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Sie wartete geduldig noch ein paar Tage. Er
kam nicht. Endlich hielt ſie es nicht längex aus.

„Ilſe, willſt du nicht einmal an Meringer ſchrei-
ben, daß ich wieder hier bin und wir uns freuen
würden, ihn zu ſehen?“

Ilſe ſah von ihrer Arbeit auf. Hilde wunderte
ſich übex den traurigen Ausdrück ihres Geſichts.
„Ich möchte es lieber nicht tun, Hilde. Es wäre
auch vergeblich, er würde doch nicht kommen.“

„Weshalb nicht?“

„Frage mich lieber nicht, Hilde.“

Ilſe beugte den Kopf tief über ihre Stickerei.
„Es iſt ſehr traurig.“

Hilde zuckte zuſammen. „Glaubſt du, daß er dich
liebt, Ilſe?“ fragte ſie endlich langſam.

„Ja, Hilde, ich weiß es. Aber frage mich nicht
mehr — ich ſpreche nicht gern davon.“

Hilde ſchwieg. „Nein, ich ſpreche nie wieder mit

dir darüber,“ ſagte ſie endlich. Ihre Stimme klang

— 546 —

ihr ſelbſt fremd in den Ohren Sie verließ bald
unter irgend einem Voxwand das Zimmer Am
Abend war ſie ſehr ſtill Ilſe wunderte ſich aber
nicht weiter darüber! Die Schweſter ſpraͤch oft
wenig, und ihr mar es recht, wenn man ſie nicht
in ihren Gedanken ſtörte. Meringers Name wurde
nicht mehr zwiſchen ihnen genannk.

Die Tage vergingen ſehr ſtill. Man kann mm
Berlin ſo einſam wie in einer Wüſte leben, wenn
man will. Gelegentlicher Theaterbeſuch bildete die
einzige Abwechſlung. Jede Einladung wies Ilſe
nach wie vor zurück. ;


Stellung iſt augenblicklich ſehr ſchwierig“

Das ließ ſich nicht beſtreiten, und Hilde lobte
innerlich Ilſes Takt. Sie ahnte nicht, daß es haupt-
4 Scheu war, auf Hilmars Buch angexedet zu
werden.

Sie ſelbſt las das Werk nicht. Mit Meringers

Scheiden exloſch ihr Intereſſe an der Literatur bald
wieder Nur ſeine Bücher ſchaffte ſte ſich amn und
las ſie oft. Das war ein gemeinſames Band, ein
geiſtiger Händedruck aus der Ferne, Zum erſten
Male in ihrem Leben mar Hilde mit ſich und ihren
Befühlen, nicht nur mit den Geſchwiſtern beſchäftigt.
Daher kam es, daß ihr die Veränderung, die taͤt—
ſächlich mit Ilſe vorging, kaum klar wurde. Von
dem ausgelaſfenen Kind, dem ſchwärmeriſchen, zwi-
ſchen Jubel und Sehnſucht hin und her ſchwanken-
den Mädchen, der leidenſchaſtlichen, etwas zerfahrenen,
übertrieben eleganten jungen Frau ließ ſich an Ilſe
nichts mehr entdecken, nichts blieb davon zurück im
Weſen der jetzt immer etwas ernſten, ſtillen Ilſe,
die unbeirrt ſicher ihren Weg ging und mit ihrem
Kummer über ihre Verlaſſenheit allein fertig zu
werden wußte.
Der kurze ſtrenge Winter ging {xUh zu Ende.
Heftige, laue Winde, Regengüſſe kündeten das Nahen

des Frühlings an. In den letzten Wochen kamen
häufig Karten, auch kurze Briefe van Hilmar an.
Er trat ſchon die Heimreiſe an. Die Seefahrerei
beginne ihn zu langweilen, ſchrieb er eines Tages,
er würde ſeine Reife vom nächſten Hafen aus mit
der Eiſenbahn beenden, um endlich ſeine geliebte
kleine Frau, nach der er eine täglich ſteigende Sehn-
ſucht empfinde, wiederzuſehen.

Der raſch darauf folgende nächſte Brief melddte
ſeine in wenigen Tagen erfolgende Heimkehr an.
Ilſe las den Brief vor. Ihre Stimme klang un-
bewegt, beinahe gleichgültig.

„Ich gehe natürlich vorher fort,“ ſagte Hilde
ruhig „Nach ſolcher langen Trennung müßt ihr
euch allein wieder zuſammen einleben.“

Ilſe fertigte einen kleinen Kahn aus Hilmars
Brief — eine Kunſtfextigkeit, die noch aus ihrer
Kindheit ſtammte. Sie ſchien ſo vertieft in ihre
Spielerei, daß ſie kaum hörte, was die Schweſter
agte.

„Du kannſt mir das nicht verdenken, Ilſe,“ fing
Hilde etwas gekränkt wiedex an. „Wenn du Hilmar
wieder haſt, bin ich ja auch ganz überflüſſig.“

„Ja, es iſt beſſer, du gehſt, Hilde, liebe, gute
Hildei — Ich danke dir, daß du ſo lange bei mir
aͤushielteſt.“ Das kleine Papierſchiff fiel unbeachtet

Schloß Mefpelbrunn im Speſſart. (S. 549)

auf den Teppich. „Es mar eine trauxige Zeit für
mich, aber glaub es mir, dies Wiederſehen muß noch
viel trauriger fein.“ Ohne der Schweſter Zeit zur
Erwiderunß zu laſſen, ging Ilſe ſchnell hinans.

Hilde fehlte das Verſtändnis für dieſe Regungen
eines verwundeten Herzens. Daß Ilſe unglütklich
über die lange Trennung, auch etwas böſe auf ihren
Mann gewefen war, das hegriff fie; mwarum aber
die Rückkehr, das Wiederſehen traurig ſein ſollte,
das ſah fie nicht ein Ilſe war eben immey ſchwer
verſtändlich und widerfpruchsvoll in ihren Empfin-
dungen geweſen.

Hildé meldete ſich in Malchow an. Wo ſollte
ſie auch ſonſt hingehen, da man ſie in Hiwrichshagen
augenblicklich nicht brauchte? Sie ſtand vor der
Abreiſe noch ein Weilchen an dem Fenſter des kleinen
Logiekzimmers, das ſte ſo lange bewohnt hatte Die


boten gerade Teppiche klopften, wirkte wenig er-
heiternd. „Heimatlos ſein, iſt ſchwer! feufzte ſie
und legte die Stirn an die Scheiben Ihre Augen
blickten trübe. „Wenn ich ein Stübchen und einen
Menſchen, dem ich wirklich zum Leben nöftg waäre,
ganz mein eigen nennen könnte — das wäre Glück!!

Zie ſtrich ſich über die feuchten Wimpern, ſeßte ſich
in einen Stuhl und barg das Geſicht in den Händen. —

Als ſie Ilſe zum Abſchied küßte, merkte man ihr
keine Erregung mehr an; aber ihre Augen brannten
von all den mühſam zurückgehaltenen Tränen.

Mit ſeltſam widerſtreitenden Empfindungen er-
wartete Ilſe Hilmars Rückkehr Mit einem Senfzer
muͤßte ſie denken, mit wie „zitterndem Jubelſie
ihn noch vor wenigen Wochen empfangen haben
würde! Etwas in ihr ſträubte ſich dagegen, Vor-
beteitungen zu feinem Empfang zu treffen. Sie
behielt ihr alltägliches Kleid an. Das Haar blieb
ſo glatt zurückgeſtrichen, wie ſie, es jetzt immer trug.
Sie ſtrickte an einem weißwollenen Fäckchen für
Hans-Hemnings und Sittas zu erwartendes Kind.
Dabei mußte man aufpaſſen und zahlen, das be-
ſchäftigte die Gedauken, die mmer gpirren wollten.
Trotzdem konnte ſie es natürlich nicht ganz aſen-
an Hilmar zu denken Er würde gewiß nexvös
abgefpannt und ſchlecht gelaunt von der langen Reiſe
fein. Sie mußte ruhig, freundlich bleiben und jedes
erregende Geſpräch vermeiden.

Gofchrocken fuhr fie zufammen. Die Klingel
ſchrillte durchs Haus. Kam er jebt ſchon? Sie
ſtaͤnd heftig atınend am Tiſch, ſie hörte ſeine Stimme,
die haſtig ein paar Worte mit dem öffnenden Mäd-
chen fpräch. Wie eine große Woge von Schmerz
 
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