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So war es dem Erbprinzen gerade vecht. Am
Morgen lag er ſtundenlang in dem weichen heißen
Dünenſand, Nachmittags fuhr er mit dem Knecht
zum Fiſchfang aufs Meer hinaus, wobei auch nur
die unumgänglichſt notwendigen Worte gewechſelt
wurden.

Noch während ſeines Aufenthaltes in Norwegen
traf ihn die Nachricht von Sittas Verlobung. Trotz
aller Vorſichtsmaßregeln der Erbprinzeſſin erfuhr er
ſpäter durch einen Zufall den feſtgeſetzten Hochzeits-
tag. In dem Sturm der KÜberraſchung, des zornigen
Schmerzes, telegraphierte er ſeine Bitte um Auf-
ſchub der Hochzeit. Dieſe Bitte konnte wohl befrem-
dend, aber nicht kompromittierend erſcheinen. Die
Antwort, die er in furchtbarer Erregung erwartete,
meldete ihm die bereits geſchloſſene Ehe.

Es war alſo zu Ende Sie flüchtete ſich unter
den Schutz eines anderen Mannes, um ihm zu ent-
fliehen!

Seine Verzweiflung über ihren Verluſt trat wie
eine kurze, ſchwere phyſiſche Krankheit auf. Wie
von einem beſtändigen inneren Fieber gepeinigt irrte
er herum. Jede


ihrer Heirat. Sie brachte ein Opfer damit. Sollte
ſie dies Opfer vergeblich bringen?

Wenn er ſie ſich als Kröcherts Frau dachte, lief
immer noch ein heißer Schauer über ihn hin, aber
er zwang ſich dazu, das ruhig wieder und immer
wieder durchzudenken.

Ein Gedanke griff in den anderen wie Glieder
einer langen Kette, die er hinter ſich herzog. Wie
hart hatte er ſeinen alten, in Vorurteilen ergrauten
Vater, ſeine Mutter, die weiche, apathiſche Frauen-
ſeele, ſeine Gattin, das leichtlebige unreife Kind, be-
urteilt! Jetzt, aus der Ferne geſehen, verwiſchten
ſich die ſcharfen Ecken und Linien. Ein verſöhnen-
der Schimmer lag über allen.

Wie tief litt er jahrelang unter dem Gefühl,
durch ſie gehindert nicht das erreichen zu können,
was er ſeiner eigenen Meinung nach leiſten konnte.
Jetzt in der anderen Beleuchtung, die über allem
Gefchehenen lag, fragte eine innere Stimme ruhig:
„Wie, wenn du gerade durch dieſe Hemmung auf
den richtigen Weg geführt werden mußteſt? Du

Leid und anderen Hemmniſſen freigemacht! Cr
wollte nicht mehr an ſeinen Ketten rükteln, ſondern
ſie in Zukunft höchſtens noch wie einen geringen
körperlichen Druck empfinden, der dem Geiſt nichts
anhaben konnte.

Er fühlte ein ſchmerzliches Bedauern, als ihm
am Morgen ſeiner Abfahrt die ſtämmige Magd in
ihren klappernden Holzpantoffeln zum letzten Male
die altertümliche eiſerne Kaffeemaſchine, die mit
glühenden Holzkohlen geheizt wurde, das altbackene
Brot und die friſchen Möweneier hinſtellte.

Der Abſchied von ſeinen Wirtsleuten, die nicht
ahnten, welchen vornehmen Gaſt ſie beherbergt hatten,
war ſehr einſilbig und kurz. In Rottum wechſelte
man keine höflich verbindlichen Phraſen.

Erbprinz Albrecht ſchwenkte ſeinen Hut. Die
Inſel entglitt ſeinen Blicken immer mehr Das
leichte Boot ſchoß bei dem günſtigen Wind förmlich
durch die Wellen.

Er meldete von der nächſten Stadt aus ſeine
Heimkehr in Glückſtadt an, und nach langer, er-
müdender Reiſe traf er endlich in der kleinen Reſi-

denz wieder ein.

menſchliche Mit ſeltſam
Stimme tat ihm einander wider-
weh. Er * 6
noch in Nor— @R @ e
weg)en von der noch vom Wa-
weltentlegenen genfeuſter aus
Inſel Rottum die Türme ſei-
ſprechen. Dort— nes hochgelege-
hin ging er. nen Palais auf-

Nach dem Par-
oxismus des
Schmerzes kam
eine ſeltſame
Ruhe über ihn,
eine geiſtige und
ſeeliſche Läh-
mung. Er fühlte
keinen Groll
mehr, nur noch
Unluſt zu
allem. Er mochte
nichts wie am
Strande ſitzen,
oder durch an-
ſtrengende kör-
perliche Arbeit,
durch Rudern,
7— —⏑
geln ſich Nachts
einen traum-
loſen Schlaf er-
kämpfen. Für die

Zukunft faßte
er temne Ent-
ſchlüſſe.

Er wußte,
daß er ſeinen
Schmerz un-

männlich trug,
und er fing an,
die in ihm na-
gende Pein zu
verabſcheuen,

wie man ein
krankes Glied
am eigenen Körper haſſen lernt, weil man immer
daran leidet. Er wollte vergeſſen. Aber der Schmerz
ſaß zu feſt. Er wußte es nicht, daß dieſer innere
Arger über das Leiden der Vorbote der Geneſung iſt,
die letzten Froſtſchauer eines abſterbenden Gefühls.

Aber einmal würde ſie kommen, die erſehnte
Stunde, in der ſich das Übermaß des Leidens er-
ſchöpft hatte, mo alle Qual erſt einſchlief, dann
langſam ſtarb.

Und ſie kam, früher noch, als er zu hoffen ge-
wagt. Schöne, träumeriſche, gedankenloſe Stunden
verlebte er jetzt am Ufer des im Sonnenſcheine grün-
lich ſchillernden Meeres, einſam durchwandelte Mond-
nächte an der ſilberglaͤnzenden Küſte.

Aber auch dieſe wohlige Rekonvaleſzentenſtim-
mung verging. Nach kurzem Genuß kam die Lange-
weile, dex Tauwind für den eingefroxenen Willen,
der allmählich wieder erwachte Und ſich regte, erſt
matt und verdroſſen, dann immer lebendiger, treiben-
der. Nun ſetzte auch die Gedankenarbeit wieder ein,
aber nicht mehr als ewig marterndes Sehnen, ſon-
dern als ein Nachdenken über ſich ſelbſt und die
anderen, die in ſein Leben eingegriffen, nein ein-
geſchnitten hatten. Cr mußte ſich mit ihnen allen
auseinanderſetzen. Als er noch mit ihnen lebte, ſtand
er ihnen zu nahe, er konnte ſie nicht gerecht beurtei-
len. „Man muß eine Stadt vexlaſſen, wenn man
wiſſen will, wie hoch ſie liegt.“ Und auch zu einem
abſchließenden Urteil über Perſonen gehört eine ge-
wiſſe Entfernung. Denn erſt jetzt, als er ſich inner-


biſt auch gar nicht an ihrer Unüberwindlichkeit zer-
brochen, uur an deiner eigenen Schwäche und Halb-
heit. Die Deinen haben nie gewußt, was fie dir
laten Das iſt die Erklärung ihres Handelns.”

Ein befreiendex Atemzug hob die Bruſt des Erb-
prinzen All die kranken Gefühle, mit denen er ſich
felbft ſo lange gemartert hatte, fielen wie eine ab-
geſtreifte Hülle von ihm ab,

Er ſah mit ernſtem Blick auf das ſchöne, ge-
heimnisvolle Meer Dex Wind zerxte und riß an
jeinem Mantel. Er wickelte ſich feſt hinein und
drückte den Hut in die Stixn. D

Der Schiffer kam vom Hauſe her in ſeinen hohen,
ſchweren Stiefeln über das Watt. Er ſpannte die
Netze zum Trocknen aus. *

„Morgen früh will ich fort,“ rief ihm der Erb-
P 2 A D D

Der Mannn nickte nur. Die Tonpfeife hing ihm
im Mundwinkel. Er ſpannte ſein Netz aus und
befeſtigte es mit einigen Holzpflöcken, ;

Der Erbprinz half ihm. Der Schiffer der ſich
zuerſt ſtets verlegen ſolcher Hilfe widerſeßte, ließ es
jetzt ruhig wie ekwas Selhſtperſtändliches geſchehen.

Am Abend machte der Erbprinz noch einen Hund-
gang um die ganze Inſel. Sr befuchte die Nöwen-
folonie, ging über die ſchmalen Wieſenſtreifen, ſtand
lange auf dem naſſen Dünenſand des zurückebbenden
Meeres. Seine Haltung war feſt, ſein Gans leicht
und ſicher. Er Fhatte nach harten Kämpfen den
Schwerpunkt ſeines Ichs gefunden, ſich von ſeinem

tauchen, erkannte
die blaue Livree
des ihn erwar-
tenden Lakaien
und Herrn
v. Rotenhahns,
ſeines Kammer-
herrn, wohlbe-

kanntes rotes
Geſicht.
„Iſt alles ge-

ſund?“ war ſeine
erſte Frage
— Kaye
merherr beugte
ſich tief über die
Hand des Erb-
prinzen „Unſer
Telegramm hat
Hoheit nicht
mehr erreicht?“
„Nein —was
iſt geſchehen?“
„Eine kleine
Prinzeß wurde
geſtern geboren.“
Der Kam-
merherr warf
einen forſchen-
den Blick auf
das Geſicht ſei-
nes Herrn. Er
wußte nicht


recht, ob er eine
freudige oder
enttäuſchende
Der Erbprinz zuckte zu-

(S. Sos)

Nachricht damit brachte.


„Gottlob iſt alles in ſchönſter Orduung.“ Der
Kammerherr fuͤhlte wiedex ſicheren Boden „Aber
Seine Hoheit der Herr Herzög ſind leidend. Er
i 4

„Was denn?“ ;

Es war wohl ein leichter Schlaganfall. Seine
Hoheit find-anßer jeder Gefahr, aber die Sprache,
die ganze vechte Seite ift noch gelähmt.“

Der Erbprinz fagte nichts. Er ſah ſehr ernſt
aus. Schweigend fuhr er mit dem Kammerherrn
durch die wohlbekannten, etwas engen Gaſſen der
fleinen Stadt. Er erwiderte die freudigen Grüße
des Publikums mechaniſch. Aus allen Fenſtern
wehten Fahnen. Ein Zeichen der Freude uͤber die
Geburt der kleinen Prinzeffiut

Es il out, Dap ichebreſte434 finde hier
Arbeit auf mich warten!“ fagte der Exbprinz. Er
ſprach nach ſeiner Gewohnheit mehr zu ſich ſelbſt wie
zu ſeinem Begleiter.

Aber der Kammerherx fühlte ſich verpflichtet,
wortreich zu verſichern, wie alle getreuen Untextanen
inGlückſtadt ſich danach fehnten, daß Seine Hoheit
der Erbprinz die Zügel der Regierung ergriffe.

. Um den Mund des Erbprinzen zuckte ein ſar-
kaſtiſches Lächeln.

444 124 es ihn, al8 er die Räume
des Schloſſes betrat. Er ſah ſich wie ſuchend um,
ob er nicht das leiſe Rauſchen von Sittas Kleidern
 
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