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„Puh!“ fagte er und rümpfte die Naſe, da fragte
eine gröhlende Stimme in unwirſcher Weiſe: „Was
wolln S' denn?“

Ein fettes, altes Weib ſtand vor ihm. Sie war
ſehr kurz geraten, und ihre Beleibtheit deshalb umſo
auffallender.

@ 309 den Hut „Dabe ih) die Chre, Fran
Turnauer zu ſprechen?“ fragte er artig.

—— 4

„Dann bin ich ja vor der richtigen Tür.“

„Aber ich weiß halt noch immer nit, was Sie
woll'n.“

„Das werden Sie ſofort erfahren, werte Frau,
wenn Sie mir erlauben wollen, mit Ihnen von
Ihrer Tochter zu reden.“

7 on MWOUES 2——

—— Oan er Nal

„Was hat denn die mit Ihnen zu ſchaffen?“

Die Alte war neugierig geworden. Sie wich jetzt
in die Stube zurück, aus der ſie gekommen war,
und der Detektiv folgte ihr.

Es empfing ihn darin gerade keine Alpenluft,
und das allein ſchon hätte aus dem kleinen Raum
die Gemütlichkeit vertrieben, falls dieſe überhaupt
jemals darin gewohnt hätte. Aber das war wohl
nie der Fall geweſen, denn das einzige keine, ge-
ſchloſſene Fenſter ließ nicht einmal ſo viel Licht her-
ein, um die große Unordnung ſogleich ſehen zu können,
die ſich hier breitgemacht hatte.

Der plumpe Kachelofen ſtand wie ein ſchwarzes
Ungetüm in der einen Ecke. In einem kiſtenähn-
lichen Bett wälzten ſich ein paar junge Hunde, und
auf einem Schrank ſtanden etliche volle Milchſchüſſeln,
an deren Rändern unzählige Fliegen es ſich wohl
ſein ließen. Die vierte Ecke dieſer einladenden
Stube nahm ein mächtig großer Tiſch ein, auf
welchem ſämtlicher Hausrat der Turnauerin ſich
ein Stelldichein zu geben ſchien.

Zu dieſem Tiſch nötigte die Alte jetzt ihren Beſuch.

Wohl oder übel mußte er auf der klebrigen Bank
Platz nehmen, von der das Weib mit einer rückſichts-
loſen Handbewegung eine ſchwarze Katze herabgeſtreift
hatte.

„Alsdann, was iſt's mit der Roſi?“ forſchte ſie,
ſich auf ein Melkſtockerl niederlaſſend.

Neumann ſchluckte ein paarmal, dann ſagte er
reſolut: „Gern hab' ich die Roſi.“

„Wär' nit aus!“ rief die Turnauerin und ſchlug
ſich auf das Knie. „So viel i weiß, hat ja die
Roſi ſchon ein' Liebhaber.“

„Deswegen bin ich ja da.
mir helfen.“

„Ich ſoll helfen? Ja — wie denn?“

„Sie ſoll halt der Roſt zured'n.“

„Wann's aber gar nit da is!“

„So könnt' man ihr ja ſchreiben.“

„Wüßt' nit wohin.“

Das klang merkwürdig kurz und abwehrend Und
wie lauernd der Blick des widerwärtigen Weibes
dabei war!

„Aha, die hat etwas zu verheimlichen,“ dachte
Neumann. — „Alſo Sie wiſſen nicht, wo Ihre
Tochter iſt?“ fragte er laut. „Da kann ich ihr alſo
das Geld gar nicht ſchicken.“

„Was für ein Geld?“ . ;

Die Augen der Alten fingen zu glänzen an.

„Hundert Gulden hin ich ihr ſchuldig.“

„Sie — Dder Roſt?“

„Ja, warum denn nicht? Es iſt ihr ja in Wien
ſehr gut gegangen. Er — nun Sie wiſſen ſchon,
wen ich meine — hat ſie .ja wie eine Dame ge-
halten, und Ihre Tochter iſt nicht ſo dumm, all
das Geld zum Fenſter hinauszuwerfen. Das hat mir
ja eben ſo guk an ihr gefallen, und darum möcht'
ich, daß ſie meine Frau wird.“

„Heixat'n wolln Sie die Roſi?“

Naturſich Und Da ——

Die Alte ließ ihn nicht weiter yedemn. „Hal
Ihnen denn nicht gſagt, wie Sie ihr das Geld zı
ſchicken können?“ forſchte ſie unruhig.

„Geſchrieben hat ſie mir, daß ſie hier ſein wird,
und wenn ich das Geld um dieſe Zeit noch nicht
zurückzahlen kann, würde ich es hier erfahren, 100
ſie wäre?

Da? Bei mir?
die Roſi iſt?“

„Ja, wie ſoll ſie denn ſonſt zu ihrem Geld
kommen?“

„Gehn Sie's nur her. Fürs Weiterſchicken werd'
ſchon ich ſorg'n.“

„Aber Frau Turnauer, Sie werdin doͤch nicht
mißtrauiſch ſein Wenn die Roſt Geheimniſſe vor
mir haben wollte, hätte ſie mir ſo manches nicht
erzählt.“

„Was hat ſ' Ihnen denn erzählt?“
ein Lauern im Blicke der Alten.

„Daß der Gregor geſtohlen hat und eingeſperrt
war.“

Die Turnauerin ſoll

l

2
2

Ich ſoll's Ihnen ſagen, wo

Wieder war

— 258 —


„Und daß ihre vexehrte Frau Mutter oft wochen-
lang nicht aus dem Rauſch herauskommt.“

Das Weib lachte ärgerlich.

„Und daß ihr Vater auch ein Säufer war und
in einer Anſtalt geſtorben iſt.“

A fein's Dirndl, die ſo was weiter ſagt!“

Die Turnauerin ſchlug ſich wieder auf das Knie.
Es war das eine recht unangenehme Gewohnheit
von ihr.

Aber die Frau mochte wohl noch mehr ſolch
unangenehme Gewohnheiten haben. „Und das hat's
alles Ihnen g'ſagt?! Dabei ließ fie ihre glimmen-
den Auglein über ihres Gaſtes allerdings wenig
verführeriſches Geſicht und über ſeine plumpe Ge-
ſtalt hingleiten.

Er zuckte die Schultern. „Sie meinen, weil ich
nimmer ſo gar jung mehr bin? Deswegen hat mich
die Roſt doch gern. Oder weil ich nicht ſo viel Geld
hab' wie der andere? Da irven Sie ſich eben. Es
kann ein jeder einmal in die Klemme kommen. So
iſt's auch mir geſchehn, und da hat mir die Roſi
aus der Verlegenheit geholfen. Das war recht lieb
von ihr. Aber ſchließlich, ſie hat ja nichts riskiert
dabei — ſie weiß ja fehr gut, daß ſie das Geld
wieder zurückbekommt und daß ich im übrigen ge-
rade ſo gut den Kavalier ſpielen kann wie der
andere, nur daß ſie der nie heiraten wird, weil er
nicht kann, daß ſie aber, ſo bald ſie nur will, meine
Frau werden kann Das heißt bald müßte ſie
wollen, denn ſo gern ich ſie hab', gar zu lang wart'
ich nimmer auf ſie.“

Immerfort den zerzauſten Kopf ſchüttelnd, hatte
die Turnauerin diefer Rede zugehört. Als Neu-
mann ſchwieg, meinte ſie: „Ich kann mir nur nicht
denken —“

„Was denn? Mir ſcheint, Sie zweifeln an
meinen Worten. Da, ſchauen Sie, da hab' ich ein
ganzes Packerl Briefe von der Roſi.“ Er hielt ihr
das Beſagte dicht unter die Naſe. „Leſen können
Sie leider nicht, ſonſt würden Sie ſehen, wie lieb
ſie mir ſchreibt. Aber ihre Schrift kennen Sie viel-
leicht doch?“

— Die en ı SE 0ar da d
Roſi g'ſchrieb'n,“ entgegnete wichtig die Alte.

„Nun alſo! Was wollen Sie denn noch für
Beweiſe? Übrigens“ — er griff in ſeine Rocktaſche
— „da habe ich ja noch einen, den beſten. Da gibt's
dann gar keinen Zweifel mehr.“

Er ſchlug die Brieftaſche, die er herausgenommen
hatte, auseinander. Sie beſaß ein Fach, in welches
man eine Photographie ſchieben konnte. Es befand
ſich auch eine ſolche darin, aus dem grünen Leder-
rahmen ſchaute ein ſehr hübſches Frauenzimmer
heraus.

Sehr hübſch, ja, und ſehr feſch, aber auch ein
bißchen auffallend war dieſes Geſicht, in welches
das Leben ſchon etliche ſcharfe Züge gezeichnet hatte.

Frau Turnauer warf nur einen flüchtigen Blick
auf die Photographie ihrex Tochter, dann ſagte ſie,
plötzlich fehr freundlich geworden: „Ich glaub' ſchon.
Alles glaub' ich Ihnen, Herr — Ja, wie heißen
S’ deun eigentlich?“

„Neumann.“?

So, Herr Neumann! Und jetzt ſag' ich Ihnen
auch, wohin S' der Roſi das Geld ſchicken können.“

„Nun endlich,“ dachte der Detektiv, verſtohlen
aufätmend und ſachte zurückweichend, denn die Alte
rückte ihm näher.

Sie ſchien jetzt ganz beruhigt über ſeine Perſön-
lichkeit und ſein Verhaͤltnis zu ihrer Tochter. Und
dieſe Wandlung hatten die vielen blauen Scheine
bewirkt, welche ſeine Brieftaſche füllten.

Alſo — wo iſt ſie denn jetzt die Roſi?! fragte

2


Hand und eine reine Seite ſeines Notizbuches vor ſich
„In Bosnien.“
Gaͤnz leiſe hatte es die Tuxnauerin gefagt.
„n 1 Bosnien Neiann — „ e
Bosnien iſt groß.“

„n 2 Die Alte hatte ſich mehr nicht ge-
merkt! Sie ſtarrte eine Weile vor ſich hin, dann

lachte ſie und erhob ſich ſchwerfällig. Ich werds
gleich haben,“ bemerkte ſie und fing in ihrem Bette
zu fuchen an. ®

Zwiſchen einem Polſter und deſſen ÜWberzug 30g
ſie ein Büchlein hHervor. Es warein kleiner Katechts-
mus, deſſen Inhalt in dieſem Hauſe ſicherlich nicht
tiefe Wurzel gefaßt hatte. Als ihn der Turngnerin
ſchmierige Finger öffneten, zeigte ſich eine ziemlich
dicke Lage von Zehnguldenfcheinen darin, Die Alte
war ſichtlich ſtolz, daß ſie derlei vorweiſen konnte,


intexefſanteſten Buchteilen und tat, als ob fie den
Zettel nicht fähe, dex doch recht auffallend Ddalag.

Endlich aber mußte ſie ihn doch bemerken und
reichte ihn Neumann hin. „Tarein, Bosnien“ ur
dieſe zwei Worte ſtanden darauf.

Der Detektiv notierte ſich auch den genannten
D Sanz leer mar übrigens die Seite, anf die
ex iOn ſchrieb, doch nicht geweſen. Über den zwei
Vorten hefand ſich ein Name, ein Frauenname.
* ſtand darüber „Angela Finkeneder“ MNeumann
lächelte, als er dieſen Namen las. Es war ein
humoriſtiſches Sächeln, das dieſer Name ihm ent-
lockte, aber als ſein Blick auf die beiden geographi-
ſchen Bezeichnungen kam, wurde diefes Lächeln hart.

Veumann erhob ſich.

Er fand, daß er die ekelhafte Luft, in welcher
die alte Säuferin ſich ſo wohl befand, lange genug
eingeatmet habe. Was er hier erfahren wollte, das
wußte er ja ſchon, alſo konnte er gehen.

Er kam nicht mehr darauf zurüc, daß die Tur-
nauerin ihm helfen jolle, Roſis Entſchlüſſe günſtig
ür IOn zu. beeinfluſſen, und im matten Hırn der
i)‚[[tctn war dieſe Vorſtellung auch ſchon eingeſchlum-
mert.

Cr konnte nach wenigen Abſchiedsworten Ddie
Stube und das Haus verlaffen, und er atmete tief
auf, als er ſich wieder in der reinen Luft draußen
befand.

Jaſch ſchritt ex dem Dorfe zu-

In weiten Flur des Löckerſchen Wirtshauſes
kam ihm die hübſche Mizzerl entgegen.

„Spagieren Sie hexein in das Extrazinimer,“
ſagte ſie freundlich. „Oben wird gerade Ihr Bett
überzogen.“

„Ubexflüſſige Mühe,“ lächelte er, „denn, mein
ſchönes Kind, ich muß heute noch wegfähren.“

„Aber warum denn?“ ;

Weil cS mir nicht ganz gehener hier ift, ſeitdem
ich mit dem Herrn Poſtẽnfühler beiſammen geweſen
bin,“ hätte der Detektiv wahrheitsgemäß ankworten
müſſen, aber er ſagte: „Weil ich vorhin in meinem
Fahrplan nachgeſehen und gefunden habe, daß ich
morgen früh nur dann in St. Michael fein kann,
wenn ich heute abend noch wegfahre.“

„Da werden Sie aber doch wenigſtens noch zu
Abend eſſen?“

— nicht
jetzt ſo viel in der Bahn gefahren, daß ich froh bin,
wenn ich ein biſſerl Bewegung und friſche Luft haben
kann. Da geh' ich alſo bis Scheifling, eſſe dort
und komme noch immer bequem zum Poftzug.“

„Ja freilich, ſo können Sie's wohl machen,“ gab_
das blonde Wirtstöchterlein zu.

„Alſo bitte um meine Rechnung.“

„Das Zimmer haben S' ja nicht benützt —“

„Setzen Sie es nur auch auf die Rechnung.“!

Es geſchah. Neumann bezahlte, gab reichliche
Trinkgelder und ging.. Er hatte es fich erklären
laſſen, wie er am beſten nach Scheifling komme, und
ſchlug nach der gegebenen Weiſung den wunder-
ſchönen Fußpfad ein, der unterhalb des Steinberges .
nach Scheifling führt.

Als er jedoch den erſten Hügel hinter ſich hatte
und auf einen Hohlweg traf, welcher gegen rechts
hin zur Bezirksſtraße hinauf führte, bog er in dieſen
ein, denn es war durchaus nicht ſeine Abſicht, nach
Scheifling zu gehen.

Sein nächſtes Ziel mar Kärntens Hauptſtadt,
das freundliche Klagenfurt, woſelbſt die Staatsbahn
und die Südbahn zuͤſammentreffen, wo für ihn alſo
der nächſte Weg nach Bosnien lag. Wohl war der
Detektiv völligfremd in dieſer Gegend, aber die
Linie der Stdatsbahn, welche ſich hoch über ihm
befand, zeigte ihm ja ebenfogut, wie die breite Straße,
auf welcher er ſich befand, die Richtung an, welche
er einzuſchlagen hatte.

Gerade dei Sonnenuntergang kam Neumann
zur Station St. Lambrecht und hatte daſelbſt nicht
lange auf den Abendpoſtzug nach Kärnten zu warten.

Drei Stunden ſpäter ſtieg er beim Sandwirt in

ging, ſorgfältig Toilette und begab ſich dann in den
Froßen Terraſfengarken, wo ihm ein Jamojes Wiener-
ſchnitzel bald ausgezeichnet mundete. Als er üch dann
eine Zigarre anzündete und ſein heutiges Tagewerk
überdaͤchte, nickte er befriedigt.

Er holte fein Kursbuch hervor und las lange
darin, bald da, bald dort eine Seite aufſchlagend
und fich Fahrtanſchlüſſe und Preiſe notierend, und
als er damit fertig geworden war, ſagte er leiſe vor
fich ihn: „Alſo Miltwoch um 2 Uhr 56 werde ich
in Tarein ausſteigen.“ ——

Er hatte die betreffenden Notizen in ſein Buͤch-
lein eingetragen und ſchlug, nachdem er den Bleiftitt
verwahrt hHatte, die Seite auf, welche die viex Worter
enthielt, die des heutigen Tages wichtigſtes Ergebnis
waren. *

Und wieder lächelte er freundlich, als fein Vlick
auf den Frauemamen fiel, und grimmig, als ſein
Auge auf den Ortsbezeichnungen hängen D

Als er ſich danach in ſein Zimmer begab, ſchrieb
er noch zwei Briefe. Einen ſehr kurzen und einen
ſehr langen.
 
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