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%nu‘l)[»?» und klagte deshalb ſchnell über große Müdig-
Der Herzog verſtand den Wink und verabſchie-
dete ſich herzlich von ſeiner Schwiegertochter, der er
galaut die Hand küßte. „Ich bitte dich morgen um
eine Unterredung,“ wandte er ſich dann leiſe an den
Erbprinzen. „Wir fahren zuſammen zur Saujagd.“

Der Erbprinz verbeugte ſich ſtumm.

Die alten Herrſchaften ſagten Sitta ſehr kühl
„gute Nacht“, die Erbprinzeſſin ſah ſie überhaupt
nicht an.

Der Erbprinz ging auf Sitta zu, ſie trat mit einer
Verbeugung zurück, aber er nahm ihre herab-
hängende Hand und zog ſie an die Lippen. Eine
heiße Röte ſtieg in ihr blaſſes Geſicht.

Die Erbprinzeſſin drehte den Kopf nach ihrem
Mann um „Gehſt du noch nicht zu Bett?“
„Nein,“ entgegnete er kurz, „ich will noch ſchrei-

Die Erbprinzeß beantwortete Sittas Verbeugung
nur mit einem kurzen Nicken und verſchwand.
SEitta riß in ihrem Zimmer die feſt zugezogenen
Vorhänge heftig auseinander und ſtieß einen Fenſter-
flügel auf. Aber die kalte Winterluft ſchlug ihr
doch zu eiſig ſcharf entgegen. Das Mondlicht lag
voll auf den weißen Schneewegen, warf hartweiße
Flecken in die dunklen Ecken des Zimmers.

Die Jungfer kam herein. „Wollen gnädiges
Fräulein nicht zu Bett gehen?“

„Nein.“ Es wäre Sitta unmöglich geweſen,
jetzt die Anweſenheit des Mädchens zu ertragen,
an ſich herumzupfen und zerren zu laſfen. „Gehen
Sie ſchlafen, Luiſe, ich kann mich ſpäter allein aus-
ziehen.“

Die Jungfer machte noch einige Einwände, aber
Sitta winkte ungeduldig mit der Hand.

Im Schloß verſtummten allmählich alle Ge-
räuſche. Die Tritte der ordnungſchaffenden Lakaien
und Hausmädchen verloren ſich in der Ferne und
hörten endlich ganz auf. Tiefe Stille Iag über dem
ſchlafenden Schloß.

Sitta ſah in den vom Mond taghell beſchiene-
nen Garten hinaus.

Eine hohe Geſtalt in einem grauen Mantel ging
in den verſchneiten Wegen auf und nieder. Jetzt
blieb ſie dicht unter ihren Fenſtern ſtehen. Die
Geſtalt hob den Kopf. Die Falten des Mantels
verſchoben ſich, eine weißbeſetzke Uniform leuchtete
hervor — es war der Erbprinz.

Sitta wich in den Hintergrund des Zimmers
zurück, aber zu ſpät! Er mußte ſie bereits geſehen
haben.

Er winkte mit der Hand einen Gruß und trat
ins Schloß.

Das Blut ſauſte und ſang in ihren Ohren. Sie
ließ ſich auf den Stuhl im Erker zurückfallen. Den
Kopf in die Hand geſtützt, ſah ſie wieder in die
ſchweigende Mondnacht hinaus. Trotzdem lauſchte
ſie angeſtrengt. Ihre aufs höchſte überreizten Nerven
verliehen ihrem Ohr eine übergroße Schärfe. Sie
hörte ganz deutlich einen leiſen, vorſichtigen Fußtritt
auf der Treppe des Schloſſes. Trotz der weichen
Smyrnaläufer verfolgte ſie deutlich den Weg, den
dieſe Schritte nahmen. Jetzt bogen fie in den Seiten-
flügel ein, näher, immer näher kamen ſie — vor
ihrer Tür machten ſie halt.

Sie warf den Kopf zurück, ihre Augen öffneten ſich
groß und entſetzt, ihre Arme fielen ſchlaff herunter.

Eine vorfichtig taſtende Hand drückte von außen
die Tüxrklinke nieder. Leiſe öffnete ſich die Tür —
der Erbprinz ſtand auf der Schwelle ihres Zimmers.

Eine Sekunde ſtanden ſie ſich ſo gegenüber Auge
in Auge. Dann ließ er langſam die Zür ins Schloß
fallen. Sein langer grauer Mantel glitt zur Erde.

Er trat zu ihr in den Erker. Sie waren beide allein,
allein in dem ſchlafenden Schloß, in der mondhellen
Nacht, in der draußen der Garten in ſeiner Schnee-
und, Eispracht ſchön wie ein Feenmärchen dalag.
Sie konnke kein Wort hervorbringen, ſie ſtreckle

abwehrend ihre Hand aus, in ihren Augen lag ein
leidenſchaftlicher Vorwurf.
Er ergriff die ausgeſtreckte Hand und bedeckte
ſie mit heißen Küſſen. Ihre Hand immer noch feſt-
Jaltend, trat er zu ihr heran, ſchlang den anderen
Arm um ihre Taille und zög ſie an ſich, bis ſie
beide eng nebeneinander im Erker lehnten! Jeder
hörte des andexen ſtürmiſchen Herzſchlag.

„Ich ſah dich am Fenſter ſitzen,“ fing der Erb-
prinz leiſe an, „als ich mit meiner Verzweiflung
in der Schneenacht herumlief. ... Sitta, ich mußte
dich ſprechen, du haſt mich mißverſtanden im Winter-
garten! Ich konnte es nicht ertragen, daß dieſes
Mißverſtändnis auch nur eine Nacht zwiſchen uns
lag. Bei Tage drängen ſich ſtörende Menſchen
zwiſchen uns. Ich mußte dieſe Gelegenheit zu einer
Ausſprache benützen.“

Sie wollte ſprechen, aber er drückte ihren Kopf
ſo dicht an ſeine Schulter, daß ſie verſtummen mußte.

— A —

Hör mich an! Ich ſehe in dieſer Stunde nur
die Frau in dir, die ich liebe Ich laſſe die leeren
Formen und ſteifen Aureden beifeite. Ich weiß,
daß du mich auch liebſt — ſtill, ſage nichts, ich
weiß es. Damals in Maloja ſchon hab' ich es ge-
wußt. Du lagſt halb ohnmächtig in meinem Arm.
Ich Habe Deiten Yamd
jetzt — heiß und lange. Ich konnte nicht anders.
Da las ich in deinen erwachenden Augen, was du
empfandeſt Sitta — es war nicht Schreck“

Sie ſchauerte leicht zuſammen, „Dämals ſchon? ...
Ich glaubte, ich hätte geträumt.“

„Sitta — und dann hab' ich ſie weitergeſpielt,
dieſe Freundſchaftskomödie, deinetwegen, denn ich
wußte, ich durfte dich nicht erſchrecken! Langſam
mußte ich dich erobern. Aber mit jedem Herzſchlag,
mit jedem Atemzug habe ich dich geliebt und du
mich auch.“

Sie machte ſich von ihm frei und ſetzte ſich
wieder in den Seſſel. Mit gefalteten Händen faß
ſie ſtumm da. Endlich hob ſie die Augen zu ihm
auf. „Ich bin hart beſtraft.“ Ihre Stimme ſchwankte.
„Ich glaubte, ich würde Ihnen, da Sie von Ihrer
Umgebung mißverſtanden werden, nützen, Sie höher
hinaufziehen können — und jetzt! — Welche ſchlechte,
niedrige Frau hätte Sie tiefer herabziehen, Ihnen
mehr ſchaden können, wie ich es getan habe?“

„Das will ich nicht hören! Es iſt nicht wahr.“
Er nahm wieder ihre Hände. „In meiner Liebe zu
dir iſt nichts Unreines Es iſt Leidenſchaft — ja,
aber auch Anbetung, alles Beſte, Höchſte in mir,
was nach dir verlangt. Du haſt mich vorhin im
Wintexgarten nicht ausreden laſſen. Meine Ehe iſt
kinderlos, ſie kann gelöſt werden. Ich entſage allen
Anſprüchen auf Glückſtadt. Ich will als Privat-
mann leben, aber ich muß dich bei mir haben. —
Sitta, komm zu mir! Du weißt es, welch eine
traurige Komödie meine Ehe iſt, und wie gering
ich von meiner Stellung als „Thronerbe“ denke.
Als Menſch — mit dir zuſammen, werde ich etwas
leiſten.“

Er warf ſich neben ihr nieder und legte die
Arme um ſie.

„So engelsſchön und ſo kalt biſt du — wie die
Mondnacht draußen. Eis und Licht — aber keine
Wärme.“

„Ich bin nicht kalt! Ich wünſchte, ich wäre
es —“ Ihre Hände lagen leicht auf ſeinem Haar.
„Ich muß fort von hier!“ ſagte ſie ſchmerzlich

„Ja, das mußt du, ehe der giftige Klatſch dich
beſpritzt.“ Er hob eine Falte ihrer Schleppe und
drückte ſie an ſeine Lippen. „Den weißen Saum
deines Kleides ſoll nichts beſchmutzen, du Süße.
Geh zu deiner Mutter, unterdeſſen ebne ich hier
die Wege. Sitta, welch ein Leben wird das ſein
— du uͤnd ich allein! ... Wir gehen wieder nach
Sorrent, vielleicht noch ſüdlicher, denn ich ſorge mich
um deine Geſundheit. Dort wirſt du geſund werden
— und ich auch.“

Ein paar Minuten lang ließ ſie ſich von ſeinem
Glücksrauſch anſtecken. Wie eine große Woge von
Seligkeit ging es über ſie hin. Sie ließ ſich küſſen
— erwiderte ſeine Liebesworte.

Eine dunkle Wolke, die über den Mond zog,
machte auch das Zimmer dunkel. Die Rokokouhr


ten durchs Zimmer.

Sitta ſtrich verwirrt ihr Haar aus der Stirn.
„Hoheit — um Gottes willen! Sie müſſen gehen!“

Er ſeufzte tief auf. „Es ſchläft alles im Schloß.
Sitta, willſt du mir gehören, wenn ich frei bin?“

Sie legte mit einer verzweifelten Gebärde die
Hände an die Ohren. „Ich kann darauf nicht ant-
worten.“

„Ich will dich jetzt in Frieden laſſen. Wenn
meine Ehe gelöſt iſt, ſtelle ich die Frage wiedex.“

Sitta faßte ſich gewaltſam. .„Hoheit dürfen
morgen dem Herzog nichts ſagen!“ ſtieß ſie mit
fliegendem Atem hervor. ;

Er dachte ein paar Minuten nach. „Gut — du
ſollſt exſt in Sicherheit ſein. Ich will allein den
Zorn, die kindiſchen Tränen, das ganze Hofgezänk
und Weibergeklatſche aushalten.“

„Deshalb nicht. Ich kann übexhaupt heute noch
nicht antworten. Dies iſt zu plötzlich über mich ge-
kommen — ich muß es erſt in Ruhe bei meiner
Mutter durchdenken.“

„Du wirſt mir aber ſchreiben? bat er.

Sitta ſchüttelte den Kopf. „Nicht eher, als bis
ich über mich ſelbſt ins klare gekommen bin.“

„Lange Zeit gebe ich dir nicht dazu.“ Er nahm
den ſchönen ſchwarzlockigen Kopf in ſeine Hände
und ſaͤh tief in Sittas Augen. „Sag wenigſtens
einmal, daß du mich liebſt.“

„Mehr wie mein Leben!“ ſagte ſie weich. „Leb
wohl“ Ihre Lippen lagen auf ſeinen. „Und nun
geh geh Fleich — ım bitte dich?

Sr raffte feinen Mantel auf und ging zur Tür.

Noch einmal wandte er ſich zurück, ehe die Tür
ſich hinter ihm ſchloß Sie ſtand, vom Mondlicht
umfloſſen, mit gefalteten Händen im Erker. Die
blaſſen Mondſtrahlen entlockten den weißen Samt-
falten ihres Kleides ſilberne Farbentöne In ihren
weit aufgeſchlagenen Augen Iag ſo viel Liebe, ſo
viel Schmerz — es durchſchauertẽ ihn ſeltſam. Auch
ihre letzten Liebesworte klangen faſt wie ein Abſchied!

Die Tür fiel leiſe hinter ihm zu.

Der Mond verſchwand hinker den bereiften
Bäumen, eine fahle Dämmerung kroch ins Zimmer.

Sitta fröſtelte. Haſtig ſtreifte ſie das Kleid ab
und legte ſich zu Bett. Sie zog die Decke bis zum
Kinn herauf. Mit offenen, ſchlafloſen Augen ſah
ſie den neuen, kaltklaren Wintermorgen anbrechen. —

Als die Jungfer gegen acht Uhr hereinkam, er-
ſchrak ſie bei Sittas Anblick. „Gnädiges Fräulein
ſehen ja aus wie der Tod!“

„Ich glaube, ich habe mich erkältet,“ ſagte Sitta
heiſer! „Ich fühle Stiche in der Lunge. Aber das
geht wohl wieder vorüber.“

„Gnädiges Fräulein müſſen im Bett bleiben.“
Luiſe ſah durch die offene Tür das koſtbare Kleid
am Boden liegen. Sie hob es kopfſchüttelnd auf.
„Ich dachte mir das gleich geſtern abend — Jolch
langes Aufbleiben nach einem Ball iſt zu ſchädlich.“

— M . u CS M er
Erbprinzeß gemeldet werden, ich ſei nicht wohl.
Um zwölf Uhr würde ich jedenfalls herüberkommen,“
wies Sitta die weitere Unterhaltung zurück. „Hängen
Sie das Kleid gleich fort — ich mag es nicht ſehen.“

Die Jungfer wunderte ſich. Launen zeigte ihre
Dame ſonſt nie. Warum war ihr auf einmal das
ſchöne Kleid zuwider?

Die Schleppe über den ſteif ausgeſtreckten Arm
hängend, ging ſie hinaus, um den Tee zu holen und
die Beſtellung auszurichten.

Sitta zwang ſich gegen Mittag zum Aufſtehen,
obgleich ihr Kopf brannte, und jedes Atemholen weh
tat. Ihr Unwohlſein kam eigentlich ganz gelegen.
Es war ein guter Grund, die Erbprinzeſſin um einen
längeren Urlaub zu bitten, und wenn möglich noch
heute abend oder doch morgen früh abzureiſen Sie
befahl auf alle Fälle der Inngfer, die Koffer zu
packen. —

Die Erbprinzeß lag in ihrem Boudoir auf dem
Ruhebett. Sie kichtete ſich ein wenig auf, als Sitta
eintrat. Ein naßgeweintes Taſchentuch lag zu-
ſammengeballt in ihrem Schoß. Das blaſſe, kind-
liche Geficht erſchien Sitta rührend durch die tränen-
vollen Augen, den zuckenden Mund.

Die Erbprinzeß deutete auf einen kleinen Seſſel
neben ſich.

Sitta ſetzte ſich ſtumm und beflommen. Ein
kaltes, lähmendes Gefühl ſchlich ihr durch die Adern.
Sie fühlte ſich auf einmal nicht mehr der Erbprin-
zeß überlegen, ſondern tief unter ihr ſtehend, ſchuld-
beladen kam ſie ſich vor. Was ſollte ſie antworten,
wenn die heleidigtẽ Frau ihr die Anklage ins Ge-
ſicht ſchleuderte: Du haſt mir die Liebe meines
Mannes geſtohlen! Kälte Schweißtropfen ſammel-


Die Erbprinzeß ſchwieg noch immer. Die Stille
wurde drückend.

„Ich wollte Eure Hoheit bitten, mich zu beuxlau-
ben,“fing Sitta endlich mit leicht zitternder Stimme
an. „Ich fühle mich ſchon ſeit längexer Zeit ſehr
elend! Ich muß mich unbedingt ausruhen. ODb .ich
ſpäter wieder meine Stellung übernehmen kann,
hängt von meinem Geſundheitszuſtande ab.“

Die Erbprinzeſſin neigte den Koxpf. „Der Urlaub
iſt Ihnen bewilligt — jo lange Sie, wollen. Ich
glaube auch, es ift am beſten Sie gehen.“

Sitta erhob ſich Unfehlüffig blieb fie neben dem
Ruhebett ftehen. Die Exrbprinzeß drehte ihr Taſchen-
tuch zu einem Ring zuſammen und ſah nicht auf.

„Barf ich mich noch bei Ihrer Hoheit der Her-
zogin melden laſſen?“ bat Sitta.

„Das werde ich ſelbſt übernehmen,“ antwortete
die Erbprinzeß kalt.

„Bitte auch Seiner Hoheit dem Erbprinzen weine
untértänigen Abſchiedsworte ausrichten zu wollen,“
fuhr Sitta fort. Sie wußte es ſelbſt nicht, wie ſie
es fertig braͤchte, dieſe Worte ſo vuhig auszuſprechen.

„Seine Hoͤheit wixd es wohl nicht vexſäuwen,
Ihrien ſelbſt Lebewohl zu fagen,“ ftieß die Erb-
prinzeß hervor. Ihr Atem ging va

Sitta wandte fich zum SGehen. Unſchlüſſig, zau-
dernd ging ſie dulch das halbe Zimmer. Fhedede
Röte wechſelte mit tieſer Bläſſe auf ihrem Geſicht

Ein ſchluchzender Seufzer der Erbprinzeß klang
an ihr Ohr. Sie wandte ſich raſch um. Die Erb-
prinzeß hatte den hlonden Kopf in den Kiſſen ver-
graben und weinte leidenſchaftlich, *

Ein tiefes Mitleid erfaßte Sitta plößlich. Der
Ärger, der ſich in letzter Zeit faſt bis zum Haß
fteigerte, fiel von ihr ab und machte einer gerechteren
Berurteilung Platz.
 
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