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ganz zertumpt und abgeriffen. In ſeiner Betrunken-
heit hat er geſagt, er würde noch mal dein Schwieger-
ſohy denn ev wollte dein Fieken heiraten“

Die Zunächſtſitzenden brachen in ein ſchallendes
Gelächter aus; der alte Kapitän Bufch drehte ſich
um und trank ihm zu: „Profit, der feine Schiieger-
john! — Hallo“ ſchrie er dann und fing das
Glas auf, das Ullrichs ſchwer herniederfinkender
Hand entglitten war.

Die Röte auf deſſen Geſicht war einer aſchgrauen
Farbe gewichen, die Augen ſtarrten entgeiftert ins
Leere, als ſähen ſie etwas Entſetzliches auf ſich zu-
kommen. Langſam, willenlos, wie von innen' her-
aus getrieben, ſtand er auf, ſchob das Tiſchchen bei-
ſeite, ging unlicher ſtolpernd zum Kleiderhaken und
nahm ſeinen Mantel herab.

Einer der jüngexen Seeleute ſprang herzu und
war ihm beim Anziehen behilflich. „Iſt Ihnen un-
wohl, Kapitän Ullrich? Soll ich Sie nach Hauſe
begleiten?“

Der Angeredete ſchüttelte den Kopf und drückte
die Mütze tiefer in die Stirn.

„Er hat genug!“ ſagte Raddatz mit unterdrück-
tem Lachen, und die anderen ſtimmten mit ein; nur
zwei ſahen ſich bedeutſam in die Augen, als die
Tür ſich hinter Ullrich geſchloſſen hatte!

„Weißt du noch, was ich dir geſagt habe, als
Ullrich ſeine „Eliſe“ verlor?“ fragte der eine der-
ſelben auf dem Nachhauſewege ſeinen Gefährten.
„Habe ich recht oder nicht?“

Der andere zuckte die Achſeln:
erwiderte er gleichmütig. „Du
Lage vielleicht ebenſo gemacht.“

„Was willſt du?“
hätteſt es in ſeiner

Der Sturm hatte ſein Toben eingeſtellt, dafür
plätſcherte ein gleichmäßiger andauernder Regen
hernieder, die Luft war mild und warm und von
einer faſt erdrückenden Schwere.

Die Probe war zu Ende, und die ſingenden
Mitglieder traten aus dem Portal der Marienkirche
auf die Straße; aber nicht wie ſonſt ſtanden ſie noch
in kleinen Gruppen plaudernd zuſammen, ein jeder
ſtrebte hei dem rauhen Wetter ſo ſchnell wie möglich
ſein Heim zu erreichen.

Auch Haxtmann und Sophie nahmen den näch-
ſten Weg über den Marktplatz, welcher heute wie
ausgeſtorben erſchien, um ebenfalls möglichſt bald
unter Dach und Fach zu ſein. Robert halte ihre
auf ſeinem Arm liegende Hand mit der ſeinen um-
ſaßt und hielt mit der Linken den aufgeſpannten
Regenſchirm ſchützend über ſie.

Gleichmäßigen Schrittes gingen ſie, einer an
den anderen geſchmiegt, ihres Weges, von dieſem
und jenem plaudernd, während auf den ausgeſpann-
ten Schirm der Regen trommelnd herniederpraſſelte,
wunſchlos zufrieden in dem Beſitz eines größen,
friedvoll ſicheren Glückes.

Da fuhr ein Kopf unter den Schirm, die Lieben-
den fuhren erſchrocken auseinander. Sie waren ſo
vertieft geweſen, daß ſie die flüchtigen, ſich nähern-
den Tritte überhört hatten.

„Ah, nun hab' ich's doch geſehn! Ich hab'
mir'z ja ſchon lange gedacht.“

Sophie mußte trotz des Schreckens lächeln, als
ſie in die ſchwarzen Augen ihrer Freundin blickte,
„Aber Lieſe, mahnte ſie, „ich bitte dich! Daß du
es weißt, daß wir verlobt ſind, ſchadet ja nichts,
aber die anderen — Vater will es noch nicht.“

Die junge Frau mar ſchon wieder eine Strecke
entfernt; ſie machte eine triumphierende Geberde und
eilte mit ihren hüpfenden Schritten die Freitreppe
des Poſtgebäudes hinan.

Auf dem oberſten Abſatz blieb ſie ſtehen „Und
ich ſag's doch!“ rief ſie herunter.

Noch ein helles Lachen, das Dröhnen einer zu-
geſchlagenen Tür, und fie war verſchwunden.

Sophie hatte ihr lächelnd, Hartmann ein wenig
unruhig nachgefehen, „Sie wird doch nicht?“ fragte
er mißgeſtimmt. „Es iſt nux des Vaters wegen,“
ſeßte er hinzu, als Sophie ihn fragend anblickte,
„ich möchte ihn nicht erzürnen. Deine Freundin
ſcheint ein rechter Hirwiſch zu ſein.“

Das junge Mädchen zwang ihn durch einen
leichten Händedruck zum Weitergehen. „Die?” er-
widexte fie. „Cine Heldin ift fie, die dem Leben
die beſte Seite abzugeminnen ſuͤcht. Sie hat viel
Schweres durchgemacht.“

„So? Bitte, erzähle mir doch!“ bat Robert inter-
eſſiert. ;

„Die arme Eliſaheth hat beide Eltern ſchon früh
verloren und hat ſich und ihre Geſchwiftér tapfer
durchs Leben, gebxacht, Vor einem Zahte hat fie
dem Poſtdirektor ihre Hand gereicht. Sie hoffte in
hrer Ehe wenigſtens Frieden Und eine gewiffe Sicher-
heit zu finden, und ſie fand mehr.“

„Glück?“

— 346 —

— mele. eı ⏑ Monw, der
faſt zwanzig Jahre älter iſt als ſie, aufrichtig lieb,


Schweſter AUnna, deven Leben und Denkweiſe ſo
abweichend von der ihren iſt. Sie hat ſich viel
Mühe mit ihr gegeben aber es iſt nicht mehr mög-
lich, ſie zu ſich emporzuziehen — Du fiehit,“ febte
ſie ernſt hinzü, „daß nicht immer diejenigen das
Leben ernſt nehmen, wie gewöhnlich angenommen
wird, welche bei jedem Mißgeſchick, bei jeder Wider-
wärtigkeit den Kopf hängen laſſen und ſich und ihren
Angehörigen das Dafein vergiften. Für mich ſind
die wahren Helden jene Menſchen, die lachend und
mutig den Kampf mit dem Leben aufnehmen und
dasſelbe unter ihren Fuß zu zwingen ſuchen.“

Der junge Mann hatte nachdenklich zugehört.
„Du magſt recht haben, Herz, ich habe eigentlich
noch gar nicht darüber nachgedacht. Ich bin bisher
meines Weges gezogen wie jeder junge Mann. Die
eigentliche Vertiefung der Gefühle kommt, denke ich
mir, bei uns erſt durch die Frau, der wir unſer
Herz ſchenken.“

Sie lehnte den Kopf an ſeinen Arm und rieb
ſacht die Wange an dem Armel ſeines Uberrockes.
„Ach du!“ ſagte ſie innig. „Gibt es wohl etwas
in der Welt, was deinem guten, großen Herzen die
Wagſchale halten könnte?“

Er war plötzlich ſehr ernſt geworden. Er hob den
Schirm in die Höhe, faßte mit der Hand ihr Kinn
und blickte in die auf ihn gerichteken, im Lichte
der Straßenlaterne wie dunkelblane Vergißmeinnicht
ſchimmernde Augen. „Haſt du mich wirklich fo
lieb, Sophie?“ fragte er weich.
des Gedankens nicht erwehren, daß ich in deinem
Herzen erſt an zweiter Stelle komme. Dein Vater —“

Sie befreite ihr Geſicht mit einer leichten Be-
wegung der Hand und faßte wieder ſeinen Arm.
„Das mußt du nicht denken, Robert,“ erwiderte ſie.
„Die Liebe zu euch beiden iſt ſo verſchieden, wie —“
ſie ſuchte nach einem Vergleich, fand aber keinen
paſſenden. „Und vor allen Dingen: die Liebe zu
dir iſt neu, und ich kenne keine Zeit,“ — ſie ſprach
ſchneller und leidenſchaftlicher — „wo ich nicht ver-
götternd zu dem Vater aufgeblickt hätte.“ Sie brach
ab, ſie wollte ihn nicht verletzen mit ihren Worten
— „Der Vater macht mir rechte Soxge,“ fuhr e
dann nach einer Weile in einem leiſen, gepreßten
Ton fort, der Robert eigentümlich erſchütterte.
„Wenn ich nur wüßte, was ihn drückt; wenn ich
ihm helfen könnte! Kannſt du mir gar nicht raten,
haſt du keine Ahnung?“

Sein Geſicht erſtarrte förmlich in einer faſt
eiſernen Verſchloſſenheit. „Da ſind wir ja,“ ſagte
er tonlos und öffnete die Gitterpforte zu dem Gar-
ten ihres Hauſes. „Sieh, dein Vater erwartet uns
bereits.“

Frau Ullrich ſteckte den Kopf in die Tür des
Wohnzimmers, in welchem Sophie im Schaukelſtuhl
ſaß und vor ſich hinträumte.

„Ich gehe jetzt, Sophie!“
liche Geſtalt vollends ins Zimmer „Da ſieh doch
mal nach, ſitzt mein Haar ordentlich?“


losgegangenes Zopfende feſt und ſtrich die breiten
ſeidenen Bänder des Kapotthutes glatt.

„Adieu, mein Mutting,“ ſagte ſie freundlich und
küßte die Mutter auf die volle Wange. „Amüſiere
dich gut in eurer Kaffeegeſellſchaft und laß dir die
Schlagſahne ſchmecken.“

„Du hätteſt doch auch mitkommen ſollen, Sophie-
chen! Du warſt ausdrücklich mit eingeladen. Ich
weiß gar nicht, wie du immer biſt!“ klagte die Mutter.
Das junge Mädchen lachte und fivich ihr übers
Haar „Laß nur gut ſein, nächſte Woche gehſt Au
zu Frau Kapitän Raddatz, da komme ich beſtimmt
mit.“

Die Mutter ging, doch gleich darauf ſteckte ſie
noch einmal den Kopf durch die Türſpalte „Sophie,
dein Robert kommt!“

Und da ſtand er auch ſchon auf der Schwelle,


den Augen ein ſtrahlendes Leuchten.

Sophie eilte ihm freudig entgegen und duldete
— Daß &w C VDr er e 4 —
nahm und küßte O O O e heute
ſagte ſie dann.

Er hatte den Arm umihee Schulter geleat, ae
leitete fie.zu dem Schaukelſtuhl zurück, zog einen
Seſſel heran und ließ ſich neben thv nieder „da,
CL II0 DE ONO VED M
wegs fand ich einen kleinen Hund, den ein Rad-
fahrer übergefahren hatte; das Tierchen lag mit
gebrochenen Beinen auf dem Straßenpflaſter, da
habe ich's aufgenommen und zum Tierarzt getragen.“

Seine Braut antwortete nicht; ſie hatte die





hin, aber er wußte es doch, daß dieſe Beweaun
eine Liebkoſung bedeutete.

„Wo iſt der Vater?“ fragte er dann. *

Sie deutete mit dem Kopf nach dem Eßzimmer.
„Dork dDrinnen iſt ev,“ — fie dämpfte ihre Stinme
zum Flüſtern — „Der Wintex iſt wieder Det ihm.
Sie bereden etwas, ich konnte aber nicht verſtehen,


Zwiſchen Robexts Brauen hatte ſich eine tiefe
Falte gebildet. „Der-Menſch kommt jetzt fo wft.
Was will er denn hier?“

Sophies Augen ſahen ihn mit einem ängſtlichen

Ausdruck an. Alle Tage kommt er,“ verſetzte ſie
daun „Sr ſoll ja erſter Steuermann auf der
Normannia“ werden Geſtern mar er fogar zu
Tiſch hier“Sie ſchwieg und ſtrich mit der Haud
wiederholt über die Stirne Konnte ſie Roͤbert
ſagen, wie ſie ſich vor dieſem Winter fürchtete?
Wie ſeine grünlichen Augen geſtern während des
Eſſens beharrlich mit ſo eigentümlichem Ausdruck
auf ihr geruht hatten, daß es ihr würgend in die
Cehle geſtiegen und es ihr faſt unmöglich war, einen
Biſſen hinunterzubringen? — Und der Vatex? Der
wurde ihr von Tag zu Jag unverſtändlicher; es
kam ihr faſt vox, als ſei er ganz in Winters Hän-
den, und jener ſei ein gierig ſchleichendes Raubtier,
das ſeine Beute umkreiſt.
Die Dämmerung hatte ſich fachte hernteder ge-
ſenkt. Aus dem Nebenzimmer tönten leife murmelnde
Stimmen, nur einmal einige überlaute Worte des
Kapitäns. Sie klangen wie ein perzweifelnder Schrei:
„Nein, und tauſendmal nein, ſage ich dir!“ Dann
wieder das leiſe Sprechen.

Sophie ſchrak zuſammen, der Arm ihres Bräuti-
gams hatte ſich um ihre Taille gelegt, und ſeine
Augen blickten leuchtend in die ihren. „Was ſinnt
mein Lieb?“ fragte er leiſe. -

Und da packte ſie plötzlich eine verzweifelte, er-
ſtickende Angſt, ein ſchneidend ſcharfes Weh, ein
Vorgefühl kommenden Unheils, und ſie ſprang auf,
ſetzte fich auf ſeine Kniee und ſchlang den Arm um
ſeinen Hals mit einer wilden Leidenſchaft, die ihm
neu und fremd an ihr war.

„Sophie!“ flüſterte er, und drückte ſeinen Mund
auf den ihren.

Sie erwiderte ſeine Küſſe mit einer heißen, leiden-
ſchaftlichen Glut.

„Sophie, mein Lieb!“ ſagte er leiſe mit erſtickter
Stimme. „So — ſo ſehr lieb haſt du mich??

Sie ſchmiegte ihre Wange feſter an die ſeine.
„Robert, du und ich, ich und du, wir ſind eins, ja?“ —
Es mar ein bebendes, angſtvolles Flüſtern. „Du
Auch wenn wir
getrennt würden?“

Er ſprang erſchreckt in die Höhe und ließ ſie
aus ſeinen Armen gleiten. „Mein Herzenslieb,“
fragte er atemlos, „was iſt dir nur?“

Da klappte eine Tür, und eilige Tritte entfern-
ten ſich.

Haxtmann ſah nach der Uhr. „Schon halb ſechs.
Ich will gehen, deun ich möchte jetzt deinem Vater
nicht begegnen.“ Dann breitete er die Arme aus
und 309 ſie von neuem an IC —„ 20 en
Herzensfchaß! Nun hab' ich doch einmal geſehen,
wie dir's ums Herz iſt.“

Die Braut ſchlang aufs nene ihren Aym um
ſeinen Hals, preßte ſich dicht an ihn und küßte ihn
wieder und wieder mit heißen, bebenden Lippen.

„Sophie, Dn biſt erl ſtammelte 00 Du
zittent ja.“ — —

Abeb ſie antwortete nicht, noch einmal küßte ſie
ihn lange, lange. Dann ſchob ſie ihn mit feſter
Hand von ſich fort. „Ich bin nicht krank,“ *
widerte ſie, „und nun gehl! Sie ſchob ihn zur Tür.
„Geh!“ ſtieß ſie nochmals hervor.

Er folgte unwillkürlich ihrem Wunſche.
fiel hinter ihm ins Schloß. *

Sie lehnte, die verſchränkten Hände pors Geſicht
gepreßt, an dem Türrahmen und hoͤrchte auf den
ſich entfernenden Schritt. Endlich ließ ſie die Hände
vom Geſicht gleiten und blickte ſich um, wieer-
wachend! Ein Gefühl der Befjhämung wollte ſich in
ihr emporringen, daß fie dem Geliebten ihre heiße
Liebe ſo offen gezeigt, aber wie ein dumpfer Truck-
wie ein Abſchiednehmen fürs Leben laſtete es auf
ihr und ließ ihren Stolz nicht zu Worte Fommen.

Sie hoxchte. Ob der Vater drinnen war? Auf
leiſen Sohlen huſchte ſie durchs Zimmer und öffnete
behutſam die Tür. —

Da mp er in der Safgecke, in ſich zuſammen-
geſunken, mit hängenden Schultern,

Sophie ſtaud eine Sekunde lang, ohne ſich zu
rühren, ein Gefühl eiſigex Kälte kroch in ihr empor,
es war, als fäme eine eiſerne Hand und krallte fich
in ihr Herz. Dann ſtürzte ſie zu dem Patex hin,
ſie hockte ſich neben ihn auf die Lehne, nahın feinen
Kopf und drückte ihn an ihre Bruſt. „Vadding,

Die Tür
 
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