Ein Kellner, der feinen eigenen Kopf auf
einer Platte trägt.
Pater verlebt habe. Sie hätten ſogar geſungen, und
ein Lied zum beſten gegeben, in welchem der Wein —
wohlgemerkt, nicht der Alicante, ſondern der Wein
an ſich — mit der Roſe von Schiras verglichen wird.
Der Pater habe weiter behauptet, daß dieſes Lied
in dem ſüdlichen Teil von Valencia ſogar von den
Ammen als Wiegenlied geſungen werde, und daß
es von einem gewiſſen Abel oder Kaſimir verfaßt
ſei. Übrigens wäre es wohl eigentlich die Über-
ſetzung einer urallen Handſchrift, die ſich in einem
bei Aſpe gelegenen Kloſter befinden ſollte. Sie
können ſich denken, Verehrteſter, daß ich bei dieſer
Erzählung des Grafen hoch aufhorchte. In jener
Gegend, die Jahrhunderte hindurch von den Arabern
beherrſcht würde, haben ſich natürlich ſehr viele
Erinnerungen aus der Maurenzeit erhalten, und es
iſt an ſich durchaus nicht unwahrſcheinlich, daß in
den Klöſtern noch heute Handſchriften orientaliſchen
Urſprungs verborgen liegen. Allerdings deutet die
„Roſe von Schiras“ nicht auf arabiſchen, ſondern
auf perſiſchen Urſprung, allein da die Litexatur
beider Völker ſehr viel Verwandtſchaft aufweiſt, ſo
erſcheint die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß
eine perſiſche Dichtung, vielleicht in arabiſcher Über-
tragung, ſich nach jenem Kloſter verirrt und dort
wiederum eine ſpaniſche Bearbeitung erfahren hat.
Natürlich iſt man geneigt, dabei zunächſt an den
— A0 —
perſiſchen Dichter Hafis zu denken, der bekanntlich
in Schiras geboren iſt, aber bei längerem Nach-
denken bin ich von dieſer Annahme zurückgekommen
und zu einem hochintereſſanten Reſultat gelangt.
Die oben erwähnten Namen „Abel“ oder „Kaſimir“
beruhen natürlich auf einer Verſtümmelung, aber
man braucht nur etwas Kombinationstalent zu be-
ſitzen, um ſofort auf das richtige zu verfallen. Mit
einer kleinen Abänderung und einer weiteren Inter-
pretation ergibt ſich nämlich ganz zwanglos der
Name „Abul-Kaſem-Manſur“ oder, um gleich auf
den Kern der Sache einzugehen, der eigentliche Name
des perſiſchen Dichters Firduſi, des berühmten Ver-
faſſers vom „Königsbuch“! ;
Welche Entdeckung!!
In einem Kloſter bei Aſpe befindet ſich demnach
eine der Welt bis dahin unbekannt gebliebene Hand-
ſchrift, welche, wahrſcheinlich in axabiſcher Kberſetzung,
möglicherweiſe aber auch im perſiſchen Urtext, Trink-
lieder des Firduſi enthält!
Und nun kommt der Grund, weshalb ich gerade
Ihnen, verehrtex Herr Baron, dieſe Entdeckung mit-
teile, anſtatt dieſelbe für mich ſelber auszunützen.
Erſtens iſt mein italieniſches Stipendium erſchöpft,
und es fehlt mir das Geld, um eine Reiſe nach
Spanien zu unternehmen. Zweitens haben Sie
ſelbſt in der perſiſchen Stadt Pas, dem Geburtsort
des Firduſi, eine Gedichtſammlung des berühmten
Perſers entdeckt, deren Echtheit allerdings von Ihrem
Schwager Profeſſor Dubois angefochten worden
iſt. Auch in dieſer Sammlung kommt die „Roſe
von Schiras“ vor, und es handelt ſich möglicher-
weiſe um dieſelbe Sammlung. Es wäre ein Triumph
für die Wiſſenſchaft und ein Sieg über Ihren leider
verſtorbenen Schwager, wenn —“
Geldern las nicht weiter, ſondern ſprang mit
beiden Füßen aus dem Bett. „Niels,“ ſchrie er,
„wo iſt meine Mütze?“
—
Der Baron ſtülpte den Lederfetzen auf den Schä-
del, klemmte ſeine Pfeife feſter zwiſchen die Zähne
und fuhr fort: „Ich reiſe nach Spanien, Niels.“
Im Henide, HLL &“
„Ja ſo.“ Er voltigierte in die Hoſe, welche
Niels Lund parat hielt.
Dann fragte der Diener: „Herr, wo liegt denn
eigentlich Spanien?“ ;
„Südlich hinter Zehlendorf.“
„Das is dann wohl nich weit? Da könnte ich
dem Herrn ganz gut die Reiſetaſche tragen.“
„Pack ſie nur ein, du weißt ja: zwei Vorhemden,
ſechs Stehkragen, vier Paar Strümpfe, das Nacht-
hemd und das Nerceſſaire.“
„Bleiben Sie denn über Nacht, Herr?“
* *
Während Niels packte, zog Geldern ſich an und
warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf ſeinen Diener.
„Möchteſt du mit?“ fragte er endlich.
„Ja, ganz gerne. Es iſt doch mal was anderes.“
„Gut, Niels, ſo ſteck dir auch ein Paar Strümpfe
in meine Reiſetaſche. Aber dann müſſen wir ab-
ſchließen.“ /
„Ja, Herr, das müſſen wir wohl. Den Hund
haben ſie uns vergiftet und die Fußangeln ſind weg.
Die Leute ſind doch ſo ſlimm auf das Bild.“
Nun fiel dem Baron die anonyme Warnung
wieder ein! „Die elende Schmiererei!“ ſagte er.
„Aber du haſt recht, Niels, das Bild müſſen wir
wegſchaffen, ſonſt brechen ſie uns am Ende ein.
Straße?“
—
„Nimm das Bild und pack es in eine alte Kiſte,
du kannſt etwas Stroh dazu verwenden. Dann
fahr nach Berlin, geh zu Lewald, beſtell einen Gruß
von mir und ſie ſollten das Ding einſtweilen auf-
heben. Zuvor laß die Rollläden herunter und ſchließe
das Haus ab. Alsdann treffen wir uns Nachmit-
tags um drei Uhr fünfundzwanzig auf dem Lehrter
Bahnhof. Die Reiſetaſche bringſt du mit, ich ſelbſt
muß noch auf die königliche Bibliothek. Verſtanden?“
„Nich ganz, Herr.“
„Ich werde es dir lieber auf Täniſch nieder-
ſchreiben.“
„Ja, Herr, das is dann wohl auch beſſer.“
Niels bekam den Zettel und buchſtabierte ihn
durch. „Wo ſoll ich das Stroh hernehmen, Herr?“
„Meinetwegen aus deinem Kopf,“ knurrte Geldern
und trat an ſeinen Geldſchrauk. Es lagen dort für
gewöhnlich etwa zehntauſend Mark bar in Gold und
Scheinen, alſo hinreichend für eine ſeiner Reiſen,
die wie plötzliche Sternſchnuppen vom Himmel fielen.
Der Baron ſtopfte die Scheine in eine Brief-
taſche, die er läſſig im Jakett barg; das vorhandene
Gold füllte er in eine Metallhülſe, aus der man
die einzelnen Stücke herausknipſen konnte. Das
wax nach engliſcher Sitte ſein Portemonnaie; das
Silbergeld, welches beim jedesmaligen Wechſeln her-
auskam, wurde in die Hoſentaſche ge-
ſteckt zu Tabaksdoſe und Pfeife.
Damit waren die Reiſevorberei-
tungen beendigt. Der Baron warf
noch einen flüchtigen Blick in den Tre-
ſor, überzeugte ſich, daß alle Fächer
leer waren und ſchlug die Tür mit
einem Fußtritt ins Schloß.
„Weißt du, Niels, was die Weiber
jetzt tun würden?“ fragte er nach einer
Pauſe.
„Nä, Herr, wo ſoll ich das wiſſen
- wir haben doch keine.“
„Gott ſei Dank. Sie würden die
Möbel zudecken und Kampfer ſtreuen.
Und dann würden ſie ſich noch zehn-
mal umdrehen.“
Damit ſteckte Geldern die Hände in
die Taſchen und vexließ das Haus.
Er ging dahin wie einer, der ſich zum
Sekunde ſpäter ſtand Niels Lund mit
offenem Munde an der Rampe und
ſah die Rauchwolken des Expreßzuges
vor der Halle verpuffen.
Die Wohnung, in welche Egon
und Felix am Nachmittag des 2. Juli
einzogen, war in ihrer Axt etwas
eigenkümlich, und unterſchied ſich jeden-
falls bedeutend von den modernen
Mietskaſernen Berlins.
Das Haus lag mitten in einem älte-
ren Stadtteil, hatte nur vier Fenſter
Front und zwei Stockwexke; es gehörte
fomit einer längſt verfloſſenen Zeit an.
Die Kellerwohnung war an den
Eiſenbahnſchaffner Müller vermietet,
der zugleich als Hausverwalter fun-
gierte; ſeine Frau betrieb einen Grün-
handel und Ttrank ein bißchen. Er
Raſieren begibt, oder an der nächſten
Ecke ein halbes Dutzend Zigarren ein-
kaufen will.
Niels Lund aber ſtieg in den Keller und kramte
unter den leeren Weinkiſten, die dort aufgeſtapelt
ſtanden. —
Nachmittags um drei Uhr zwanzig, fünf Minuten
vor Abgang des Pariſer Expreßzuges, kam Geldern
auf dem Lehrter Bahnhof angeſchlendert. Er trug
nichts weiter in der Hand als Hentſchels Telegraph,
hofsuhr mit ſeinem
goldenen Chronome-
ter, ſtellte feſt, daß
erſtere um eine Vier-
telminute oder ge-
Sekunden zu ſpät
ging, und trat an
den Schalter.
„Eins erſter, eins
zweiter, Paris,“
ſagte er und knipſte
eine Anzahl Gold-
ſtücke auf das Zahl-
brett.
Dann ſchob er “ ,
die Karten in die —
Seitentaſche und
drehte ſich um. Es
war ſelbſtverſtänd-
lich, daß Niels Lund
da ſein mußte, und
er war wirklich da,
puterrot und in
Schweiß gebadet.
„Alles beſorgt?“
„Jawohl, Herr“
„Der Hausſchlüſ-
ſel?“
—
„Das Bild?“
— Das
hängt wieder an ſeinem Platz.
umgedreht.“
„Wie kommt das?“
„Ich hatte eine alte Weinkiſte genommen, Herr.
Und als ich damit zu Lewald kam, da ſagten die
Herxen, das müſſe ein Irrtum ſein, ſie hätten kein
Weinlager. Ich ſagte darauf, es wäre etwas Ge-
maltes darin. Das wäre ganz egal,
ſagten ſie. Darauf habe ich das
—
Eim Waͤlet W Rin epodell
Ich hab' es aber
ſelbſt lag den ganzen Tag auf der
Strecke und ſchlief, wenn er daheim war.
Das Erdgeſchoß war für einen Laden
eingerichtet. Der Beſitzex desſelben bewohnte bisher
zugleich' den erſten Stöck; er hatte aber Pleite ge-
macht und war am 1. Juli ausgezogen.,,
Im zweiten Stock hHatte der Hauseigentümer, ein
wohlhabender Junggeſelle, gewohnt; er war aber
geſtorben, und die außerhalb Berlins anfäjfigen
Erben vermieteten bis auf weiteres die Etage in
möbliertem Zuſtand, wie ſie gerade war.
Hiex hauſten jetzt
die beiden Freunde.
Sie hatten nie-
mand über ſich und
niemand unter ſich.
Frau Müller ſtieg
einmal täglich aus
der Tiefe des Kellers
herauf und reinigte
die Zimmer — im
übrigen kümmerte
ſich keine Menſchen-
ſeele um die beiden.
„Wir ſind die
reinen Freiherren,“
ſagte Felix am erſten
Abend. „Wenn wir
einander umbringen,
wird niemand groß
danach fragen.“
„Und wenn wir
umgebracht werden,
ebenſowenig!“ ent-
gegnete Egon.
„Das wäre zweck-
los, mein Lieber. Ich
habe zehn Hinter-
männer auf der Liſte,
und ein Zournaliſt
iſt überhaupt nicht
totzukriegen.“
Ihre Freiheit
nutzten ſie weidlich aus. Tagsüber hielt der Bexuf
Salons“, das heißt, es wurde die Verbindungstür
zwiſchen den beiden vorderen Zimmern ausgehoben,
die Gaskronen brannten, auf dem Fußboden ſtand
anderen zu Gaft. Sie lagen mit langen Pfeifen bald
aluf dem roten und bald auf dem
blauen Kanapee, gelegentlich auch
Bild wieder in die Villa getragen,
und ich bin ganz in Sweiß ge-
kommen dabei.“
„Einſteigen nach Paris!“ riefen
die Schaffner.
„Du biſt ein Eſel,“ ſagte der
Baron gelaſſen. „Zur Strafe bleibſt
du zurück. Die Villa iſt nun einmal
abgeſchloſſen, du gehſt alſo bis auf
weiteres nach Eichkamp. Hier iſt
Geld, dein Zug fährt um vier Uhr
drei Minuten.“
Er ſchloß die Reiſetaſche auf und
nahm ein Paar Socken hexaus.
„Da ſind deine Strümpfe. Adieu.“
Es läutete.
Geldern trat auf den Bahnſteig ı
hinaus und ging die Wagenreihe
entlang. Es ſchien ein Gedanke
durch ſein Hirn zu blitzen, der ihn
in ſeiner unerſchütterlichen Ruhe
ſtörte, denn er blieb noch einmal auf
dem Trittbrett ſtehen und ſchüttelte
den Kopf. Da aber zog die Loko-
motive an, ein Schaffner ſchob ihn
vollends in den Wagen, und eine
—
—
eine non.
Photographiſch⸗ —
auf dem Teppich, wenn ihnen das
menſchenwürdiger vorkam.
Felir hatte außerdem eine nütz-
liche Erfindung gemacht.
Er beſaß aus der Leutnantszeit
einen kleinen Taſchenrevolver, der
nach ſeiner Behauptung „faſt ge-
räuſchlos knallte“ dex Deckel des
Kohlenkaſtens gab, mit Kreide be-
malt, eine vortreffliche Scheibe, und
ſo ſchoſſen ſie jeden Abend nach dem
Tee mit erftaunlichem Eifer.
Egon ſah den Zweck der Übung
anfangs nicht ein, aber Felix belehrte
ihn eines Beſſeren. „Du wirſt dich
früher oder ſpäter doch einmal duel-
lieren müſſen,“ ſagte er. „In Frank-
reich tun das alle Journaliſten von
Zeit zu Zeit, ihrem guten Ruf zu-
liebe. Und wenn man nicht gelernt
hat, ſicher vorbeizuſchießen, dann gibt
es ſchließlich doch mal ein Unglück.“
Auch die polizeilichen Bedenken
des Freundes wußte er zu beſeitigen.
„Paragraph 368 Ziffer 7 des
Etrafgeſetzbuches verbietet nur das
S. 486)
— 489 —
Schießen in gefährlicher Nähe von Gebäuden; wenn
ıman in einem Gebäude nicht ſchießen darf, dann
hätte das geſagt werden müſſen.“
Über die Bereitung von Tee und Kaffee ſtritten
ſie ſich oft. Der eine ſollte „ziehen“ und der andere
jollte „ſich ſetzen“ — ſo viel war ihnen bekannt.
Aber ſie ſchmiſſen es immer durcheinander.
Dann faßte ſie „der Menſchheit ganzer Jammer“.
Eines ſchönen Abends beſchloſſen ſie zu lumpen“.
„Kennſt du „Berlin bei Nacht“?“ fragte Zelix,
als das Flaſchenbier alle geworden, und Frau Müller
nicht mehr herbeizutrommeln war. ;
„Eigentlich nicht,“ entgegnete Egon; „wir ſind
ja ſo gräßlich ſolide.“
„Ja, es find zwei Chemänner an uns verloren.
übrigens mußt du Berlin hei Nacht kennen wie
willſt du denn ſonſt unter dem Strich die Sauer-
gurkenzeit ausfüllen?“ ;
Egon ſeufzte. „Du haſt recht. Die Seeſchlange
iſt kontraktlich ausgeſchloſſen, das lenkhare Luftſchiff
zieht nicht mehr, und mit einem „Abſturz auf dem
Kreuzberge“ bin ich neulich ſelbſt abgeſtürzt. Was
für 'ne Kategorie wollen mir denn vornehmen?“
„Die Kaffeeklappen,“ ſchlug Felix vor. „Es gibt
zwar keine mehr, aber das iſt ja ganz egal. Die
Leſer aus der Provinz glauben noch daran und
verlangen ſie. Übrigens haben wir noch recht nette
Pennen, mo man Verbrecherſtudien machen kann.“
„Müſſen wir da unſeren geräuſchloſen Revolver
mitnehmen?“
„J wo! Das tat man höchſtens, als er noch
gar nicht erfunden war. ; !
fehr manierlich, beſonders wenn ſie einen „Geheimen“
wittern. Höchſtens die Uhr zu Hauſe laſſen. Als
ich nämlich jüngſt einen von den Herren zum Glas
Bier einlud, mauſte er mir zum Dank die Legiti-
mationskarte.“
Alſo zogen ſie ab.
„Wie waͤr's mit der Wuhlheide?“ ſchlug Egon vor
„Du haſt mal was davon geleſen, mein Sohn.
Vermutlich war es ein Kolportagexoman. Über die
Peripherie der Ziviliſation gondeln wir nicht hin-
aus. — Heda! Nachtdroſchke! Ik möchte nach die
Müllerſtraße!“
„Ik nich!“ entgegnete der Droſchkenkutſcher und
ſchlief weiter.
Unter Benutzung eines „Lumpenſammlers“, das
heißt eines „Nachtwagens“ der Elektriſchen, kamen
fie endlich in eine Gegend, die Egon noch vollkommen
fremd war. Man ſah hohe, ſchmuckloſe Mietshäuſer,
deren fenſterloſe Brandmauern an wüſte Bauſtätten
grenzten; hinter den Lücken Iag flaches, nacktes Land,
von einem harten Mondlicht beglänzt.
„Hier iſt's nett!“ ſagte Egon.
„Es ſind die Vorpoſten der Kultur, mein Lieber.
Vorpoſtenſtehen iſt niemals nett. Siehſt du dort.
die rote Laterne? Das iſt eine Verbrecherkneipe
modernen Stils.“
Drinnen im Lokal roch es nach feuchtem Mörtel,
Fünfpfennigzigarren und Fuſel. Im übrigen ſah
man den Gaͤſten nichts Beſonderes an. Sie ſaßen
in kleinen Gruppen an kleinen Tiſchen, ſprachen
nicht ſehr laut, und drehten die Köpfe, als die beiden
eintraten. Egon und Felix ſetzten ſich an einen
leeren Tiſch in der Nähe des Büfetts.
„Ich bin natürlich ſchon als „Greifer“ erkannt,“
ſagte Felix, „das iſt uun mal nicht anders. Leg
deinen Block auf den Tiſch und mach dir Natizen,
dann wiſſen die Leute, daß ich heute nur Bären-
führer für einen wißbegierigen Fedexfuchſex bin.
übrigens eine nette Geſellſchaft! Drüben die drei
am Billard ſind: der „glaͤtte Adolf“, der „Sonn-
tagsreiter“ und der „Blüchermax“ — ſie be-
Die Mufe des Dichters.
„Schmierfritze? Was die Leute für ſonderbare
Beinamen haben!“
„Hängt alles mit ihrer Vergangenheit oder einex
beſonderen Begebenheit zuſammen; mitunter auch
mit einer Neigung. Der da war früher Kuliſſen-
maler bei einem Vorſtadttheater. Er hätte es wohl
zu was Beſſerem bringen können, denn er ſoll wirk-
lich Talent beſitzen, aber dex Teufel ritt ihn, und
er verſetzte ſeinem Direktor ein halbes Dutzend Ku-
liſſen, die er am hellen Tage mit einem Handwagen
Dafür bekam er Loch. Jetzt hat er ein
Jahr Zuchthaus abgeriſſen, man ertappte ihn bei
dem Einbruch in eine Bildergalerie.“
„Alſo Spezialiſt.“
„Das ſind fie ja alle — Teilung der Arbeit iſt
auch hier die Loſung. Hm — hm — alſo der hat ſich
jetzt mit dem „Pulverkopf“ zuſammengetan? Sonder-
bar!“
Sie ſchwiegen beide und hingen ihren Gedanken
nach, die vielleicht denſelben Gegeuſtand betrafen.
ſeinen Begleiter auf den Fuß.
Sie ſaßen ziemlich gedeckt hinter einer Säule,
und die beiden zuletzt Gekommenen hatten jenſeits
derſelben Platz genommen, ohne auf ihre Nachbar-
ſchaft zu achten. Sie mochten ſich hier vollkommen
ſicher fühlen.
„Wie ſteht es denn mit dem Bilde?“ fragte der
Schmierfritze.
„Ich bin ein paarmal dageweſen,“ entgegnete
der Pulverkopf. „Das Frauenzimmer ließ mir ja
keine Ruhe.“
menſchen. Dort in jener Ecke ſiehſt du die
„Spitzmaus“ und den „Goldfaſan“ — dex eine
iſt „Johlegänger? und der andere „Flatter-
fahrer“, daͤs heißt: Kollidieb und Bodendieb.
Leider kann ich dir keinen „ſchweren Jungen“
zeigen —“
Er brach ab und ſah nach der Tür.
„Donnerwetter! Wenn man vom Wolf
ſpricht — —
Die beiden Männer, welche ſoeben ein-
traten, hatten ein ſehr verſchiedenes Ausſehen.
Der ältere trug auf den breiten Schultern einen
prachtvollen Künſtlerkopf, dex nur wenig dadurch
entſtellt wurde, daß die vom Vollbaxt freigelaſſene
Partie des Geſichts etwas geſchwärzt ſchien;
ſein Begleiter war blaß, hager, und hatte lauge
femmelblonde Haare. Beide waren anſtändig
und unauffällig gekleidet.
„Iſt das nicht der „Pulverkopf“?“ fragte
Egon leiſe.
„Stimmt, mein Junge. Du haſt ein gutes
Gedächtnis. Sein Begleiter iſt der „Schmier-
fritze“ ein genialer Lump, übrigens auch ſchwerer
Junge, alſo Einbrecher.“
einer Platte trägt.
Pater verlebt habe. Sie hätten ſogar geſungen, und
ein Lied zum beſten gegeben, in welchem der Wein —
wohlgemerkt, nicht der Alicante, ſondern der Wein
an ſich — mit der Roſe von Schiras verglichen wird.
Der Pater habe weiter behauptet, daß dieſes Lied
in dem ſüdlichen Teil von Valencia ſogar von den
Ammen als Wiegenlied geſungen werde, und daß
es von einem gewiſſen Abel oder Kaſimir verfaßt
ſei. Übrigens wäre es wohl eigentlich die Über-
ſetzung einer urallen Handſchrift, die ſich in einem
bei Aſpe gelegenen Kloſter befinden ſollte. Sie
können ſich denken, Verehrteſter, daß ich bei dieſer
Erzählung des Grafen hoch aufhorchte. In jener
Gegend, die Jahrhunderte hindurch von den Arabern
beherrſcht würde, haben ſich natürlich ſehr viele
Erinnerungen aus der Maurenzeit erhalten, und es
iſt an ſich durchaus nicht unwahrſcheinlich, daß in
den Klöſtern noch heute Handſchriften orientaliſchen
Urſprungs verborgen liegen. Allerdings deutet die
„Roſe von Schiras“ nicht auf arabiſchen, ſondern
auf perſiſchen Urſprung, allein da die Litexatur
beider Völker ſehr viel Verwandtſchaft aufweiſt, ſo
erſcheint die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß
eine perſiſche Dichtung, vielleicht in arabiſcher Über-
tragung, ſich nach jenem Kloſter verirrt und dort
wiederum eine ſpaniſche Bearbeitung erfahren hat.
Natürlich iſt man geneigt, dabei zunächſt an den
— A0 —
perſiſchen Dichter Hafis zu denken, der bekanntlich
in Schiras geboren iſt, aber bei längerem Nach-
denken bin ich von dieſer Annahme zurückgekommen
und zu einem hochintereſſanten Reſultat gelangt.
Die oben erwähnten Namen „Abel“ oder „Kaſimir“
beruhen natürlich auf einer Verſtümmelung, aber
man braucht nur etwas Kombinationstalent zu be-
ſitzen, um ſofort auf das richtige zu verfallen. Mit
einer kleinen Abänderung und einer weiteren Inter-
pretation ergibt ſich nämlich ganz zwanglos der
Name „Abul-Kaſem-Manſur“ oder, um gleich auf
den Kern der Sache einzugehen, der eigentliche Name
des perſiſchen Dichters Firduſi, des berühmten Ver-
faſſers vom „Königsbuch“! ;
Welche Entdeckung!!
In einem Kloſter bei Aſpe befindet ſich demnach
eine der Welt bis dahin unbekannt gebliebene Hand-
ſchrift, welche, wahrſcheinlich in axabiſcher Kberſetzung,
möglicherweiſe aber auch im perſiſchen Urtext, Trink-
lieder des Firduſi enthält!
Und nun kommt der Grund, weshalb ich gerade
Ihnen, verehrtex Herr Baron, dieſe Entdeckung mit-
teile, anſtatt dieſelbe für mich ſelber auszunützen.
Erſtens iſt mein italieniſches Stipendium erſchöpft,
und es fehlt mir das Geld, um eine Reiſe nach
Spanien zu unternehmen. Zweitens haben Sie
ſelbſt in der perſiſchen Stadt Pas, dem Geburtsort
des Firduſi, eine Gedichtſammlung des berühmten
Perſers entdeckt, deren Echtheit allerdings von Ihrem
Schwager Profeſſor Dubois angefochten worden
iſt. Auch in dieſer Sammlung kommt die „Roſe
von Schiras“ vor, und es handelt ſich möglicher-
weiſe um dieſelbe Sammlung. Es wäre ein Triumph
für die Wiſſenſchaft und ein Sieg über Ihren leider
verſtorbenen Schwager, wenn —“
Geldern las nicht weiter, ſondern ſprang mit
beiden Füßen aus dem Bett. „Niels,“ ſchrie er,
„wo iſt meine Mütze?“
—
Der Baron ſtülpte den Lederfetzen auf den Schä-
del, klemmte ſeine Pfeife feſter zwiſchen die Zähne
und fuhr fort: „Ich reiſe nach Spanien, Niels.“
Im Henide, HLL &“
„Ja ſo.“ Er voltigierte in die Hoſe, welche
Niels Lund parat hielt.
Dann fragte der Diener: „Herr, wo liegt denn
eigentlich Spanien?“ ;
„Südlich hinter Zehlendorf.“
„Das is dann wohl nich weit? Da könnte ich
dem Herrn ganz gut die Reiſetaſche tragen.“
„Pack ſie nur ein, du weißt ja: zwei Vorhemden,
ſechs Stehkragen, vier Paar Strümpfe, das Nacht-
hemd und das Nerceſſaire.“
„Bleiben Sie denn über Nacht, Herr?“
* *
Während Niels packte, zog Geldern ſich an und
warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf ſeinen Diener.
„Möchteſt du mit?“ fragte er endlich.
„Ja, ganz gerne. Es iſt doch mal was anderes.“
„Gut, Niels, ſo ſteck dir auch ein Paar Strümpfe
in meine Reiſetaſche. Aber dann müſſen wir ab-
ſchließen.“ /
„Ja, Herr, das müſſen wir wohl. Den Hund
haben ſie uns vergiftet und die Fußangeln ſind weg.
Die Leute ſind doch ſo ſlimm auf das Bild.“
Nun fiel dem Baron die anonyme Warnung
wieder ein! „Die elende Schmiererei!“ ſagte er.
„Aber du haſt recht, Niels, das Bild müſſen wir
wegſchaffen, ſonſt brechen ſie uns am Ende ein.
Straße?“
—
„Nimm das Bild und pack es in eine alte Kiſte,
du kannſt etwas Stroh dazu verwenden. Dann
fahr nach Berlin, geh zu Lewald, beſtell einen Gruß
von mir und ſie ſollten das Ding einſtweilen auf-
heben. Zuvor laß die Rollläden herunter und ſchließe
das Haus ab. Alsdann treffen wir uns Nachmit-
tags um drei Uhr fünfundzwanzig auf dem Lehrter
Bahnhof. Die Reiſetaſche bringſt du mit, ich ſelbſt
muß noch auf die königliche Bibliothek. Verſtanden?“
„Nich ganz, Herr.“
„Ich werde es dir lieber auf Täniſch nieder-
ſchreiben.“
„Ja, Herr, das is dann wohl auch beſſer.“
Niels bekam den Zettel und buchſtabierte ihn
durch. „Wo ſoll ich das Stroh hernehmen, Herr?“
„Meinetwegen aus deinem Kopf,“ knurrte Geldern
und trat an ſeinen Geldſchrauk. Es lagen dort für
gewöhnlich etwa zehntauſend Mark bar in Gold und
Scheinen, alſo hinreichend für eine ſeiner Reiſen,
die wie plötzliche Sternſchnuppen vom Himmel fielen.
Der Baron ſtopfte die Scheine in eine Brief-
taſche, die er läſſig im Jakett barg; das vorhandene
Gold füllte er in eine Metallhülſe, aus der man
die einzelnen Stücke herausknipſen konnte. Das
wax nach engliſcher Sitte ſein Portemonnaie; das
Silbergeld, welches beim jedesmaligen Wechſeln her-
auskam, wurde in die Hoſentaſche ge-
ſteckt zu Tabaksdoſe und Pfeife.
Damit waren die Reiſevorberei-
tungen beendigt. Der Baron warf
noch einen flüchtigen Blick in den Tre-
ſor, überzeugte ſich, daß alle Fächer
leer waren und ſchlug die Tür mit
einem Fußtritt ins Schloß.
„Weißt du, Niels, was die Weiber
jetzt tun würden?“ fragte er nach einer
Pauſe.
„Nä, Herr, wo ſoll ich das wiſſen
- wir haben doch keine.“
„Gott ſei Dank. Sie würden die
Möbel zudecken und Kampfer ſtreuen.
Und dann würden ſie ſich noch zehn-
mal umdrehen.“
Damit ſteckte Geldern die Hände in
die Taſchen und vexließ das Haus.
Er ging dahin wie einer, der ſich zum
Sekunde ſpäter ſtand Niels Lund mit
offenem Munde an der Rampe und
ſah die Rauchwolken des Expreßzuges
vor der Halle verpuffen.
Die Wohnung, in welche Egon
und Felix am Nachmittag des 2. Juli
einzogen, war in ihrer Axt etwas
eigenkümlich, und unterſchied ſich jeden-
falls bedeutend von den modernen
Mietskaſernen Berlins.
Das Haus lag mitten in einem älte-
ren Stadtteil, hatte nur vier Fenſter
Front und zwei Stockwexke; es gehörte
fomit einer längſt verfloſſenen Zeit an.
Die Kellerwohnung war an den
Eiſenbahnſchaffner Müller vermietet,
der zugleich als Hausverwalter fun-
gierte; ſeine Frau betrieb einen Grün-
handel und Ttrank ein bißchen. Er
Raſieren begibt, oder an der nächſten
Ecke ein halbes Dutzend Zigarren ein-
kaufen will.
Niels Lund aber ſtieg in den Keller und kramte
unter den leeren Weinkiſten, die dort aufgeſtapelt
ſtanden. —
Nachmittags um drei Uhr zwanzig, fünf Minuten
vor Abgang des Pariſer Expreßzuges, kam Geldern
auf dem Lehrter Bahnhof angeſchlendert. Er trug
nichts weiter in der Hand als Hentſchels Telegraph,
hofsuhr mit ſeinem
goldenen Chronome-
ter, ſtellte feſt, daß
erſtere um eine Vier-
telminute oder ge-
Sekunden zu ſpät
ging, und trat an
den Schalter.
„Eins erſter, eins
zweiter, Paris,“
ſagte er und knipſte
eine Anzahl Gold-
ſtücke auf das Zahl-
brett.
Dann ſchob er “ ,
die Karten in die —
Seitentaſche und
drehte ſich um. Es
war ſelbſtverſtänd-
lich, daß Niels Lund
da ſein mußte, und
er war wirklich da,
puterrot und in
Schweiß gebadet.
„Alles beſorgt?“
„Jawohl, Herr“
„Der Hausſchlüſ-
ſel?“
—
„Das Bild?“
— Das
hängt wieder an ſeinem Platz.
umgedreht.“
„Wie kommt das?“
„Ich hatte eine alte Weinkiſte genommen, Herr.
Und als ich damit zu Lewald kam, da ſagten die
Herxen, das müſſe ein Irrtum ſein, ſie hätten kein
Weinlager. Ich ſagte darauf, es wäre etwas Ge-
maltes darin. Das wäre ganz egal,
ſagten ſie. Darauf habe ich das
—
Eim Waͤlet W Rin epodell
Ich hab' es aber
ſelbſt lag den ganzen Tag auf der
Strecke und ſchlief, wenn er daheim war.
Das Erdgeſchoß war für einen Laden
eingerichtet. Der Beſitzex desſelben bewohnte bisher
zugleich' den erſten Stöck; er hatte aber Pleite ge-
macht und war am 1. Juli ausgezogen.,,
Im zweiten Stock hHatte der Hauseigentümer, ein
wohlhabender Junggeſelle, gewohnt; er war aber
geſtorben, und die außerhalb Berlins anfäjfigen
Erben vermieteten bis auf weiteres die Etage in
möbliertem Zuſtand, wie ſie gerade war.
Hiex hauſten jetzt
die beiden Freunde.
Sie hatten nie-
mand über ſich und
niemand unter ſich.
Frau Müller ſtieg
einmal täglich aus
der Tiefe des Kellers
herauf und reinigte
die Zimmer — im
übrigen kümmerte
ſich keine Menſchen-
ſeele um die beiden.
„Wir ſind die
reinen Freiherren,“
ſagte Felix am erſten
Abend. „Wenn wir
einander umbringen,
wird niemand groß
danach fragen.“
„Und wenn wir
umgebracht werden,
ebenſowenig!“ ent-
gegnete Egon.
„Das wäre zweck-
los, mein Lieber. Ich
habe zehn Hinter-
männer auf der Liſte,
und ein Zournaliſt
iſt überhaupt nicht
totzukriegen.“
Ihre Freiheit
nutzten ſie weidlich aus. Tagsüber hielt der Bexuf
Salons“, das heißt, es wurde die Verbindungstür
zwiſchen den beiden vorderen Zimmern ausgehoben,
die Gaskronen brannten, auf dem Fußboden ſtand
anderen zu Gaft. Sie lagen mit langen Pfeifen bald
aluf dem roten und bald auf dem
blauen Kanapee, gelegentlich auch
Bild wieder in die Villa getragen,
und ich bin ganz in Sweiß ge-
kommen dabei.“
„Einſteigen nach Paris!“ riefen
die Schaffner.
„Du biſt ein Eſel,“ ſagte der
Baron gelaſſen. „Zur Strafe bleibſt
du zurück. Die Villa iſt nun einmal
abgeſchloſſen, du gehſt alſo bis auf
weiteres nach Eichkamp. Hier iſt
Geld, dein Zug fährt um vier Uhr
drei Minuten.“
Er ſchloß die Reiſetaſche auf und
nahm ein Paar Socken hexaus.
„Da ſind deine Strümpfe. Adieu.“
Es läutete.
Geldern trat auf den Bahnſteig ı
hinaus und ging die Wagenreihe
entlang. Es ſchien ein Gedanke
durch ſein Hirn zu blitzen, der ihn
in ſeiner unerſchütterlichen Ruhe
ſtörte, denn er blieb noch einmal auf
dem Trittbrett ſtehen und ſchüttelte
den Kopf. Da aber zog die Loko-
motive an, ein Schaffner ſchob ihn
vollends in den Wagen, und eine
—
—
eine non.
Photographiſch⸗ —
auf dem Teppich, wenn ihnen das
menſchenwürdiger vorkam.
Felir hatte außerdem eine nütz-
liche Erfindung gemacht.
Er beſaß aus der Leutnantszeit
einen kleinen Taſchenrevolver, der
nach ſeiner Behauptung „faſt ge-
räuſchlos knallte“ dex Deckel des
Kohlenkaſtens gab, mit Kreide be-
malt, eine vortreffliche Scheibe, und
ſo ſchoſſen ſie jeden Abend nach dem
Tee mit erftaunlichem Eifer.
Egon ſah den Zweck der Übung
anfangs nicht ein, aber Felix belehrte
ihn eines Beſſeren. „Du wirſt dich
früher oder ſpäter doch einmal duel-
lieren müſſen,“ ſagte er. „In Frank-
reich tun das alle Journaliſten von
Zeit zu Zeit, ihrem guten Ruf zu-
liebe. Und wenn man nicht gelernt
hat, ſicher vorbeizuſchießen, dann gibt
es ſchließlich doch mal ein Unglück.“
Auch die polizeilichen Bedenken
des Freundes wußte er zu beſeitigen.
„Paragraph 368 Ziffer 7 des
Etrafgeſetzbuches verbietet nur das
S. 486)
— 489 —
Schießen in gefährlicher Nähe von Gebäuden; wenn
ıman in einem Gebäude nicht ſchießen darf, dann
hätte das geſagt werden müſſen.“
Über die Bereitung von Tee und Kaffee ſtritten
ſie ſich oft. Der eine ſollte „ziehen“ und der andere
jollte „ſich ſetzen“ — ſo viel war ihnen bekannt.
Aber ſie ſchmiſſen es immer durcheinander.
Dann faßte ſie „der Menſchheit ganzer Jammer“.
Eines ſchönen Abends beſchloſſen ſie zu lumpen“.
„Kennſt du „Berlin bei Nacht“?“ fragte Zelix,
als das Flaſchenbier alle geworden, und Frau Müller
nicht mehr herbeizutrommeln war. ;
„Eigentlich nicht,“ entgegnete Egon; „wir ſind
ja ſo gräßlich ſolide.“
„Ja, es find zwei Chemänner an uns verloren.
übrigens mußt du Berlin hei Nacht kennen wie
willſt du denn ſonſt unter dem Strich die Sauer-
gurkenzeit ausfüllen?“ ;
Egon ſeufzte. „Du haſt recht. Die Seeſchlange
iſt kontraktlich ausgeſchloſſen, das lenkhare Luftſchiff
zieht nicht mehr, und mit einem „Abſturz auf dem
Kreuzberge“ bin ich neulich ſelbſt abgeſtürzt. Was
für 'ne Kategorie wollen mir denn vornehmen?“
„Die Kaffeeklappen,“ ſchlug Felix vor. „Es gibt
zwar keine mehr, aber das iſt ja ganz egal. Die
Leſer aus der Provinz glauben noch daran und
verlangen ſie. Übrigens haben wir noch recht nette
Pennen, mo man Verbrecherſtudien machen kann.“
„Müſſen wir da unſeren geräuſchloſen Revolver
mitnehmen?“
„J wo! Das tat man höchſtens, als er noch
gar nicht erfunden war. ; !
fehr manierlich, beſonders wenn ſie einen „Geheimen“
wittern. Höchſtens die Uhr zu Hauſe laſſen. Als
ich nämlich jüngſt einen von den Herren zum Glas
Bier einlud, mauſte er mir zum Dank die Legiti-
mationskarte.“
Alſo zogen ſie ab.
„Wie waͤr's mit der Wuhlheide?“ ſchlug Egon vor
„Du haſt mal was davon geleſen, mein Sohn.
Vermutlich war es ein Kolportagexoman. Über die
Peripherie der Ziviliſation gondeln wir nicht hin-
aus. — Heda! Nachtdroſchke! Ik möchte nach die
Müllerſtraße!“
„Ik nich!“ entgegnete der Droſchkenkutſcher und
ſchlief weiter.
Unter Benutzung eines „Lumpenſammlers“, das
heißt eines „Nachtwagens“ der Elektriſchen, kamen
fie endlich in eine Gegend, die Egon noch vollkommen
fremd war. Man ſah hohe, ſchmuckloſe Mietshäuſer,
deren fenſterloſe Brandmauern an wüſte Bauſtätten
grenzten; hinter den Lücken Iag flaches, nacktes Land,
von einem harten Mondlicht beglänzt.
„Hier iſt's nett!“ ſagte Egon.
„Es ſind die Vorpoſten der Kultur, mein Lieber.
Vorpoſtenſtehen iſt niemals nett. Siehſt du dort.
die rote Laterne? Das iſt eine Verbrecherkneipe
modernen Stils.“
Drinnen im Lokal roch es nach feuchtem Mörtel,
Fünfpfennigzigarren und Fuſel. Im übrigen ſah
man den Gaͤſten nichts Beſonderes an. Sie ſaßen
in kleinen Gruppen an kleinen Tiſchen, ſprachen
nicht ſehr laut, und drehten die Köpfe, als die beiden
eintraten. Egon und Felix ſetzten ſich an einen
leeren Tiſch in der Nähe des Büfetts.
„Ich bin natürlich ſchon als „Greifer“ erkannt,“
ſagte Felix, „das iſt uun mal nicht anders. Leg
deinen Block auf den Tiſch und mach dir Natizen,
dann wiſſen die Leute, daß ich heute nur Bären-
führer für einen wißbegierigen Fedexfuchſex bin.
übrigens eine nette Geſellſchaft! Drüben die drei
am Billard ſind: der „glaͤtte Adolf“, der „Sonn-
tagsreiter“ und der „Blüchermax“ — ſie be-
Die Mufe des Dichters.
„Schmierfritze? Was die Leute für ſonderbare
Beinamen haben!“
„Hängt alles mit ihrer Vergangenheit oder einex
beſonderen Begebenheit zuſammen; mitunter auch
mit einer Neigung. Der da war früher Kuliſſen-
maler bei einem Vorſtadttheater. Er hätte es wohl
zu was Beſſerem bringen können, denn er ſoll wirk-
lich Talent beſitzen, aber dex Teufel ritt ihn, und
er verſetzte ſeinem Direktor ein halbes Dutzend Ku-
liſſen, die er am hellen Tage mit einem Handwagen
Dafür bekam er Loch. Jetzt hat er ein
Jahr Zuchthaus abgeriſſen, man ertappte ihn bei
dem Einbruch in eine Bildergalerie.“
„Alſo Spezialiſt.“
„Das ſind fie ja alle — Teilung der Arbeit iſt
auch hier die Loſung. Hm — hm — alſo der hat ſich
jetzt mit dem „Pulverkopf“ zuſammengetan? Sonder-
bar!“
Sie ſchwiegen beide und hingen ihren Gedanken
nach, die vielleicht denſelben Gegeuſtand betrafen.
ſeinen Begleiter auf den Fuß.
Sie ſaßen ziemlich gedeckt hinter einer Säule,
und die beiden zuletzt Gekommenen hatten jenſeits
derſelben Platz genommen, ohne auf ihre Nachbar-
ſchaft zu achten. Sie mochten ſich hier vollkommen
ſicher fühlen.
„Wie ſteht es denn mit dem Bilde?“ fragte der
Schmierfritze.
„Ich bin ein paarmal dageweſen,“ entgegnete
der Pulverkopf. „Das Frauenzimmer ließ mir ja
keine Ruhe.“
menſchen. Dort in jener Ecke ſiehſt du die
„Spitzmaus“ und den „Goldfaſan“ — dex eine
iſt „Johlegänger? und der andere „Flatter-
fahrer“, daͤs heißt: Kollidieb und Bodendieb.
Leider kann ich dir keinen „ſchweren Jungen“
zeigen —“
Er brach ab und ſah nach der Tür.
„Donnerwetter! Wenn man vom Wolf
ſpricht — —
Die beiden Männer, welche ſoeben ein-
traten, hatten ein ſehr verſchiedenes Ausſehen.
Der ältere trug auf den breiten Schultern einen
prachtvollen Künſtlerkopf, dex nur wenig dadurch
entſtellt wurde, daß die vom Vollbaxt freigelaſſene
Partie des Geſichts etwas geſchwärzt ſchien;
ſein Begleiter war blaß, hager, und hatte lauge
femmelblonde Haare. Beide waren anſtändig
und unauffällig gekleidet.
„Iſt das nicht der „Pulverkopf“?“ fragte
Egon leiſe.
„Stimmt, mein Junge. Du haſt ein gutes
Gedächtnis. Sein Begleiter iſt der „Schmier-
fritze“ ein genialer Lump, übrigens auch ſchwerer
Junge, alſo Einbrecher.“