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beſſer vielleicht für ſie beide. Da-fte den Umfang
ſeiner Leidenſchaft nicht ermeſſen hatte, konnte ſie
eher alles vergeſſen, was ſich eigentlich vom Stand-
punkt der liebenden Frau nicht vergeben ließ.

Früher bat ſie ihn ſtets um längeres Bleiben,
heute ließ ſie ſogleich ſeine Hand los, als die Pflege-
rin dringend bat, die Unterredung abzubrechen, da
Ibre Hoheit Ruhe haben müſſe. Die Erbprinzeß
ſchloß gehorſam die Augen. Wenn ſie ſich aufregte,
hätte das ja auch dem Baby ſchaden können. —

Das Wiederſehen des Erbprinzen mit ſeiner
Mutter war erſchütternd. Die alte Dame fiel dem
Sohn ziemlich faſſungslos in die Arme und weinte
laut. „Zu viel — zu viel hab' ich durchgemacht!“

wiederholte ſie beſtändig. Die lange Trennung von

dem geliebten Sohn, die Sorge um deſſen Zukunft,
die böſe Laune des alten Herzogs während der Ab-
weſenheit des Erbprinzen, die Angſt um die Schwie-
gertochter, die Freude über die glückliche Geburt des
Kindes, ſchließlich der Schlaganfall, die ſchlimme
Lähmung des Gatten — das alles mar zuviel für
ihre ſchwache, anlehnungsbedürftige Natur.

„Kann ich den Vater ſehen?“ bat der Erbprinz,
den dies fortgeſetzte Klagen über unabänderliche
Dinge ſtets reizte.

„Ja gewiß. Aber du wirſt ihn traurig ver-
ändert finden,“ meinte die Herzogin. Sie ging ihm
voran in das Wohnzimmer des Herzogs.

Der alte Herr lag mit Kiſſen geſtützt in ſeinem
Lehnſtuhl. Der Kammerdiener breitete gerade eine
ſeidene Decke über die ſtark geſchwollenen Füße des
Kranken.

Der Erbprinz verbarg mit Mühe ſeine Beſtürzung.
Das Geſicht des Herzogs ſah gedunſen und verzerrt
aus. Der Mund war infolge des Schlaganfalls
ſchief gezogen. In den Augen ſchien ein entſetzter
Ausdruck über die eigene Hilfloſigkeit erſtarrt zu ſein.

Albrecht nahm die ſchlaff auf den Knieen liegende
Hand des Vaters Die Herzogin blieb etwas hinter
dem Lehnſtuhl ſtehen und trocknete ihre Augen.
Der Lakai verſchwand nach tiefer Verbeugung.

Der Kranke richtete ſich mühſam ekwas auf.
„Ganz lahm!“ ſagte er undeutlich murmelnd. Die
Zunge ſtieß gegen die Zähne beim Sprechen. Jedes
Wort kam mit Anſtrengung hervor. Seine Mund-
winkel zogen ſich herunter wie bei einem Kind, das
weinen will.

„Das gibt ſich wieder, Vater!“ beruhigte der
Erbprinz. Seine von Wind und Wetter gebräunte
Hand umſchloß feſt die welken, geſchwollenen Finger.
„Und bis du geſund biſt, führe ich alle Geſchaͤfte für
dich. Beunruhige dich über nichts. Ich bleibe in
Glückſtadt. Ich gehe nicht mehr fort.“

„Aicht mehr fort!“ wiederholte der alte Herzog.

„Nein, Vater — auf lange nie wieder, verlaß
dich drauf.“

Der Kranke nickte zufrieden.
wieder auf ſeine rechte Seite.
ſtehen!“ klagte er ſchmerzlich.

Der Erbprinz biß ſich auf die Lippen. Daß er
ſeinen kräftigen, hartköpfigen alten Vater ſo gebrochen
wiederfinden mußte, tat ihm weh.

Sie gingen leiſe hinaus.

„Von morgen an übernehme ich die Regentſchaft,
Mutter. Der Vater darf mit nichts beuntuhigt
werden.“

„Welch ein Segen, daß du wieder da biſt! Mir
wuchs alles über den Kopf,“ jammerte die Herzogin.
„Du verläßt uns jetzt nicht mehr, Albrecht?“

„Nein, Mutter, ich bleibe hier!“

Die Herzogin umarmte ihn unter immer ſtärker

fließenden Tränen.
Er machte ſich ſanft los. Es lag ein eigentüm-
Iich ſtarker und doch ſehnſüchtiger Ausdruck in ſeinen
Augen, die über den Kopf der Mutter hinweg ins
Weite ſpähten.

Dann deutete er
„Kann nicht auf-

vierzehntes Kapitel.

Hilmar v. Bodenhauſen ſchob das zerbrechliche
venezianiſche Henkelglas weiter zurück. Er brauchte
Platz auf dem Schreibtiſch für ſein Manuſtkrißt.
Dex ſtaxke Geruch der roten Nelken, die über dem
metalliſch glitzernden Drachenſchweif des Glaſes
hingen, z0g ihm aufdringlich enthegen.

Er ſtand auf und fetzle die Blumen weit weg
ans Fenſter. Freilich, wenn Ilſe es ſah, tat ihr
das wieder weh! Sie ſorgte ſtets für Blümen auf
ſeinem Schreibtiſch. Er woͤllte fie ja aber nicht ver-
leßen. Erſt geſtern, nach einer ſtürmiſchen, von ihrer
Seite ſehr tränenreichen Szene nahm er ſich das
feſt vor. Wenn ſie aber heute fah, daß er die
Blamen, die ſie ihm in ihrem koſtbaͤrſten Glaſe hin-
ſtellte, wieder, foxtgeſtellt hatte, ſo wuͤchs ſich diefe
unbedeutende Kleinigkeit bei ihrer beiderſeitigen Reiz-
harkeit für ihn zu einem auftegenden Arger und für
ſie zu einer tiefen Kränkung auͤs.

Das ſollte nicht ſein. Er mußte ſich beherrſchen.

— 522 —

Cr nahm das Manuſkript wieder vor, korrigierte den
letzten Satz und ſchrieb dann eifrig weiter.

Sehr bald ſtockte aber das Schreiben wieder.
Er warf die Feder hin, ärgerlich über ſich ſelbſt,
daß ſolche Lappalie ihm die Laune, die Arbeits-
ſtimmung verdarb. Nichts wie ein paar harmloſe,
gut gemeinte Blumen! Albern! — Aber er war
nun einmal ſo. Wenn er arbeitete, wollte er mit
jeder Faſer ſeines Leibes und ſeiner Seele bei der
Sache ſein. Der einſchmeichelnde Blumengeruch zog
ihn ab, der nachfolgende Ärger über die eigene
Schwäche aber war noch tauſendmal ſchlimmer-

Warum mußte Ilſe ihm auch immer ihre Liebe
in Aufmerkſamkeiten zeigen, ihm beſtändig ihre Sorge
für ihn gewiſſermaßen aufdrängen! — Auf-
drängen, aufzwingen — ja, das war es! Er ſuchte
bis jetzt vergeblich nach einem Ausdruck dafür Jetzt
wußte er es, was ihn ſeit langer Zeit quälte, Tab-
zog, in alles hineinſprang und ſich einmiſchte: ihre
ſeeliſche Aufdringlichkeit, ihre zudringliche Liebe, die
konnte er nicht mehr aushalten. }

Er legte das Manuſkript beiſeite und klappte
das Tintenfaß zu. Er mochte nicht mehr weiter
ſchreiben. Und doch hatte er ſich in ſo guter Stim-
mung an die Arbeit gemacht. So ging's ihm in
letzter Zeit beſtändig.

Seine bis zum Zerreißen geſpannten Nerven er-
trugen nicht mehr die kleinſte Spannung, den leiſeſten
Druck — und wenn es auch nur ein venezianiſches
Glas mit drei aufdringlich roten Nelken darin war.
Das genügte ſchon, um ihn zu reizen. Er mußte
ſeine ganze Selbſtbeherrſchung aufbieten, um das
Ding nicht in tauſend Stücke zu zerbrechen.

Er ſtieß den Schreibtiſchſtuhl zurück und lief im
Zimmer auf und ab. Wie konnte ſich das nur ſo
zuſpitzen? Er liebte Ilſe doch, hatte ſie aus leiden-
ſchaftlichem Begehren, allem Widerſtand zum Trotz,
geheiratet!

Was konnte er ihr eigentlich zum Vorwurf
machen? Nur, daß ſie ihn zu ſehr liebte, ihm ihre
Liebe aufzwang! Ja, das war freilich ein Fehler,
bei einer Frau ein faſt unverzeihlicher.

Armes Kind! Was konnte ſie dafür? Wer
hatte es ſie jemals gelehrt, daß zu einer Ehe Takt,
Zurückhaltung, eine leiſe Fremdheit unbedingt not-
wendig iſt? Niemand. Ahnungslos, mit dem naiven,
ſiegesſicheren Glauben an die ewige Dauer ihrer
beiderſeitigen Gefühle ging ſie fröhlich harmlos die
Verbindung mit ihm ein, beſeelt von den beſten
Vorſätzen, ihn nie in ſeiner Arbeit zu hindern, ſon-
dern voller Intereſſe daran teilzunehmen.

Wie konnte ſie wiſſen, daß ihr Fragen nach
ſeinen Ideen, die noch unausgereift in ſeinem Kopf
wühlten, ihr Forſchen, wie weit ſeine Arbeit gediehen
ſei, ihre Bitten, ihr ſeine Entwürfe vorzuleſen, tau-
ſendmal quälender waren wie eine brüske Unter-
brechung, die man ſich einfach verbitten kann! Aber
wie ſollte er ohne Roheit die ewig liebevoll fragende
Teilnahme abwehren?

Er legte die Stirn an die Fenſterſcheiben, trotz-
dem er von der Straße unten nichts ſehen konnte.
Die grünen Jalouſien waren der Hitze wegen herab-
gelaſſen. Zittexnde Sonnenkringel tanzten an der
Zimmerdecke. Nebenan hörte er Ilſe aufſtehen, ſich
wieder hinſetzen, ihr Kleid raſcheln. Er glaubte
den Geruch ihres Veilchenparfüms durch die Tür-
ritzen zu ſpüren, und ein quälender Arger, beinahe
an Abneigung grenzend, ſtieg in ihm auf. Narr,
der er war! Wer hieß ihn heiraten, ihn, den ſeine
Arbeit, ſein Schaffen ausfüllte, konnte, nein mußte
eine Frau auf die Dauer ſtören, und wäre ſie auch
zehnmal zurückhaltender und vorſichtiger geweſen
wie die arme kleine Ilſe, die ahnungslos alle Schätze
ihrer Liebe verſchwendete und dafür von ihm for-
derte, was er nicht leiſten konnte und wollte.

Qualvoll, martervoll waren vor allem die letzten
Wochen für ſie beide geweſen. Aber für ihn noch
ſchlimmer, wie für ſie. Ilſe litt dumpf, halb un-
bewußt, weil ihr das volle Verſtändnis fehlte. Er
klarſehend mit beſtändig wachſender Erbitterung, die
nur durch Reue, die wieder in Arger über die ganze
unnötige Quälerei überging, abgelöſt wurde.

Die erſten traumſüßen Wochen am Walenſee
abgerechnet, ſträubte ſich der Künſtler in ihm ſofort
gegen den ihm auferlegten Zwang. Zur beſtimmten
Zeit eſſen, ſpazieren, ſchlafen gehen müſſen, nach der
Uhr und nicht nach eigenem Gutdünken mehr leben
können, das wurde ihm bald ſehr ſchwer. Für ihn
teilte früher die Arbeitsſtimmung den Tag ein, nichts
anderes. Wie oft kam es damals vor, daß er den
ganzen Tag ſchrieb, erſt gegen Abend ausging, ent-
weder in tollex Laune irgendwo mit gleichgeſinnten
Freunden die Nacht verbrachte, oder, wenn ihn irgend
ein ſchweres Problem beſchäftigte, ſtundenlang im
dunklen Tiergarten herumlief. Oft ließ er Wochen
verſtreichen, ohne mit einem Menſchen zu reden.
Erſt wenn der Höhepunkt ſeiner Arbeit überwunden
war, kam er wieder mit anderen zuſammen.

Das ging alles in der Ehe nicht. Das fah er
ja auch ein und beherrſchte ſich. Ilſe ſchmollte auch
nicht lange, wenn er ihr auseinanderfetzte, daß er
unmöglich mitten im Satz aufhören könne, weil die
Suppe auf dem Tiſch ſtand. Schwerer war es ſchon,
ihr das Fragen und Bitten abzugewöhnen: „Wann
bift du fertig? — Gehen wir nachher ſpazieren? —
Bleibſt du nach dem Tee bei mir? — O war
ſchon ſo lange allein! Sie konnte e nicht
verſtehen, daß ſchon der Gedanke, zu einer beſtimm-
ten Zeit aufhören zu müſſen, ihm die Ruhe und
Sammlung nahm.

Aber auch dieſe Periode ging vorüber, nün
traten ſie in das letzte, ſchlimmſte Stadium ihrer ihn
„beſtändig umwerbenden Liebe? Das konnte er
weder vexbieten, noch ohne Roheit mißachten. Und
doch quälte es ihn, quälte ihn entſetzlich, ſo daß er,
immer zwiſchen Erbitterung und Reue hin und her
ſchwankend, jetzt an den Grenzen des Ertragens
angekommen war. Er ärgerte ſich über das Kleid,
das ſie trug, die Art, wie ſie ſich friſierte, ſich be-
wegte, denn alles war darauf berechnet, ſeine Auf-
merkſamkeit und Bewunderung zu erwecken! Es
reizte ihn, wenn ſie bei Tiſch nach intereſſanten
Themen ſuchte, um ihn damit zu unterhalten, oft
krampfhaft heiter tat, von allem möglichen plauderte,
oder tiefgründige Fragen ſtellte. Alles verdroß ihn.
Sie las alle Bücher, die er bevorzugte, und konnte
es nicht laſſen, nach ſeinen Anſichten darüber zu
fragen. Sie wollte nicht nur neben, ſondern mit,
ja in ihm leben, ſich in die Welt ſeiner Gedanken
eindrängen, und wußte gar nicht, was ſie ihm, deſſen
Einſamkeitsbedürfnis ſtündlich wuchs, damit antat.

Seine einſilbigen, verdroſſenen Antworten taten
ihm oft hinterher leid. Wenn er den leiſen Seufzer
hörte, mit dem ſie dann endlich auch verſtummte,
hätte er vor ihr hinknieen und ſie um Verzeihung
bitten mögen! Tat er das aber wirklich einmal und
entſchuldigte ſeine üble Laune mit irgend einem er-
dichteten Vorwand, ſo konnte er ſicher darauf rech-
nen, daß ſie ihre liebevollen Aufmerkſamkeiten ſo-
fort verdoppelte — zum Beweis, daß ſie nicht die
Gekränkte ſpielen wolle.

Was half ihm denn die Stille in der Wohnung,
für die ſie ſorgte, wenn er am Schreibtiſch ſaß, die
liebenswürdige Bereitwilligkeit, mit der ſie alles von
außen Störende fern hielt, wenn er keine ſeeliſche
Ruhe, keine geiſtige Einſamkeit bei der Arbeit mehr
and!

! Er trommelte nervös an den Glasſcheiben. Die
Dunkelheit im Zimmer bedrückte ihn. Er riß die
Jalouſie hoch. Das Licht floß in breiten Strömen
herein. Eine Wolke feiner Stäubchen ſtand ſchräg
im Zimmer. Die roten Tonabgüſſe klaſſiſcher Statuen
auf dem Wandbrett über der Tüx hoben ſich ſcharf
gegen den blaßgrünen Hintergrund der einfarbigen
Wand ab. Eine ſchöne Wirkung! Sein Auge ruhte
mit mattem Wohlgefallen darauf. Er hatte ſich das
Zimmer nach ſeinem eigenen Geſchmack zuſammen-
geſtellt; wenige, aber bequeme Seſſel mit Natur-
ſeder bezogen, ein breites Ruhebett, einen großen
offenen Schreibtiſch, über dem ein Brett, ſeine liebſten
Bücher enthaltend, ſo tief angebracht war, daß er
im Sitzen mit der Hand danach greifen konnte.
Keine Nippſachen oder herumſtehende Photographien
lenkten die Aufmerkſamkeit ab, nur die rotbraunen
Terrakottafiguren, der Fechter, der Diskuswerfer,
der Knabe mit dem Dorn im Fuß und andexe wohl-
bekannte klaſſiſche Geſtalten in ihrex vollendeten
Plaſtik, die ſein ſinnendes Auge nicht beunruhigten,
fondern die gerh in Schönheit ſchwelgende Stim-
mung erhöhten, ſtanden nebft einigen antikgefexmten


entlang zog.
Ein einziges Bild im ſchlichten Holzrahmen hing
ſeitwärts vom Schreibtiſch Sein Blick, konnte es
treffen oder darüber hinwegſehen, es drängte ſich
nicht auf. Ein einfacher Holzſchnitt war mit un-
glaublich wenigen ſchlichten Linien und Mitteln er-
zielte der Künſtler eine große, unmittelbare Wirkung.
Da war Leben, Stolz, Trotz und Entſagung in der
Rittergeſtalt, die eiſern feſt, todesruhig auf dem
mageren Klepper ſaß und einem harten Geſchick ge-
laſſen ins Auge ſah. —
Hilmar brauchte das Bild. Er mußte die ernſte
Figuͤr vor ſich ſehen, wenn er, dex moderne, nervöſe
Dichter, ſeine kraftſtrotzenden Balladen ſchrieb.
Auch heute wollte beim Anblick der finfteren Ge-


Trotz'über ihn kommen. Was ſich nicht biegen will,
muß brechen! Da half nichts Wer ſchaffen muß,
darf nicht rückſichtsvoll weichherzig mit anderen ſein.
Bahn frei! * ;
Eine ſeltſame Idee dämmerte in ihm auf, ganz
form- und farhlos glitt ſie durch ſeine Seele. Wenn
er danach greifen wollte, verſchwamm es im Nebel,
bald näher, bald ferner. ;
Er warf ſich auf das Ruhebett und wartete, ob
 
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