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fortgebracht, dann mußte ſie unterhalb Helſingör
die Anker werfen.

Auf dem Schiff herrſchte Sonntagsruhe; in aller
Frühe war das Verdeck geſchenert worden, die andexen
Obliegenheiten beſorgt, und jetzt ſtand ein Teil der
Mannſchaft, die Pfeife im Munde, an der Reling
und blickte behaglich auf das Fiſcherboot hinab, das
ſich längsſeit gelegt hatte und Gemüſe, Buttex und
friſches Obſt an Bord brachte. Sie waren alle ſeelen-
vergnügt, hatte doch der „Alte“ ihnen angeſichts
der herrſchenden Windſtille erlaubt, Nachmittags an
Land zu fahren.

Kapitän Ullrich ſchritt die Treppe hinab und be-
trat ſeine Kajüte, die Zigarre im Munde, die Mütze
etwas nach hinten geſchoben.

Er ging zu dem in die Wand eingelaſſenen
Schreibtiſch, öffnete die Klappe desſelben und
nahm Papier und Feder. Er wollte heute wieder
einmal etwas Franzöſiſches oder Engliſches ins
Deutſche übertragen; ein höhniſcher Zug entſtellte
faſt das hübſche, bärtige Geſicht. Er hatte ja ſo
unendlich viel Zeit dazu bei dieſer entſetzlichen Wind-
ſtille. Er nahm die Stahlfeder und prüfte ſie auf
dem Nagel der Rechten.

Vielleicht las er aber lieber; ſpäter konnte er
mit Hartmann eine Partie Schach ſpielen. Er ließ
die Klappe in die Höhe ſchnellen und drehte den
Schlüſſel um.

Dann ging er zu einem der Schränkchen hinüber,
in deren Mikte das Sofa eingelaſſen war, nahm
von der Platte desſelben ein Buch und ließ es in
die Taſche gleiten. An der Wand des Treppen-
ſchachtes ein Streichhölzchen entzündend, brachte er
die Zigarre wieder in Brand und trat auf das Ver-
deck heraus, das leer und im Sonnenglanze flimmernd
vor ihm lag.

Er legte die Hand über die Augen und ſtarrte
in die Weite, eine lange Zeit. Was mar es nur,
das ihn ſo unruhig machte das ihn ohne Raſt hin
und her von Ort zu Ort trieb? Waren es Gedanken,
waren es Wünſche, die lang unterdrückt jetzt neu-
belebt ans Licht drängten?

Er ließ den Blick über den Leib des ſchmalen
Schiffes gleiten, und ein Zug von Abneigung
glitt über das gebräunte Seemannsgeſicht. Von
jeher hatte er den alten wracken Kaſten gehaßt,
den er nur übernommen, weil er der billigſte
war, denn zu einem beſſeren hätten die Mittel nicht
gereicht.

Er zog den Klappſtuhl in den Schatten der
Treppenüberdachung und holte das Buch hervor.
Doch bald hielt er es läſſig in der Hand und
ſtarrte über die Blätter weg brütend vor ſich hin,
auf die weite, glitzernde Fläche des Meeres, ohne
zu ſehen. Und plötzlich ſprang er auf, warf das
Buch auf den Stuhl und war mit einigen raſchen
Schritten an dem Geländer, welches das Achterdeck
von dem Mittelſchiff trennt.

Er erhob die Stimme und rief nach dem Angel-
zeug. Er ſtampfte ungeduldig mit dem Fuße den
Boden, als der Ruf ungehört verhallte; die meiſten
der Leute waren ſchon an Land gefahren!

Wäre er nur ebenfalls hinüber. Jetzt ſaßen ſie
am Snikkerſteen“) und ließen ſich das „Smeerebrö
mit Osdaho?““) ſchmecken, zu dem er das Geld ge-
geben hatte.

Da ſteckte Auguſt Winter den Kopf aus der
Tür der winzigen Kabine. „Ich komme ſchon,“ rief er.


des Schiffes zurück und blickte finſter auf die kreiſelnde
Bewegung der Flut am Steuer. Mußte es der auch
gerade wieder ſein! Warum war er nicht mit den
anderen gefahren?

Es herrſchte Totenſtille anf dem Schiff. Tyras
ſchlief, die Schnauze auf die Pfoten gedrückt, der
wachhabende Matroſe am Bug des Schiffes rauchte
till ſein Pfeifchen, und Hartmann ſaß bei offener
Tüx in ſeiner Kajüte und ſchrieb. Es regte ſich kein
Lüftchen mehr.

Ullrich atmete ein paarmal tief die ſommerwarme,
ſalzgeſchwängerte Seeluft ein, dann legte er die
Hand über die Augen, blickte zu einem auf der klaren
Flut wie auf einem Spiegel dahingleitenden Dampfer
hinüber, und ſchwenkte die Mütze als Gegengruß
für die Paſſagiere desſelben, welche, bei dem präch-
tigen Wetter ihren Kaffee auf Deck einnehmend, mit
den Taſchentüchern winkten.

Auguſt Winter kam mit der Augelrute über der
Schulter heran. „Kennſt du den Dämpfer?“ fragte
er. In Gegenwart der anderen Seeleute hatte eı
den Takt, den Kapitän mit „Sie“ anzureden, waren
ſie aber allein, griff er zu dem traulichen „Du“
früherer Tage, und Ullrich hatte nicht den Willen
und auch nicht den Wunſch, ihm dieſe Freiheit zu
unterſagen.

„Luſtort bei Helſingör.
**) Butterbrot mit Käſe.


— 30 —

„Nein, Auguſt, es ift ’n fremdes Schiff.“

Wer doch auch ſolch u Kaſten hätte!“

Der Kapitän zwang ſich zu einem gleichmütigen
Lächeln, das ihm gleichwohl fauer ankam. Es ſteht
dir ja frei, dich auf einem Dampfer zu verheuern,“
meinte er dann.

Der andexe beſtelte an ſeiner Angelſchnur. „Ach,
an mich dacht' ich nicht dabei,“ meinte er dann.
„Du aber gehörſt auf ſolchen Dampfer. Du mit
deiner Erſcheinung!“ SEr niuſterte den neben ihm
Stehenden mit einem flüchtigen Blick, der dennoch
wie eine Schmeichelei wirkte und diéſem das Blut
in die Wangen trieb. „Du würdeſt dich prächtig
auf der Kommandobrücke von ſolch großem Tier
ausnehmen.“

Der Kapitän antwortete nicht, er faßte an ſeine
War er denn behext, war der Menſch da
nehen ihm der Böſe in eigener Perſon? War es
nicht, als wenn ex, kaum in ſeine Nähe gekommen,
ſeine Wünſche, ſein Fühlen, ſein Denken, alle Tiefen
und Untiefen ſeines Weſens entſchleierke und ans
Licht zerrte? Was ihm kaum einmal in unzufriede-
nen Momenten durch den Kopf gezuckt, jener ſprach
es aus mit einem Gleichmut, einer Selbſtverſtänd-
lichkeit, als läge ſeine Seele nackt vor ſeinen Blicken.

Abex er wehrte ſich — noch wehrte er ſich.

„Ich weiß nicht, wie du immer redeſt!“ erwiderte
er unwillig. „Solche Wünſche liegen mir vollſtändig
fern, außerdem bin ich ſchon zu alt.“

„Du? ein Mann in den beſten Jahren, noch
nicht fünfzig — — du biſt nur zu beſcheiden!“

„Nur die Lumpe ſind beſcheiden“, ſagte unſer
Schuldirektor immer. Erinnerſt du dich? Er hat ja
auch dich noch unterrichtet. Übrigens weiß ich genau,
was ich wert bin.“

Auch was deine Tochter wert iſt?“

Der Kapitän wandte ihm das Geſicht zu, in dem
es zuckte und arbeitete. „Was geht dich meine Toch-
ter an? Was willſt du damit ſagen?“ rief er auf-
brauſend.

Der andere machte erſtaunte Augen. „Reg dich
doch nicht ſo auf! Du wirſt doch nicht beſtreiten
können, daß deine Sophie ein außergewöhnliches


ren Kreiſen zu glänzen, als es dein jetziges? — das
wurde beſonders betont — „Vexmögen erlaubt?“

Jetzt fuhr Ullrich herum. Mit keuchender Bruſt
die ſchaxfen, hellen Augen feſt auf das Geſicht ſeines
Gegenübers geheftet, trat er näher an denſelben
heran, mit letzter Kraft ſuchte er das unſichtbare
Netz zu zerreißen, in das jener ihn hüllen wollte-
Er richtete ſich in ſeiner ganzen impofanten Größe
auf, und ſeine Stimme hatte einen metallenen Klang.
* einmal, Auguſt, was willſt du eigentlich von
mir?“

Auguſt Winter ſchüttelte wie verwundert den
Kopf. „Aber Hermann, was denkſt du denn? Was
ſollte ich von dir wollen? — Aber wenn es dir
nicht paßt, daß ich mit dir rede,“ vollendete er ge-
kränkt, „dann kann ich's ja laſſen. Ich bin ja auch
nur ein Matroſe und du mein Vorgeſetzter.“

Der Kapitän ſchwieg; es war, als wenn eine
eiſerne Fauſt ihm die Kehle zudrückte, als käme
etwas Dunkles, Furchtbares, das ſeine Schwingen
über ihn ausbreitete und ihn langſam zu Boden
drückte. Es fröſtelte ihn, trotz des warmen Sonnen-
ſcheins. ;

Der Bootsmann rollte die Ärmel ſeines bunt-
geſtreiften Hemdes auf und lehnte ſich, die Hände
in den Hoſentaſchen, gegen die Reling. „Weißt du
übrigens, wie Kapitän Weiß ſeinen „Kommerzienrat
Buchholz“ losgeworden iſt? — Der Schoner war
alt aber hoch verfichert, gerade wie die Eliſe?“
fuhr er dann fort, ohne eine Antwort abzuwarten,
„da ſoll er ihn angebohrt Haben. Beim ſchönſten
Wetter, es war freilich ſehr neblig, ſank das Schiff.
Es ſollte auf eine blinde Klippe geſtoßen ſein,“ —
er lachte hämiſch — „warum ſoll denn ein Schiff
nicht aunf ıe Klippe ſtoßen? Heht fährt e Die
„Silefia“, du fennft ſie ja, den größten Königs:
berger Dampfer.”

Unter den geſenkten Lidern hervor marf er einen
forſchenden Blick auf den Vorgeſetzten, und ſeine
Mundwinkel bogen ſich abwärts, und die Naſenflügel
bebten leiſe — der Pfeil ſaß.

„Meinſt du, daß ich mich etwa dazit hergeben

würde, mein altes Schiff ſo auf die Seite zubringen?“
Des Kapitäns Stimme hatte einen matten, heiſeren
Klang. \
„Du wärſt jedenfalls nicht der Erſte Übrigens
lebt der Kapitän Weiß mit Frau unmd Tochter jetzt
wie Gott in Frankreich er macht ein großes Haus,
die Tochter ſoll ja wohl nächſtens heiraten, d
glaub’ /nen Staatsanwalt oder ſo was“ —- er ſprach
ganz harmlos und unbefangen, als erzähle ev,
unı die Zeit 3 töten — „Dder Sohn ſoll Offizier
werden.“

Jetzt zog er die Angelſchnur ein, löſte einen

Fiſch vom Haken, dann ſpießte er einen neuen Köder
auf und warf die Leine wieder ins Wafſer.
Wenn ich mir deine Tochter vorſtelle ſo ein
Prachtmädchen! Die paßt in jede Stellung.“
Kapitän Ullrich hatte den Aım um die Fahnen-
jtange geſchlungen und den Kopf dagegen gelehnt.
Sein Geſicht war blaß, und die weitgeöffneten Augen
ſtarrten ins Leere; aber er ſah nicht die Bläue des
Himmels, nicht ihr Spiegelbild in der klaren Flut,
nicht den flimmernden Soͤnnenſchein, die Schiffe, die


lagen, er ſah nur eine ſchlanke Mädchengeſtalt mit
feinen, klugen Zügen, klaren, tiefblanen Augen und .
blauſchwarzem, gewellten Haar, das tief über die
zerlichen Ohren fiel — und ein tiefer, gepreßter
Senfzer hob ſeine Bruſt. Fieken, Fieken, aller Glanz
des Lebens für dich, wenn's ſein könnte!

Er xichtete ſich auf, wiſchte ſich mit dem Taſchen-
tuche die Schweißtropfen von der Stirne und blickte
verſtört um ſich Wer ſprach doch eben hier? Er
war es doch nicht etwa geweſen?

Mit leerem Blick ſah er auf Anguſts Hände,
welche ſoeben wieder einen Fiſch von der Angelleine
öſten und ihm dann den Eimer-Hıinhielten. „Da
ſieh, zwei Makrelen und ein Knurrhahır,. das wird
wohl genug für dein Abendeſſen jein. Solch ein
Dampferkapitän ſpeiſt freilich feiner!“

Das Geſicht des Kapitäns ſah plötzlich wie ver-
zerrt aus, die Augen glühten wie feurige Kohlen,


„Hör auf!! ſchrie er ſo laut, daß Hartmann be-
ſtürzt die Feder aus der Hand warf und auf der
Schwelle ſeiner Koje erſchien. „Hör auf, ich ertrag'
es nicht länger!“

Dann taumelte er zur Kajütentreppe und ſtieg
—44 ſich ſchwerfällig an dem Strick haltend,
hinab.

Mit dem ſpöttiſchen Lächeln, das auf ſeinem
Geſicht wie eingefroren erſchien, bückte Auguſt Winter
ſich, hob in ungeſtörter Ruhe die zappelnden Fiſche
vom Boden auf und ſchnitt ihnen mit dem Taſchen-
meſſer die Wirbelſäule durch.

Da ſtand plötzlich Hartmann neben ihm „Was
iſt denn hier los, Winter? War das der Kapitän,
der ſo laut ſchrie?“

Das Lächeln um Winters Mundwinkel vertiefte
ſich noch, während er, ohne eine Miene zu verziehen,
die Angelgerätſchaften zuſammennahm „Ich hab'
die Fiſche fallen laſſen; deshalb ſchalt der Kapitän.“

Hartmanus Mienen drückten ein ſtarkes Be-
fremden aus, während er mit auf den Rücken ge-
legten Händen zu ſeiner Kabine im Oberbau des
Mitteldecks zurückkehrte! Von der Seite kannte er
ſeinen zwar ſtrengen, doch immer gerechten und maß-
voll beherrſchten Vorgeſetzten ja gar nicht. Und
der ſollte um ſolcher Kleinigkeit willen in Wut ge-
raten ſein? ;

Er wollte noch eine Frage tun und wandte ſich
wieder nach Auguſt Winter um; da traf ihn ein ſo
vor Schadenfreude funkelnder, in Haß förmlich ge-
ſättigter Blick aus den grünlichen Augen, daß er
betroffen ſtehen blieb und Winter nachblickte, der zur
Kambüſe hinabſtieg, um dem Koch Franz die Beute
zu übergeben. Unwillkürlich trat ein Zug von Ab-
neigung in ſein helles Geſicht. Was hHatte der Kerl
denn? Sr hatte ihm doch nichts getan, daß er ihn
ſo anſah! „Ein ekelhafter Menſch,“ dachte er, „wie
ſo ne Kröte!“ Aber was ging es ihn an.

Er ließ ſich wieder vor ſeinem Klapptiſch nieder
und griff zur Feder. Aber gleich darauf erſchien
er wieder im offenen Hemd, die Jacke über der
Bruſt geöffnet, auf dem Verdeck, denn er hatte keine
Ruhe mehr zum Schreiben. Sr wußte nicht, wie es


die Sonne nicht mehr ſo lachend, die Feiertagoͤſtille
auf dem Waffer nicht mehr ſo wonnevoll, es war
als ſei etwas anderes in ihm und um ihn geworden.
Er ſtieg auf das Achterdeck hinauf, lehnte den
Arm gegen die Wanten des Hauptmaſtes, ſtützte den
Kopf darauf und ſtarrte unbeweglich in tiefen Ge-
danken in die Ferne. ;

Als Kapitän Ullrich in ſeine Kajüte kam, blickte
er ſich darin um wie ein Fremder, als fer es nicht
der Raum, der ihm ſeit ſo vielen Jahren lieb und
vertraut geworden war. x

Er ſtarrte wie geiſtesabweſend vor ſich hin, ohne
etwas zu ſehen, und tappte, ſich an der Tiſchkante
haltend, zum Sofa hin, in deſſen Ecke er ſich fallen


Ein Froſt ſchüttelte ihn, dem eine glühende Hitze
folgte. SGab eS denn kein Entrinnen mehr? Hielt
inı der andere ſo feſt wie den unglücklichen Fiſch
an der Angel, bei deſſen Anblick ſich ihm unwillkür-
lich ſein eigenes Bild aufgedrängt hatte? ;

Gewiß, die „Eliſe? war alt und jahrelang nicht
ordenklich ausgebeffert, hoch verſichert wax fie auch
und einbringen tat ſie ſo gut wie gar nichts mehr.
 
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