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unter gewiſſen Bedingungen anzubieten und dieſe
Bedingungen nicht einmal in Erwägung gezogen zu
ſehen. Ilſe, wenn ein Mann eine Frau wirklich
liebt, dann benimmt er ſich anders, wie Hilmar es
heule tat. Das kannſt du mir glauben. Nun tu,
was du willſt, meine Anſicht weißt du.“

—2— O Vakers COn bar SIn
„Seh in deine Stube, damit er dein verweintes Ge-
ſicht nicht ſieht. Er hat Sorgen genug.“

Ilſe nickte. Das Taſchentuch vor die weinenden
Augen gedrückt, ging ſie ſchnell hinaus, gerade als
der alte Kröchert zur anderen Tür hereinkam.

„Ich dachte, du ſchriebſt, Vater? Sonſt wäre
ich gleich zu dir gekommen,“ entſchuldigte ſich Haus-
Henning. Er bemerkte den unruhig frägenden Blick
in den Augen des alten Mannes.

„Biſt wohl ſehr naß geworden, mein Junge?
Warum bliebſt du nicht lieber in Halbendorf, bis
das Wetter vorüber war?“ fragte der alte Kröchert
haſtig.

„Ich hatte nicht die Empfindung, als ob den
Bodenhaufens viel an meinem Bleiben läge,“ ant-
wortete Hans-Henning offen. „Herr Hilmar mar
übrigens auch da.“

„Was — der?“

„Jawohl. Ich ſprach mit ihm von der Staats-
anſtellung. Er lachte mich beinahe aus. Er be-
hauptet, durch ſein Schreiben weit mehr zu ver-
dienen. Genau weiß er ſeine Einnahmen nicht
anzugeben Du möchteſt dich an ſeinen Verleger
wenden. Der junge Herr hat, neben einem beneidens-
werten Selbſtbewußtſein, eine ſehr gleichgültige Art,
dieſe Angelegenheit mit Ilſe zu behandein.“

Der alte Kröchert ſchien kaum zuzuhören. „Was
ſagte denn der Vater?“ fragte er raͤſch.

„Dem liegt augenſcheinlich noch weniger an der
Verbindung wie dem Sohne. Er fieht die Verhält-
niſſe in Rotenwalde ſehr ſchwarz an. Er riet zum
Verkauf. Wenn er dabei etwas helfen könne, ſtehe
er zu Dienſten.“

„Alſo mit der Hypothek iſt es nichts?“

„Kein Gedanke! Die Landſchaft wird nichts für
uns tun.“

Kröchert antwortete nur durch einen tiefen Seufzer.

„Du biſt natürlich gegen Hagelſchlag verſichert,
Vater?“ fragte Hans-Henning.

„Sehr gering. Ein neuer Schaden! Es hilft
nichts, ich muß nicht nur viel ſchlagen laſſen, fon-
dern auch einen Teil des Waldes verkaufen.“

„Den Forſt verkaufen? Was bleibt uns dann
noch? Feldex, die alle paar Jahre überſchwemmt
werden und dann nichts bringen! Aus dem Wald
zogſt du die Haupteinnahmen!“

„Ich kann nicht anders, Junge.“
wie mühſam unterdrückte Verzweiflung.

Dex Wind wuxde draußen immer hektiger, ſchließ-
lich tobte ein wahrer Orkan ums Haus.

Die Bäume im Garten bogen ſich und ächzten.
Sroße Aſte ſplittexten wie Streſchhölzer ab, krachend
ſtürzte mancher alte Stamm.

Gegen Abend gingen Herr v. Kröchert und Hans-
Henning zuſammen durch das Dorf, um den Um-
fang des Schadens kennen zu lernen! Als ſie von
ihrem unerfreulichen Rundgang zurückkamen, trat
ihnen dex Förſter mit abgezogener Mütze entgegen.

Das Geſicht des Mannes ſah ſeltſam blaß und
verſtört aus.

„Iſt was paſſiert, Krüger?“ fragte der alte Herr
v. Kröchert ſchnell.

„Ein Windbruch, gnädiger Herr, wie ich noch
nie etwas ähnliches geſehen habe. Der größte Teil
der Bäume iſt hin.“

„Herr Gott!“ ſtieß Hans-Henning erſchrocken
ervor.

Der alte Kröchext ſagte nichts. Er griff mit
beiden Händen nach ſeinem Halfe, als ob er zu
erſticken fürchtete. Sein Geſicht wurde grau-weiß.
„So — das iſt das Letzte!“ ſagte er endlich dumpf
vor ſich hin.

Das klang

/

Fünftes Kapitel.

Der Holzhändler ſetzte natürlich den Preis für
das gebrochene Holz ſehr bedeutend herab. Kröcherl
nahm mit ſtumpfer, Ergebung die unangenehmen
Nachrichten, die täglich in Geſtält gekündigler Hypo-
beken oder ſonſtiger Geldforderungen einliefen hin-

Sr ſprach ſehr wenig. Meiſt grübaͤlte er ſtumm vor

ſich hin.
„Ilſe, ging mit verweinten Augen herum. Mit
fieherhafter Unruhe lief ſie täglich dem Briefträger
entgegen in Erwartung eines Briefes von Hilmar,
der aber nicht eintraf. Er erwartele jedenfalls ein
Entgegenkonimen von ihr. Ilſe wagte nach Hans-
Hennings Worten nicht, zuerſt zu ſchreiben, abe
ſehnte und grämte ſich ganz kraͤnk!

Hans-Henning dachte immer wieder an Onkel
Heinrich in Malchow. Nur das ausdrückliche Ver-


— 434 —

bot ſeines Vaters hinderte ihn, ſich vertrauensvoll
an ihn zu wenden. Ihm fiel auch der Erbprinz
und ſeine oft wiederholten Freundſchaftsverſiche-
vungen ein. Aber der Erbprinz war ſelber abhängig
vom alten Herzog, deſſen Geiz in Glückſtadt ſprich-
wörtlich war! Außerdem widerſtrebte es feinem
Taktgefühl, eiae derartige Bitte an die Herrſchaften
zu richten. Die ganzen Vormittage verbrachte er
am Schreibtiſch, Bücher und Papiere nachrechnend,
bis ihm der Kopf ſchmerzte. Saß er dann nachher
an der geſchmackvoll gedeckten Tafel, ſeine Schweſtern
in elegantex Toilette ihm gegenüber, der Vater ganz
heitex, durch den Wein und die guten Speiſen ani-
miert, plauderte von dieſem und jenem, während
die Diener geräuſchlos bedienten — dann kämen
ihm ſeine Angſte und Sorgen des Vormittags wie
ein wüſter Traum vor. War es denkbar, daß dieſer
feſtgefügte Haushalt, in dem alles wie auf Gummi-
rädern lief, aus den Fugen geraten konnte?

Alles hier machte ſo den Eindruck ſoliden, alt-
bewährten Reichtums, der Ordnung und Pünkllich-
keit — und doch ſtand das Ganzé dicht vor dem
Zuſammenbruch.

Hans-Henning hatte das Gefühl, auf abſchüſſiger
Bahn langſam, aber ſicher abwärts zu gleiten und
ohne Halt ins Ungewiſſe, Leere hineinzufallen.

Die Geſundheit ſeines Vaters machte ihm auch
Sorge. Nach jeder geſchäftlichen Auseinanderſetzung
bekam der alte Mann einen Anfall phyſiſcher Übel-
keit mit beängſtigendem Herzklopfen, das ſich manch-
mal zu einem qualvollen Krampf ſteigerte. Hans-
Henning ließ ihn deshalb nur ſehr Ungern allein
auf die Jagd gehen. Aber der alte Herr blieb
eigenſinnig dabei, daß er in der friſchen Luft nie
ſolchen Anfall bekäme und machte ſich oft ſchon
Morgens früh allein auf, um Raubzeug zu ſchießen.
Das Haus, an dem ſo viele Sorgen hingen, war ihm
manchmal förmlich verhaßt, er entlief ihm gern —-
draußen in freier Luft ertrug ſich alles leichter.

Hilde und Ilſe ängſtigten ſich daher nicht, als
er heute zum zweiten Frühſtück noch nicht zurück-
kam. Der Vater hielt bei der Jagd keine Mahlzeit
pünktlich ein.

Hans-Henning aber packte eine unerklärliche Un-
ruhe „Ich gehe ihm nach!“ erklärte er. „Er wollte
auf die zweite Lichtung gehen zum Anſtand.“

„Nimm mich mit!“ bat Ilſe. „Ich bin ſo lange
nicht ordentlich gegangen.“

„Gut, komm! Aber es wird ein tüchtiger Weg.
Wenn er nicht dort iſt, wo ich ihn zu finden glaube,
ſuchen wir ihn anderswo.“

Ilſe war ſchnell fertig. In einem kurzen grau-
grünen Lodenrock, einen weichen Filzhut in die Stirn
gedrückt, ſah ſie ganz weidgerecht aus. „Ich nehme
ein bißchen Frühſtück mit. Vati wird gewiß hungrig
en

Hans-Henning ſchlug einen ſehr raſchen Schritt
an. Ilſe konnte kaum folgen. Im Walde angekom-
men blieben ſie ein paar Minuten ſtehen, um Atem
zu ſchöpfen. Hans-Henning legte beide Hände an
den Mund und rief laut den Namen des Vaters.
Aber nur das Echo gab das Wort gedehnt zurück
und eine aufgeſchreckte Elſter ſtieß ihren zänkiſchen
Schrei aus, als ſie ſich flügelſchlagend zu der Krone
des nächſten Baumes ſchwang.

Vielleicht iſt er doch noͤch auf der Lichtung?
meinte Ilſe.

Sie gingen weiter. Hans-Henning trat unwill-
kürlich vorſichtig nach Jägerweiſe auf. Kein Aſt
knackte unter ſeinen weit ausgreifenden Tritten. Ilfe
ging dicht hinter ihm. Der ſchöne friſche Waldſpazter-
gang ſtimmte ſie unwillkürlich heiter.

Die Lichtung war erreicht e Sonne waͤrf
zitternde Blätterſchatten über die grüne Wieſe.

Hans-Hennings Augen öffneten ſich plötzlich
ſchreckhaft. Am entgegengeſetzten Ende, dem Felde
zugekehrt, ſah er eine menſchliche Geſtalt am Boden
liegen — die Arme weit von ſich abgeſtreckt, als
ob ſie nach einem Halt greifen wollten

„Was iſt?“ Ilſe wollte vorwärtsſtürzen, aber
Hans-Henning hielt ſie am Arm feſt.

„Hier bleibſt du ſtehen und rührſt dich nicht,
DE I C DEa Mn

Ilſe blieb wie vor Schreck gelähmt anı Wald-
rande ſtehen, während Hans - Henning auf die
regungsloſe Geſtalt zulief. Er wußte, wen er finden
würde.

Er kniete neben dem Liegenden nieder.
Vater lag langansgeſtreckt auf dem Rücken. Die
Mütze war abgeflogen, das Gewehr, den Lauf nach
oben gekehrt, zur Seite gefallen. Die Augen ſtarr-
len nach oben, als ſähen ſie tief in das ſommerliche
Blau des Himmels hinein. Der Mund ſtand halb
auf, der Unterkiefer war ſchlaff herabgeſunken. Die
Hände, nach denen Hans-Henning faßte, fühlten


Stunden eingetreten ſein. _
Ob der Tote geſtolpert und durch den heftigen


Fall eine Ader des ſchon kranken Herzens riß, oder
ob der Fall erſt infolge des Herzſchlages eintrat,


Hans-Henning richtete vorſichtig den Oberkörper
auf und ſtützte ihn gegen den nächſten Baum. Mit
ſeinem Taſchentuch wiſchte er ſanft die Erde und
feuchten Grashalme vom Hinterkopf, dann deckte er
das Tuch über das Geſicht des Toten und rief laut
Ilſes Namen.

Sie hatte in zitternder Angſt darauf gewartet
und kam, ſo fchnell ihre Füße ſie tragen wollten,
herbeigeſtürzt. Ohne daß ein Wort gewechſelt worden
wäre, erriet ſie an ihres Bruders Geſichtsausdruck
die Wahrheit. Mit einem ſchluchzenden Schrei warf
ſie ſich neben dem Vater ins Gras und bedcckte ſeine
kalte Hand mit Tränen und Küſſen.

„Nimm dich zuſammen, Ilſe!“ bat Hans-Henning.
„Ich will Hilfe holen.“

Sie nickte nur. Leiſe legte ſie ihren Arm um
die Schultern des Toten, ſein Kopf jank an ihre
Bruſt. Regungslos ſaß ſie da, die kalten ſtarren
Hände in ihren jungen lebenswarmen Fingern haltend.

In ganz derſelben Stellung fand Häns-Henning
ſie wieder, als ex mit Hilde, die keinen Außenblick
die Faſſung verloren hatte, im Wagen zurückkam.
Der Kutſcher blieb in einiger Entfernung auf der
Wieſe halten.

Stumm ſtanden die drei Geſchwiſter neben der
Leiche ihres Vaters. Nur das unterdrückte Schluch-
zen Ilſes war hörbar.

In der Ferne rief der Kuckuck. Der Duft des
blühenden Klees erfüllte die Luft. Im Walde gurrte
eine Holztaube Ein fröſtelnder Schauer überlief die
drei Der märchenhafte Taubenruf, die ſommerlichen
Düfte des ſonnigen Morgens ſtanden in zu grellem
Gegenſatz zu der ſtarren Tragik des Todes, die eben
groß und ſchwer in ihr Leben eingriff.

Die nachgeeilten Träger, der Förſter, ſein Ge-
hilfe und die beiden Diener, hoben den Toten auf
die mit einem weißen Laken verhüllte Bahre.

Die Schweſtern fuhren im Wagen nach Hauſe,
um alles zum Empfang vorzubereiten, waͤhrend
Hans-Henning langſam hinter der Bahre her dem
Schloſſe zuſchritt.

Der ſchnell herbeigerufene Arzt konnte nur den
Tod konſtatieren Derſelbe ſei durch das Zerreißen
einer großen Axterie eingetreten, ein Fall, den er
bei dem Herzleiden des Verſtorbenen ſchon immer
erwartet habe.

Trotz dieſer klar und ſicher ausgeſprochenen
Todesurſache verbreitete ſich wie ein Lauffeuer, ſo-
wohl im Dorf als auch in der Nachbarſchaft, das
Gerücht, der alte Herr v. Kröchert habe ſich infolge
pekuniärer Schwierigkeiten das Leben genommen.
Wie etwas greifbar Schweres lag dieſes häßliche
Gerücht ſchwül in der Luft des Trauerhauſes. Die
Kinder des Verſtorbenen laſen es in den verlegenen
Mienen der Kondolierenden, in den ſcheuen Fragen
der Dienſtboten.

Hans-Henning teilte den Leuten im Hauſe den
Ausſpruch des Arztes mit. Er merkte aber an den
ungläubigen Geſichtern, den ausweichenden Blicken
und Antworten, daß er keinen Glauben fand.

Der Verſtorbene lag in ſeinem Wohnzimmer auf-
gehahrt Zu Häupten des mit Blumen und Tannen-
grün beſtreuten Sarges brannten vier Lichter auf
hohen Leuchtern. Die zugezogenen Vorhänge ſchloſſen
das Tageslicht aus. Ilſe und der Kammerdiener ſaßen
abwechſelnd am Sarge, während Hilde und Hans-
Henning Telegramme und Traueranzeigen ſchrieben.

Hans-Henning beſtand darauf, daß das erſte
Telegramm an den einzigen Bruder des Verftorbe-
nen, Heinxich v. Kröchert auf Malchaw, abgeſchickt
wurde! Hilde ließ es endlich kapfſchüttelnd ge-
ſchehen. Sie erwartete, daß der Onkel auch dieſe
Nachricht unbeantwortet laſſen würde.

Zu ihrem Erſtaunen und zu Hans Henwings
Freuͤde traf indeſſen noch am Abend desjelben Tages
ein Telegramm ein, das des Onkels Kommen für
den nächſten Tag anmeldete.

Die Schweſtern fürchteten ſich vor ſeiner Axkunft.
Dreißig Jaͤhre lang hatte der Oukel nie ihres Vaters


wo es keine Ausföhnung mehr geben konnte!

Hans-Henning fuhr auf den Bahnhof, um den
Onkel abzuͤholen. Hilde und Ilſe erwarteten ihn im
Wohnzimmer.

Heinrich v. Kröchert glich feinem verftorbenen
Bruder, nur erſchienen feine Züge, ſeine Glieder
und Bewegungen ſtärker, ausgearbeiteter. Es war
der Verſtorbene, aber ins Feſtere, Derbere überſetzt.

Die Ahnlichkeit des Gefichts, der Klang der
Stimme überwältigte Ilſe Sie hatte dem Onkel
nur kühl zurückhaltend die Hand geben wollen, als
ex aber vor ihr ſtand und fie mit denſelben freund-
lichen braunen Augen wie der Vatex anſah, fiel ſie
ihm weinend um den Hals. „Du ſiehſt dem Vater
ſo ähnlich!“ —
 
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