſchönes Schweſterchen,“
ſcherzte dieſer, „du wirſt es aber bald genug aus-
findig machen und dich zweifellos in ihn verlieben,
ich ſehe es ſchon kommen. Kaiſer und Könige haben


ihr Fürſprecher, verſagte meine kleine Spröde erſt
recht Der Unbekannte, der des Königs Widerſpruch
erregt, wird in deinen Augen ungeheuer ſteigen. Aber
hüte dich!“

„Wäre dir der Unbekannte nicht genehm?“ fragte
Mary mit ſchelmiſchem Lächeln und blitzenden Augen.

„Gewiß nicht,“ erwiderte der König.

„Dann werde ich mich ſofort in ihn verlieben.
Ich glaube ſogar, ihn ſchon zu lieben.“

„O, daran zweifle ich keinen Augenblick. Hätte
ich ihn dir beſtimmt, ſo könnte er Apollo ſelbſt ſein,
und du wollteſt ihn nicht.“

„Könnt Ihr mir nicht wenigſtens ſagen, wes
Standes er iſt?“ fuhr Mary in neckendem Tone
fort.

„Er hat gar keinen Rang; er iſt ein einfacher
Soldat ohne Titel, nicht einmal ein Ritter, wenig-
ſtens kein engliſcher. Ich glaube, er gehört irgend
einem ſpaniſchen oder deutſchen Orden an.“

„Kein Herzog, kein Graf, nicht einmal ein Baron
oder Ritter? Jetzt fängt er wirklich an, intereſſant
zu werden

„Es ſcheint ſo, aber laß mich jetzt in Frieden?

„Wird er heute abend auch am Tanz teilnehmen?“

„Nein, gewiß nicht!“ —

Mit Bankett und Tanz in Weſtminſter ſchloß
das Feſt. Am anderen Morgen ließen wir uns
alle, Lady Mary ausgenommen, mit der Fähre nach
Greenwich überſehen Tags darauf kehrte ich nach
London zurück und ſuchte den Kanzler Wolſey auf,
um ein Buch zu entlehnen. Dort ſtellte mir Maſter
Cavendiſh, Wolſeys Sekretär, den ſchönen Fremden
vor, der kein anderer war als Charles Brandon,
der Held des blutigen Duells in Suffolk. Sein
ſanftes Ausſehen ließ kaum einen ſolchen Helden in
ihm vermuten, hätte nicht ſein flammendes, feuriges
Auge verraten, daß hier Mut und Kühnheit neben
der Milde herrſchten.

Wir fühlten ſofort eine gewiſſe Seelenverwandt-
ſchaft heraus, jener zarte, unwiderſtehliche Vor-
bote wahrer Freundſchaft. Verſchiedene gemeinſame
Liebhabereien, unter denen die Liebe zu Büchern das
ſtärkſte geiſtige Band bildete, machten uns raſch zu
Freunden. Auch Brandon mar zu Maſter Capen-
diſh gekommen, um aus ſeiner reichhaltigen Biblio-
thek einige Bände zu holen und mit nach Greenwich
zu nehmen.

Dort angekommen, ſuchten wir Brandons Oheim,
den Stallmeiſter, auf, der ſeinen Neffen einlud, bei
ihm zu wohnen. Dieſer jedoch zog es vor, mein Gaſt
zu ſein.

Am nächſten Tage wurde Brandon zum Haupt-
mann in der königlichen Garde ernannt, und ſollte
der jeweiligen Befehle feines königlichen Herrn ge-
wärtig ſein und im Schloſſe wohnen. Es ließ ſich
einrichten, daß er mein Nachbar wurde. Unſere
beiden Schlafräume hatten ihren Ausgang in ein
drittes Zimmer, das wir als gemeinſchaftlichen
Empfangs- und Waffenraum benützten.

Hier brachten wir unſere Mußeſtunden zu in ge-
mütlichem Plaudern, dann und wann uns ſchöne
Stellen aus Büchern vorleſend. Wir beſprachen
alles, was unſere Herzen bewegte. Wir teilten
uns, wie es gute Freunde zu tun pflegen, all
unſere Geheimniſſe mit. Brandon, der ſeit ſeinen
Jünglingstagen im Felde geſtanden, beſaß dennoch
das Herz und den friſchen Lebensmut eines Knaben,
der mit dem Netze in der Hand den bunten Schmetter-
lingen nachjagt.

Was wäre denn Freundſchaft, frage ich, könnten wir
nicht vertrauensvoll zum Freunde kommen mit unſerer
Freude und unſeren Schmerzen? Ein in Freude
überſtrömendes Herz hat noch in viel höherem Maße
den Wunſch und das Bedürfnis, ſich einer mit-
fühlenden Seele anzuvertrauen.

So teilte mir Brandon all ſein Hoffen und
Sehnen mit, ſein Verlangen, ſo viel Geld zu er-
werben, um ſein väterliches Gut von Schulden be-
freien zu können. Er hatte das ganze bewegliche
Erbe ſeinen jüngeren Geſchwiſtern überlaſſen, denn
zu einer Teilung ſchien es ihm zu wenig. Dieſe
Aufgabe wollte er noch gelöſt wiſſen, dann aber
wollle er gen Neuſpanien übers Meer ziehen!
Die Weltumfegelungen des großen Kolumbus, Ca-
 
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