Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wußtſein des ungünſtigen Eindrucks, den ſein Auße-
res auf jedermann machen mußte, ſo beſcheiden im
Schatten ſaß.

„Ja,“ antwortete er auf Neumanns letzte Frage,
„ja, Herr Loſerth konnte mir eine Meldung machen.
Genau vierzehn Tage nach Ranks Flucht erhielt ich
einen Brief des Buchhalters.“

„Da bin ich aber jetzt neugierig,“ bemerkte Neu-
mann. „Was hat denn der brave Loſerth Ihnen
melden können?“

„Daß ein junger Menſch, gut empfohlen, als
Zeichner ins Haus gekommen ſei, da in aller Be-
fcheidenheit gelebt häbe und dann plötzlich wieder
verſchwunden ſei.“

„Ah! — Und was war's mit dieſem jungen
Menſchen?“

Breuner zuckte die Schultern. „Das weiß ich
heute noch nicht genau. Jedenfalls aber iſt er in
verbrecheriſcher Abficht in Lanskys Haus gekommen.
Er hat ſich dort hineingeſchwindelt, um einen Ein-
bruch zu verüben.“

„Jetzt wird's intereſſant. Was hat er denn ge-
ſtohlen?“

„Merkwürdigerweiſe nur Briefe.“

Briefe? Das iſt freilich ein merkwürdiger Spitz-
bube.“

Verſchiedene Schmuckſachen, nach denen er nur
zu greifen gebraucht hätte, hat er liegen laſſen.“

Neumann ſchüttelte überaus verwundert den
Kopf.

„Und noch zwei Dinge hat er liegen laſſen, der
dumme Kerl.“

„Was denn?“

„Zwei Dinge, davon mir eines ſagte, wer der
Dieb war, während das zweite mich auf ſeine
Spur gebracht hat.“

„Da bin ich aber jetzt ſchon ſehr neugierig!“
ſagte Neumann, und ſein ganzes Weſen bewies die
Wahrheit dieſer Ausſage.

Breuner fuhr fort: „Der Burſche hat zuerſt im
Lanskyſchen Hauſe in einem Parterrezimmer geſchlafen
und hat ſich ſpäter erſt mittels des Vorgebens, er
ſei als Buckeliger und als überhaupt Knochenkranker
gegen Feuchtigkeit ſehr empfindlich, in eine Kammer
des erſten Stockes hinaufgeſchwindelt.“

„Alſo ein Buckeliger war es?“

„Ach was! Der Kerl war ſo gerade gebaut wie
Sie und ich, und ſeine normale Größe trotz des
Buckels iſt einem der Leute, die im Hauſe wohnen,
gleich auffällig geweſen.“

„Und der hat nichts darüber geredet?“

„Nein, Lehnhart — ſo heißt der Betreffende, er
iſt ein Steinmetz — hat nichts ſagen wollen, weil
er erſtens ſeiner Sache doch nicht ſicher war und
zweitens, weil er, der ſchon als Nörgler verſchrien
war und dem beim nächſten Argernis Kündigung
drohte, ſeine Stellung nicht in Gefahr bringen wollte.“

„Aha. — Aber was hätte er denn ausſagen
können?“

„Daß er den Buckeligen einmal, an einem Sonn-
tag, wo der — er hat ſich Kneisl genannt — allein
im Hauſe zu ſein glaubte, mit ganz geradem Rücken
geſehen hat. Er iſt wenigſtens heute noch dieſer
Meinung, und —“

„Weiter,“ drängte Neumann, als ſein Kollege
eine Kunſtpauſe machte.

„Und daß er den Kneisl einmal auf dem Gang
im erſten Stock herumſchleichen ſah. — Na, der
Lehnhart hat ſich nicht geirrt. Dieſer Kneisl war
ein Gauner, nur daß er nicht Kneisl geheißen hat.“

„Sondern?“

„Franz Rauk.“

„Franz Rank!“ wiederholte Neumann, ſtrich ein
Zündhölzehen an und zündete ſich ſeine Zigarre
wieder an „Wie ſind Sie denn auf dieſe Ydee ge-
kommen?“

Auch Breuner mußte ſeine Zigarre neuerdings
in Brand ſtecken. Als dies geſchehen war, ſetzte er
ſich wieder recht behaglich zurecht und fuhr in ſeinem
Bexichte fort. „Natüxrlich bin ich nach Empfang des
Loſerthſchen Briefes ſofort nach Miſtelbach gefahren
und habe mir den Raum, in welchen Rank ein-
gebrochen iſt, genau angeſehen, und nicht minder
genau habe ich die beiden Kammern unterſucht, die
er bewohnt hatte.

Neumann beugte ſich intereſſiert vor. „Was
haben Sie da gefünden?“ fragte er raſch.


Notizbüchlein zum Vorſchein, aus deſſen Seitentäſch-
chen er ein zuſammengelegtes Papier nahm. Er
ſchob e& Neumann zu.

Dieſer faltete es auseinander. Es befand ſich
ein kleines Büſchel Haaxe darin, ein kleines Büſchel
krauſer Barthaare, welche die Merkwürdigkeit auf-
wieſen, daß ſie, wiewohl ſonſt von tiefem Schwarz,
an ihrem einen Ende hellblond waren.

„Dieſer Kneisl hat alſo gefärbtes Haar gehabt,“
bemerkte Neumann, das Papier wieder zuſammen-

— I0 —

faltend und es zurückgebend „Ich nehme nämlich
an, daß Sie die Gewißheit haben diefe Haare feien
vom Kopfe Kneisls.“

Das kann ich ruhig annehmen. Ich hab' das
Haarbüſchel im Ofen gefunden, in welchem er aller-
lei verbrannt hat. € war in ein Papier ein-
gewickelt, das auch ſchon halb verbrannt gewefen
ſt. Es müſſen noch mehr Haare verbrannt worden
ſein und auch Geſchriebenes Aber der Burſche war
nicht vorſichtig genug. Er hat die Papierreſte nicht
zerſtört und hat wahrſcheinlich angenonımen, daß fie
von ſelber in ihre Aſchenteilchen zerfallen werden.
Doch das iſt nicht geſchehen.“ Das Papier, auf
welchem ihm einer — es kann nur ſein Komplize
geweſen ſein — geſchrieben hat, dieſes Papier war
ſehr feſt. Ich haͤbe reichlich eine halbe Stuͤnde vor
dem offenen Feuerloche geſeffen und mir abge-
ſchrieben, was auf dem verkohlten Papier noch
leſerlich war Bexühxen durfte ich es ja nicht. Es
wäre ſofort in Staub zerfallen.“

Wieder griff Breuner in das Notizbuch und reichte
Neumann einen Zettel, auf welchem einige Worte
mit Bleiſtift geſchrieben maren. Sie hießen: „Mut
nicht ſinken — — — — pe Schwierigkeit — ſchau-
ſpielexiſches Kön — — — audy noch immer krank.“

„Aus dieſen Satzteilen ſchließen Sie ſo ſicher,
daß dieſer Kneisl eigentlich der Rank iſt?“ fragte
Neumann.

„Für mich iſt das außer Zweifel. Das „ſchau-
ſpieleriſches Können“ allein ſchon genügt mir zur
Annahme, daß der, dem man das ſchrieb, Rank iſt.
Aber gar die letzten Worte machen es mir unzweifel-
haft. Rank hat nämlich eine Tante, die auch der-
zeit noch krank iſt, und dieſe Tante heißt Klaudy.“

„Ah, jetzt iſt mir auch alles klar, mur das nicht,
wie Sie auf die Idee gekommen ſind, ihn hier in
Bosnien zu ſuchen.“

„Ich habe noch einen Fund gemacht.“

So?“

„Rank iſt durch den Garten des Lanskyſchen
Hauſes geflüchtet. Dieſer Garten iſt von einer
hohen Mauer umgeben, und in dieſer befindet ſich
eine Tür. Der Schlüſſel dazu iſt ſchon vor längerer
Zeit verloren gegangen, aber jetzt iſt wieder einer
da. Ein funkelnagelneuer, den Rank ſich zum Pfört-
chen machen ließ, und den er, wie zum Hohne, an
deſſen Außenſeite zurückließ. Aber er hat dort auch
noch etwas anderes zurückgelaſſen.“

92

„Einen von den geſtohlenen Briefen.“

„Hat er den verloren?“

„Natürlich.
legen haben, denn dieſer Brief hat mich ja ſchließ-
lich hieher gebracht. Er war an Lansky gerichtet
und von einer Roſi Turnauer unterſchrieben. Auf-
gegeben war er am 8. November vorigen Jahres
in Teufenbach in Oberſteiermark. Er enthielt die
Anzeige von der Abreiſe dieſer Roſi. Sie mar nach
Bosnien, nach Tarein gereiſt.“

„Am 8. November!“ dachte Neumann — „und
um Martini herum, das iſt am 11. November, haben
die neuen Beſitzer den Eichenhof übernommen!“
Laut ſagte er aber nichts.

„Ich wußte mit dieſem Brief nichts anzufangen,“
geſtand Breuner, „zwei Tage trug ich ihn — es
wußte niemand, daß ich ihn gefunden hatte — mit
mir herum Daß er mit Ranks Tun in irgend
welcher Verbindung ſtand, war mir ja freilich zweifel-
los, denn man ſchwindelt ſich nicht in ein Haus,
bloß um da Liebesbriefe zu ſtehlen, wenn dieſe Briefe
für einen nicht von großer, von ſehr großer Bedeu-
tung ſind.“

„Stimmt!“ warf Neumann ruhig ein.

Breuner fuhr fort: „Ich hatte ſchon früher das
Verbrechen Ranks an Lansky mit einer Liebesgeſchichte
zuſammengebracht. — Warum ſind Sie denn ſo ver-
wundert darüber? Sie wiſſen halt nicht, daß
Frau Lansky und Rank ſich einmal ſehr fürein-
ander intereſſiert haben. — Alſo ſchon früher habe
ich es als nicht ausgeſchloſſen betrachtet, daß dieſer
Rank nicht nur des Geldes wegen mitgeholfen hat,
den Lansky aus der Welt zu ſchaffen; aber dann
habe ich aus guten Gründen den Gedanken, es
könne da auch Eiferſucht im Spiele geweſen ſein,
wieder fallen laſſen. Das Gericht freilich hat ihn
bei der Urteilsfällung wieder berückſichtigt.“

Neumann hatte ſich aufgerichtet. Dieſes Moment
ſchien ihn wieder befonders zu intereſſieren. Cr
wollte eine Frage tun, doch ließ ex es ſein und
rauchte weiter.

„Jetzt faßte ich dieſen Gedanken wieder auf,“
fuhr Breuner fort der Brief der Roſt Turnauer


Liebesbrief — und Rank hatte ihn und noch andere
Briefe, die wahrſcheinlich auch von dieſer Roſt her-
rührten, geſtohlen. Lansky iſt nämlich peinlich
ordnungsliebend geweſen und hat, ſo ſagten Loſerth
und die Wirtſchaͤfterin aus, in der kleinen, völlig


geleexten Lade gewiß keine verſchiedenartigen Briefe
gehabt, Ich durfte alſo annehmen, daß das ganze
Bündel, welches Loſerth einmal dort drinnen ge-
ſehen hat, als Lansky ein eben erhaltenes Schrei-
ben dazu legte, nur Briefe von dieſer Koft enthielt.
— un aber waren ſie fort — mit Rank fort. Ich
veiſte nach Teufenbach. Die Turnauers waren bald
erfragt. Die Roſi, ſo ſagte man mir auf der Poſt,
lebe in Wien, ſie ſei da im einem Dienſt. Im
Herbſt ſei ſie in Teufenbach geweſen und habe auch


Mutter, die übrigens ein arg verſchmitztes und fehr
vorſichtiges Frauenzimmer iſt. Wo ihve Tochter ſich
jetzt aufhalte, darüber wollte ſie freilich nichts ſagen,!
und ebenſo wollte ſie die Beziehungen ihrer Roſi zu
anderen Leuten nicht kennen. Kurz, diesbezüglich
mar ſie ſehr verſchloſſen, aber etwas recht Inter-
eſſantes erfuhr ich dennoch durch ſie.“

„Si, was denn?“ ; ‚

„Es war — jetzt merken Sie auf! — am letzten
Montag nachmittag ein Herr bei ihr, der ſich auch
nach ihrer Tochter erkundigte und der ihr ſagte,
daß er die Rofi heiraten wolle und ſie zu finden
wiſſen werde, auch wenn ſie am Ende der Welt
wohnen ſollte.“

„Alte Lügnerin,“ dachte Neumann.

— Her abeL OL, e
zweifellos Kneisl-Rank, denn er zeigte der Alten
ein ganzes Bündel Briefe von ihrer Zochter. Und
unter den entwendeten Briefen muß auch eine Photo-
graphie der Roſi geweſen ſein, denn auch eine ſolche
konnte der Beſucher der alten Turnauerin vorweiſen.“

„Jetzt zweifle auch ich nicht mehr daran, daß
Kneisl und dieſer Beſuch und Rank ein und die-
ſelbe Perſönlichkeit ſind,“ gab Breuners Kollege nach


Ihrem Scharfſinn und Ihrer Konſequenz.“

Breuner lachte. „Gratulieren Sie mir lieber
nicht, ſondern ſagen Sie mir, daß Sie, da W ja
nun einmal an ein und demſelben Strang ziehen,
von nun an gemeinſame Sache mit mir machen
wollen. Und außerdem erwarte ich, daß Sie mir
heute beim Abendeſſen erzählen werden, auf welchem
Wege denn Sie Kenntnis erhielten von der Exiſtenz
der Roſt Turnauer und ihrer Zuſammengehörigkeit
mit den Mördern Lanskys.“

„Heute abend?“ Neumann fragte das recht ge-
dehnt!

Sein Kollege ſchaute ihn verwundert an. „Warum
denn nicht?“

Da lächelte Neumann verlegen. „Weil ich doch
auch zu meinem Vergnügen hie und da ein paar
Stunden haben möchte. Ich will nachher einen
Gang ins Freie machen und weiß nicht, ob ich zum
Abendeſſen zurück ſein werde.“

„Ah ich begreife,“ meinte gutmütig der kleine
Herd und feufzte dann. „Da ſieht man eben, daß
Sie noch nicht alt ſind. Na — laſſen Sie ſich nicht
ſtören. Wir ſehen uns halt morgen früh! Ich
kann's ſchon erwarten. Nur das eine ſagen Sie
mir noch? Haben Sie Hoffnung, den Gummimantler
zu faſſen?“ —

»Ich habe mehr als nux Hoffnung. Ich bin
gewiß daß uns der nicht mehr entgehi.“

„Sho! Schon fo. meit ſind Sie? Da muß ich
mich ja beeilen, daß ich Ihnen nachfomme. Odexr
ſchnappen Sie mir vielleicht den Rank auch noch
meg 2“ —

8 laſſe ich Ihnen gern,“ lachte Neumann.
„Aber ich mache Sie darauf aufmerkſam, daß Sie
fich beeilen müſſen, wenn Sie den Eichenhof heute
noch ſehen wollen Es wird ſchon bald dämmerig.“

Breuner erhob fich. „SGehen Sie mit?“

Wieder lachte Neumann verlegen, faſt albern,
wie ſein Kollege dachte.

„Na, bleiben Sie nur,“ ſagte ex gutmütig! Sie
werden mir aber doch wenigſtens den Weg beſchrei-
ben können?“

„Das letzte Haus rechts an der Straße den
Bergen zu,“ beeilte Neumann ſich zu ſagen „Sie
können ſich unmöglich irren Vox dem Hauſe iſt ein
herrlicher Zaun von wilden Roſen, und bis zum
Dache hinauf rankt ſich Clematis.“

Na, das ſind ja mehr als genug Kennzeichen“
meiüte Breuner, nach ſeinem Hut greifend. „Alſo
— viel Vergnügen, und kommen Sie ganzbeinig!
wieder.“

Neumann war gleich darauf allein. Ein ſtilles
Lächeln ging über ſein Geſicht. ; *

Er ſchaute auf die Wr „Noch habe ich Zeit,“
dachte er und ging nach ſeinem Zimmer.

Da ſchrieb er etwas auf eine Viſitenkarte, tat
ſie in einen Umſchlag, verſchloß dieſen und adreſ-
terte
Dann legte er zwei größere Geldnoten auf den
Tiſch und ſchob das Tintenzeng daxüber.

Hetzt öffnete er das Fenſter ſeines Eckzimmers,
welches auf den bebuſchten Raſenplatz hinausging,
 
Annotationen