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„Ein Freund von Hilmar.
ſammen die Rheinreiſe.“

„Ach ſo dangeh ich lieber, Ilſe.
ihn gewiß beſſer allein.“

Ilſe wehrte nur ſchwach ab, und Hilde ver-
ſchwand im Nebenzimmer, als das Mädchen gerade
die Tür öffnete, und Meringer eintrat. Die junge
Frau ging ihm einen Schritt entgegen, wortloͤs
ſtreckte ſie ihm die Hand hin.

Er las die qualvolle Frage in ihrem Geſicht.
„Hilmar geht es gut, gnädige Frau,“ ſagte er raſch.

Ilſe ſetzte ſich auf einen Stuhl. Ihre Kniee
zitterten.

Meringer nahm neben ihr Platz. „Es geht ihm
wirklich gut,“ verſicherte er noch einmal. „Er ſitzt
immer noch in Aßmannshauſen, das werden Sie
wohl wiſſen, gnädige Frau?“

Ilſe nickte. „Poſtkarten bekomme ich ja manch-
mal,“ ſagte ſie.

„Er hat gearbeitet vom erſten Tage an,“ be-
richtete Mexinger, „gearbeitet in einem wahren Fieber.
Tagelang ſaß er wie angewachſen in ſeinem Hinter-
ſtübchen mit dem großen Walnußbaum vor dem
Fenſter und ſchrieb und ſchrieb. Ich ſah ihn oft
eine ganze Woche lang faſt gar nicht — Ich ſelbſt
hab' gebummelt, aber ordentlich — dem lieben Gott
den Tag geſtohlen, im Gras gelegen, Weintrauben
gegeſſen und in den Himmel hinauf oder auf den
Rhein hinunter geſchaut.“

„Sie wiſſen nicht, was Hilmar ſchreibt?“

„Ich hab' mich wohl gehütet, ihn zu fragen!
Wenn er will, daß ich's wiſſen ſoll, wird er mir's
ja ſagen, dacht' ich.“

„Sie ſind ſehr klug —“ Ilſe ſtrich ſich das Haar
aus der Stirn — „ſehr klug. Aber man kann leicht
klug ſein, wenn man nicht liebt. Liebe macht dumm,
blind und töricht!“

„Mag wohl ſein“ Meringers Stimme klang
gepreßt. „Gnädige Frau, wir werden bald leſen
können, was da in dem kleinen Künſtlerheim in Aß-
mannshauſen entſtanden iſt. Der Verleger hat das
Manuſkript ſchon. Die Tinte war kaum trocken, da
gab's Hilmar ſchon in Druck.“

„Und wann — ich meine, wann ſprach Hilmar
von der Rückreiſe?“

Meringer ſchlug die Augen nieder. Die vor
Erwartung zitternde Stimme zu hören, war ſchlimm
genug, den Blick der großen angſtvollen Augen konnte
er nicht ertragen. „Ich weiß es nicht!“ murmelte
er halb unverſtändlich.

„Doch — Sie wiſſen es, Sie wollen es nur nicht
ſagen! Sie müſſen aber ſprechen, hören Sie, Sie
müſſen! Ich will die Ungewißheit nicht länger aus-
halten.“

Ilſe trat hart vor Meringers Stuhl hin. Er
ſtand auch auf. Ein grenzenloſes Mitleid lag in
ſeinen Augen.

Sie taſtete nach einem Halt.
wieder zu mir kommen?“

„Doch — doch, gnädige Frau — liebe Frau Ilſe!
Wie können Sie das denken! Nur jetzk ſo gleich
nach der anſtrengenden Arbeit — Sie werden das
begreifen, nicht wahr — braucht Hilmar Ruhe.
Berlin iſt zu geräuſchvoll, das kann man ihm nach-
fühlen, und da ſprach er davon — wenn Sie nichts
dagegen hätten natürlich — mit einem Vergnügungs-
dampfer nach dem Orient zu gehen. Die Reiſe dauert
nur drei bis vier Monate, dann legt das Schiff
wieder in Hamburg an.“

„Und vorher kommt er nicht zurück?“

„Ich weiß es nicht, gnädige Frau. Er fürchtet
vielleicht den Abſchied. Er reißt ſich dann wohl zu
ſchwer los, und für ſeine Geſundheit, ſeine Nerven
iſt die Reiſe gewiß gut.“

„Hat er Sie beauftragt, mir das zu ſagen?“

„Er bat mich darum, gnädige Frau. Sie wiſſen
ja, wie ungern er brieflich etwas auseinanderſetzt.“

„Ja — das weiß ich. Es iſt auch freilich be-
quemer ſo.“ Ilſe ging zu ihrem Stuhl zurück. Die
Hände im Schoß verſchlungen, ſaß ſie eine Zeitlang
ſchweigend da. „In Aßmannshauſen war er wenig-
ſtens leicht zu erreichen. In einigen Stunden konnle
ich bei ihm ſein. — Es oing mir ja noch gut bis
jetzt, aber dann — ſo weil fort! Wenn der Wind
heult, dieſe Angſt, dieſe ſchreckliche Angſt, daß das,
waz hier Wind iſt, dort Sturm aͤuf dem Meer ſein
mUL — D, es iſt grauſam — graufam!“ Ihre
Stimme brach.

Meringer faßte nach ihrer Hand.
Frau, ſo müſſen Sie es nicht auffaſſen!“
„Wie ſoll ich es denn auffaſſen?“
Als einen Übergang, eine Kraͤnkheit, eine Nerven-
abſpannung — was Sie wollen. Jedenfalls als
etwas, das yorübergehen wird und auch ſeine Liebe

für Sie nicht eigentlich berührt.“

Ilſe ſchüttelte den Kopf. „Sie meinen es gut,
aber das kann doch kein anderer ſo verſtehen.“

„Soll ich gehen? Tut Ihnen mein Anblick weh?“

Sie machten zu-
Du ſprichſt

„Gnädige


— 44 —

„Nein — gut!“ antwortete ſie einfach. „Sie
ſind für mich ein Bindeglied zwiſchen uns! Wenn
Sie hier ſind, fühle ich mich nicht ſo einſam.“

Er verharg mühſam ſeine Rührung. „Ich hab'
Ihnen auch etwas zum Vorleſen mitgebracht, Frau
Ilſe,“ fing er endlich ein wenig verlegen wieder
an. „Sanz faul bin ich am Rhein doch auch nicht
geweſen. Ein paar Verſe und zwei kleine Skizzen
ſind's geworden.“

„Sind die Sachen ſchon gedruckt?“

„Nein — ich weiß überhaupt nicht, ob ich's je
drucken laſſe. Wenn's Ihnen gefällt — das wäte
mir der ſchönſte Lohn.“

Er 30g einige blaue Hefte aus der Taſche und
las erſt ſtockend, dann flüſſiger mit ſeiner tiefen,
oft ſeltſam weich klingenden Stimme ein paar Ge-
dichte. Bei allex Formvollendung erſchienen die Ge-
dichte leicht ſpielend, wie mühelos hingeworfen. Die
rauſchenden Rheinwellen ſangen in rhythmiſchen
Strophen ſchlicht und doch mit ergreifender Hoheit
tiefen Ernſt und goldigen Frohſinn — durch alles
hindurch zog ſich wie ein filbernes Band die ver-
ſchwiegene, ſtille Liebe zu einer holden Frau, die
ihm ewig unerreichbar fern bleiben mußte, und der
doch jedex ſtürmiſche Herzſchlag gehörte.

„Iſt das Wahrheit oder Dichkung?“ fragte Ilſe.

„Was?“

„Die Liebe, von der Sie ſingen.“

„Die iſt Wahrheit.“

„Und die, die Sie lieben — kann Ihnen niemals
gehören?“

„Niemals, Frau Ilſe! — Sie ahnt nichts davon
— und ſoll's auch nie wiſſen.“

„Wie traurig!“ Ilſe ſprach nachdenklich. Plötz-
lich ſah ſie Meringer groß an. „Ja, es iſt wohl
traurig, aber noch viel trauriger ift es, wenn man
ſich heiratet und dann —“ Sie brach ab und ſchob
ihren Trauring an ihrem ſchlanken Finger hin und
her. „Meine Schweſter iſt bei mir, ich will ſie
rufen. Die möchte Sie doch auch kennen lernen,“
ſagte ſie plötzlich.

Meringer legte die Hefte zuſammen. „Ich bin
froh, daß Sie nicht ganz allein ſind, gnädige Frau.
Störe ich wirklich nicht, wenn ich bald wiederkomme?“

„Nein, gewiß nicht, wir freuen uns ſehr.“ Sie
hielt ihm ihre Hand hin.

Er beugte ſich tief über die ſchmalen weißen
Finger, die in ſeiner großen Hand ganz verſchwanden.

Hilde trat, als er gehen wollte, ins Zimmer,
machte aber heute nur noch ſehr flüchtig Meringers
Bekanntſchaft. Er ließ ſich nicht halten, verſprach
aber feſt, bald wiederzukommen.

Und er kam ſchon ſehr bald wieder. Den beiden
Schweſtern waren ſeine Beſuche willkommene Unter-
brechungen ihres Stilllebens. Namentlich Hilde ge-
fiel der ſchlichte Menſch immer beſſer. Er war ſo
ganz anders wie alle Männer, die ſie ſonſt kannte.
Es ſteckte ſo viel unverbrauchte Kraft, ſo viel natür-
liche Liebenswürdigkeit und hoher Idealismus in
ihm, daß man ihm gut ſein mußte.

Wenn Ilſe ihm ſeine Lieblingsſtücke vorgeſpielt
hatte — er war auch darin wie ein großes Kind,
er wollte immer dieſelben hören — dann las er den
Schweſtern vor, viele ſeiner ungedruckten Manuſkripte,
oft wahre Perlen an Schönheit, kleine Kabinetts-
ſtücke fein ausgeführter Detailmalexei, die er, wenn
er ſie geſchrieben, ruhig im Schreibtiſch liegen ließ.
Die Ungeduld anderer Schriftſteller, die ihre Arbeit
am liebſten tintennaß abliefern, beſaß er gar nicht.

„Vielleicht werden ſie beſſer vom langen Liegen,
wie unreifes Obſt und junger Wein,“ beantwortete
er Ilſes Vorſtellungen mit einem herzlichen Lachen.
„Die Verleger rennen mir ja auch nicht gerade das
Haus ein. Wollen Sie's haben, Frau Ilſe?“,

„Gern.“ Sie nahm das Manuͤſkript aus ſeinen
Händen, mit dem heimlichen Hintergedanken, durch
Hilmars Vexleger einen guten Preis für ihn zu erzielen.

Hilde hörte anfänglich nur mit mäßigem Inter-
eſſe den Geſprächen und Vorleſungen zu; bald ge-
wann ſie aber daran Geſchmack. Sie fing an, ſich
etwas zu ſchämen, daß ſie gar ſo wenig geleſen habe.
Hier hätte fie ja Zeit dazu, ſonſt nahmen häusliche
Ärbeiten die Tage vollauf in Anſpruch. Ilſes Woh-
nung mit zwei Mädchen zur Bedienung machte kaum
nennenswerte Mühe. So ſaß denn Hilde manchmal
ſtundenlang und las, waͤhrend Ilſe Klavier ſpielte
oder fpyann — eine Beſchäftigung, für die ſie auf
einmal Paſſion bekam.

Alles, was Meringer ihr riet, oder gar ſelber
geſchrieben hatte, verſchaffte Hilde ſich. Die Schweſtern
ſchienen die Rollen getauſcht zu haben.. Ille las
wenig, bekümmerte ſich mehr um praktiſche Dinge,
und Hilde war kaum von den Büchern fortzubringen.
Allmaͤhlich kam es ſo, daß Meringer und Hilde
meiſtens zuſammen ſprachen, er ſich an ſie mit ſeinen
Auseinanderſetzungen wandte, ihre Fragen beant-
wortete und berichtigte, während Ilſe ſpann — oder
vor ſich hinträumte.

Meringers Kommen teilte bald für Hilde den
Tag ein Wenn er Abends exwartet wurde, ſorgte
ſie in ihrer hausmütterlichen Art für ein beſonders
gutes Eſſen.

Manchmal trafen ſie ſich auch bei Spaziergängen.
Er ſchlendexte dann nehen den Schweſtern hẽr dürch
den kahlen Tiexgarten, in dem es jetzt ſo erfriſchend
nach feuchtex Erde und welken Blättern roch Oder
ſie bummelten die Linden entlang, an all den ele-
ganten Läden voxbei. Er und Hilde äußerten oft
ein kindliches Entzücken über all die ſchönen Gegen-
ſtände, die dort zur Schau geſtellt wären, waͤhrend
Ilſe, als abgeſtumpfte Großſtädterin, gleichgültig
darüber hinſah. ; -

„Diesmal, Frau Ilſe, kommen Sie aber nicht
ſo ſchlankweg vorüber!“ fagte er eines Tages Er
lachte übers ganze Geſicht, indem er auf einen Buch-
laden deutete, in deſſen Schaufenſter die neueſten
Bücher in ſtilvollen Einbänden auslagen.

Ilſe ließ raſch ihre Blicke über die roten, gelben
und grünen Buchdeckel gehen. Die breite rote Leib-
binde eines nur mäßig dicken Buches in olivfarbener
Leinwand, mit ſteilem Tulpenmuſter darauf, ſprang
ihr förmlich mit großen Buchſtaben in die Augen!
Soeben erſchienen „Die Geſchichte eines Künſtlers“
von Hilmar v. Bodenhauſen.

„Der Verleger hat's eilig gehabt.
hineingehen?“ fragte Meringer.

Ilſe ſtand bexeits auf der Schwelle und auch
ſogleich vor dem Ladentiſch.

„Das Buch im Schaufenſter,
Stimme zitterte.

„Die Geſchichte eines Künſtlers von Bodenhauſen,
meine Gnädige?“ Der Buchhändler ſchien bereits
zu wiſſen, was verlangt wurde.

— ꝛ «

„Wird koloſſal gekauft. Habe heute vormittag
ſchon zwanzig Exemplare abgeſetzt So was zieht
jetzt.“

Der Mann wickelte das Bändchen in blaßroſa
Seidenpapier. /

„Wußten Sie, daß das Buch jetzt erſcheinen
ſollte?“ fragte Ilſe draußen Meringer. Sie ging
ſehr raſch. Meringer und Hilde konnten kaum
folgen.

„Nicht beſtimmt,“ meinte er achſelzuckend „Ich
wollte e& deshalb nicht vorher ſagen. — Darf ich
mich hier empfehlen?“

„Adieu.“ Ilſe hielt ihm zerſtreut ihre Hand hin-
„Morgen abend — nicht wahr?“

Meringer nahm grüßend den Hut ab.

Ilſe ging, das Buch feſt an ſich gedrückt, ſtumm
neben Hilde her. „Wir wollen eine Droſchke neh-
men,“ ſchlug ſie vor. Sie atmete haſtig von dem
übertrieben ſchnellen Gehen.

Hilde mar einverſtanden. Sie erriet den Grund.
Ilſe konnte es nicht erwarten, das Buch zu leſen!

Merkwürdig, daß Hilmar es ſeiner Frau nicht
vor dem Druck vorlas. Das wenigſtens konnte man
als Frau eines Dichters doch verlangen! Meringer
las ihnen alles vor, was er geſchrieben. Hilde er-
rötete plötzlich über dieſe Gedankenverhindung. Wenn
ſie darüber nachdachte, mußte ſie eingeſtehen, daß
ſich in all ihren Anſichten und Lebensauffaſſungen
ein gewaltiger Umſchwung vollzogen hatte. Ihre
Anſchauungen erweiterten und verſchoben ſich von
dem Tage an, als Meringer in ihr Lehen trat und
durch feinen ungewollten, ganz unwillkürlichen Ein-
fluß, fein geiſtiges Übergewicht ſie, das adelsſtolze,
in mänchem Vorurteil befangene Mädchen, zwang-
zu ihm aufzuſehen! Sie kannte es vor ſich. ſelbſt
nicht ableugnen, die blonde Reckengeſtalt erſchien ihr
eigenartiger, ſtolzer wie die eleganten Junker und
Herren ihrer Bekanntſchaft. *

Zu Hauſe angekommen, vexgrub Ilſe ſich ſofort
in das mitgebrachte Buch. Hilde fand in ihrem
Zimmer einen Brief aus Hinrichshagen vor. Sie
Ebrach ihn haſtig. Hans-Heunins bat dringend um
ihr Rommen für ein paar Tage, die Mamſell ſei
etkrankt, Sitta ſehr angegriffen in ihrem ſchonungs-
bedürftigen Zuſtand, und er müſſe jetzt endlich ſeine
bisher ftets verſchobene Jagd gehen und wiſſe ſich
feinen Nat, da ev Onkel Heinkich nicht um Hilfe
bitten wolle. !

Hilde ſeufzte. Sie fürchtete, wenn ſie erſt ein-
mal in Hinrichshagen war, nicht ſo bald wieder
loszukommen. Sie dachte an die Abende hier, wenn
Meringer vorlas — moxgen abend wollte er kommen
und ſie war dann foͤrt! — Schließlich abex be-
ſchloß ſie doch, auf der Stelle zu fahren Die Reiſe
war nur kurz in drei Stunden konnte ſie Hinrichs-
hagen erreichen. * — A

Sie wifchte ſich, beſchämt über die eigene bittere
Enttäuſchung, eine Träne aus den Augen, ehe ſie
zu Ilſe hinüberging.
* 4 Fhald ich kann, zu dir zurück,
Ilſé!! ſchloß ſie ihre Mitteilung.

Ilſe ſchien völlig von dem Buch eingenommen

Wollen wir

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