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weiter darüber ſagen. Es iſt ganz natürlich, daß du
jetzt noch angegriffen ausſiehſt. Das wird bald beſſer.“

Sie ließ ihren Kopf an ſeiner Schulter liegen.
Eine grenzenloſe Sehnſucht nach Ruhe überkam ſie.
Sie mochte eigentlich nichts wie auf dem Bänkchen
an ihres Kindes Wiege ſitzen, die Stirn an das
Korbgeflecht gelehnt und traumlos, wunſchlos vor
ſich hindämmern bei dem einſchläfernden Fliegen-
gefumm. Die Wirtſchaftsſorgen lagen wie ein un-
überwindliches Hindernis vor ihr. Nun gar ein
Taufmahl arrangieren ſollen mit ungenügenden
Dienſtboten, einen ſo anſpruchsvollen Gaſt im Hauſe
haben wie ihre Mutter — dazu den Erbprinzen
erwarten! Sie fühlte wie Tränen ein Ur
bezwingliches Schluchzen ın ihrer Kehle aufſtieg.
Nur mit allergrößter Mühe zwang ſie ſich zu einigen
freundlich beiſtimmenden Worten zu Hans-Hennings
Vorſchlägen.

Frau v. Hohenthal mar ſeit etwa vier Wochen
in Hinrichshagen. Zu der Geburt des Kindes zu
erſcheinen, das erlaubte ihre eigene „ſchonungsbedürf-
tige Geſundheit“ nicht. Als aber Sitta wieder im
Hauſe herumgehen konnte, kam ſie, um ihr „heiß-
geliebtes Kind“ zu pflegen. In Wahrheit brachte
ſie durch ihre Anſprüche und Klagen das ganze Haus
in Aufruhr und Sitta in ihrem nervös gereizten
Zuſtand faſt zur Verzweiflung. Dabei war dem
anſpruchsvollen Gaſt nichts gut genug. Hätte Hans
Henning nicht ſehr energiſch Einſpruch erhoben, ſo
würde das ganze Haus für ſie umgedreht worden ſein.
Sie ſchlief abwechſelnd in allen Räumen des oberen
Stockes. In dem einen Zimmer ſtörten ſie Morgens
die Hähne mit ihrem Krähen, das zweite lag nach
Norden, ſie mußte aber notwendig Sonne haben, die
dritte Stube roch nach dem Stall, die vierte war
unerträglich klein, eng und heiß. Die Art und
Wahl der Gerichte bei Tiſch, die noch nicht ganz
tadelloſe Servierkunſt des kleinen Dieners — alles
und jedes bot Frau v. Hohenthal Veranlaſſung, ſich
zu beſchweren, oder das Geſchick ihres armen Kindes
zu bejammern.

Hans-Henning nahm die Klagen der Schwieger-
mutter zuerſt humoriſtiſch auf; ſeitdem er aber merkte,
wie Sitta ſich darüber erregte, wurde er manchmal
deutlich, was freilich keinen anderen Erfolg hatte,
als daß Frau v. Hohenthal ſeitdem mit der Miene
einer Dulderin herumging, und Sitta in beſtändiger
Sorge vor einem Streit zwiſchen den beiden ſich erſt
recht aufregte.

Seit einigen Tagen mar Frau v. Hohenthals
Laune beſonders ſchwierig. Die Hitze Iag ihr auf
den Nerven, wie ſie ſich ausdrückte, und in den
niedrigen Stuben hier litte man ſchrecklich unter der
Schwüle. In Gelsheim ſpüre man ſo etwas in den
weiten, luftigen Räumen kaum. Dazu die vielen
Fliegen und Mücken — nicht einmal Nachts könne
man die Fenſter öffnen, ſonſt kämen Schwärme von
Ungeziefer herein. Natürlich, wenn man den Vieh-
ſtall dicht vor der Naſe hat!

„Ja, meine gnädigſte Frau v. Hohenthal, das
iſt auf dem Lande nicht anders. Da muß man ſich
ſchon an den Stallgeruch gewöhnen!“ ſagte Heinrich
v. Kröchert, der mit Kaxola und Hilde aus Malchow
Nachmittags herübergekommen mar und in der Laube
ſeinen Kaffee trank. Er konnte es nie über ſich ge-
winnen, ihre Klagen unbeantwortet zu laſſen, fondern
nahm ſtets den hingeworfenen Fehdehandſchuh auf.

„Paxdon, ich kenne doch auch herrſchaftliche Land-
ſitze!“ Frau v. Hohenthal fächelte ſich energiſch mit
einem großen Spitzenfächer Kühlung zu.

Hilde und Karola bewundexten das Kind, das
mit offenen Augen in ſeinem Wägelchen lag und von
Fieken, einem kleinen Bauernmädel, im Garten hin
und her geſchoben wurde.

SEitta goß heißes Waſſer auf die Kaffeemaſchine,
ihre Hand zitterte. Über das weiße Tiſchtuch zuckten
die Blätterſchatten der Ariſtolochia, deren üppig
wucherndes Grün die ganze Laube umhing.
Hans-Henning ſah von ſeiner Zeitung auf. „Wir
ſind zudem nur Pächtersleute, Mama.“ Das klang
ſcheinbar ſehr harmlos, aber ex wußte genau, daß
joldhe Außerungen die Schwiegermuttel ärgerten-
Bisweilen iſt eine kleine Rache ſelbft einem wohl-
wollenden Gemüt unentbehrlich.

Frauuv. Hohenthal ſetzte ihr hochmütiges Geſicht
auf. „DasS hab' ich freilich nicht gewußt, daß man
ſolch Verhältnis zwiſchen Lerwandten fo auffaßt!“

‚30 bin Pächtex von Hinrichshagen, weiter
nichts,“ Dbeharrte Hans-Henning. „MNicht wahr,

Onkel Heinrich?“

„Das biſt du, Hans Henning — und zwar einer,
der pünktlich zahlt!“ beſtätigte der Alte.

„Siehſt du wohl, Mama? Sitta ift auch ganz
gern eine Pächtersfrau. . Nicht wahr, Sitta2“ Gr
egte ſeine Hand unter ihr Kinn und drehte ſich ihr
Geſicht zu.

„Gewiß, Hans-Henning. Aber wenn Mama es
nicht gern hört, wollen wir es nicht ſagen, bitte“

— 566 —

„O liebes Kind — meinetwegen ſagt es nur!“
Frau v. Hohenthals Fächer wehte ſtürmiſch „Wenn
du mit ſolcher Lebensſtellung zufrieden biſt — mir


geworden, Sitta.“

„Kann ich dir das Kaffeeeingießen abnehmen?“
bat Hilde. Sie trat zur Schwägerin „Karola iſt
noch nicht vom Wagen wegzubringen; ſie behauptet,
Baby lache ſie ſchon an.“

0,

Sitta ſetzte ſich auf die Bank. Sogar die ge-
ringe Mühe, den Kaffee aufzugießen, ſtrengte ſie an.
— lange, dann lehnte ſie ſich ganz ermattet
zurück.

„Trotz unſerer beſcheidenen Lebensſtellung er-
warten wir übrigens fürſtlichen Beſuch,“ ſagte Hans-
Henning und ſchob Sitta ein Kiſſen in den Rücken.
„Iſt dir jetzt beſſer, mein Herz?“

Sie nickte ihm dankbar zu.

Frau p. Hohenthal horchte auf. „Wen denn?“

„Der Erbprinz kommt zur Taufe am nächſten
Montag.“

„Der Erbprinz! — Mein Gott!“ Frau v. Hohen-
thal war beinahe ſprachlos. „Da muß ja noch ent-
ſetzlich viel beſchafft werden.“

„Was denn?“

„Was? Eigentlich müßte alles geändert werden,
die Einrichtung, die Logierzimmer, die Tapeten, die
Fußböden — das iſt ja alles ganz unmöglich hier.“

„Wir bauen ſchnell ein neues Haus,“ ſchlug Hans-
Henning vor.

„Nein — aber vielleicht könnte die Taufe in
Malchow ſein? Es iſt zwar auch ſehr einfach dort,
aber doch etwas ſtandesgemäßer.“

Heinrich v. Kröchert verbeugte ſich. „Danke ver-
bindlichſt für das Lob, gnädige Frau.“

„Mein Junge iſt in Hinrichshagen geboren und
wird in Hinrichshagen getauft,“ entgegnete Hans-
Henning ruhig. „Wenn's für uns gut genug hier
iſt, ſo kann's der Erbprinz wohl auch drei Tage
aushalten. Er kommt, um Sitta und mich wieder-
zuſehen, und nicht um unſere Einrichtung zu be-
wundern.“

„Das meine ich auch!“ pflichtete der alte Kröchert
energiſch bei.

Hilde ſah die abgezirkelte Röte der Erregung
auf Sittas Geſicht. „Ich komme und koche, Sitta,
Karola backt die Kuchen, du brauchſt dich alſo nicht
zu ängſtigen!“ tröſtete ſie.

„Aber all die notwendigen Delikateſſen, Hummer,
Paſteten und was ſonſt noch alles zum Diner da
ſein muß! fiel Frau v. Hohenthal ein „Zum
Glück iſt Berlin nicht weit! Borchard kann das
Diner fix und fertig liefern, hier werden die Speiſen
nur gewärmt. Ich will ſofort deswegen ſchreiben.“

„Danke ſehr, Mama, es geht aber auch ohne
Borchard. Hühner laufen genug im Hof herum,
und einen Rehbock ſchieß ich noch heute abend. Fiſche
bekommt man in der nächſten Mühle, Obſt und
Gemüſe haben wir ſelbſt im Garten. Fertig iſt
das Diner.“

„Sehr ſchön. Aber das Souper? Soll der Erb-
— dicker Milch, Schinken und Zervelatwurſt
eben?“

„Sicher Er ißt das ſogar mit Vorliebe.“

„Dann reiſe ich lieber vorher ab, wenn ihm das
wirklich vorgeſetzt werden ſoll!“

Da niemand Frau v. Hohenthal glühend bat,
dies doch ja nichk zu tun, ſſo kam ſie nicht weiter
auf die Abreiſe zurück; aber ſie marterte Sitta förm-
lich mit ihren Vorſchlägen, hinter Hans-Hennings
Rücken allerlei Beſtellungen zu machen. Natürlich
ohne Erfolg. Unzufrieden beſah ſie das Zimmer,
das der Erbprinz bewohnen ſollte. . Sitta ſtellte
friſche Blumen in jede Vaſe. Bücher lagen auf dem
Tiſch, alles ſah hell, freundlich und ſauber aus.

„Ich denke, es wird ihm ganz gut gefallen,“
antwortete Sitta ſanft. Sie ſchob ein ſchief hängen-
des Bild gerade.

„Zieh dich wenigſtens gut an, Sitta. Du ſiehſt
aus wie ein Geſpenſt. Du biſt wirklich kaum noch
hübſch zu nennen, denn deine Züge werden viel zu
ſcharf. — Nein, daß du dich ſo wenig konſervieren
würdeſt! Ich ſehe jetzt beinahe jünger aus wie du-
Aber freilich, du tuſt auch nichts für deine Schön-
heit, läufſt ohne Hut und Schleier herum, ziehſt in
der Küche keine Handſchuhe an. Was haſt dır über-
4 ewig herumzuwirtſchaften. Ich ſehe dich
kaum!“

„Ich muß, Mama. Ich habe doch nicht viele
eute.“ .

„Vielleicht bietet dir der Erbprinz noch einmal
deine Penſion an, wenn er die Bettelwirtſchaft hier
ſieht. — Jetzt wirſt du wohl nicht mehr ſo verdreht
ſein, ſie auszuſchlagen.“

„Das wäre ja geradezu bettelhaft, wenn ich das
nehmen wollte,“ entgegnete Sitta heftig. „Daß wir
arm ſind, ſchadet nichts. Der Erbprinz iſt viel zu

taktvoll, als daß er mich mit einem ſolchen An-
erbieten demütigen würde.“

Ich finde es viel demütigender, ihn in ſolch
einem miſerablen Haus empfangen zu müſſen!“

Sitta antwortele nicht Sie ſtrich die Falten der
Bettdecke glatt. Sie ließ der Mutter Zern den
Triumph, das letzte Wort zu haben. —

Das Kommen des Erbprinzen verzögerte ſich
etwas. Erſt am Tauftage ſelbſt, kurz vor der Feier,
traf er ein. Hans-Henning fuhr zur Bahn in ſeinem
gewöhnlichen Jagdwagen, um den hohen Gaſt ab-
zuholen. Fra v. Hohenthal plädierte vergebens
für die Glaskutſche aus Malchow, die, wenn auch
altertümlich wie Noahs Arche, doch ein reſpektvolleres
Beförderungsmittel ſei, als der hohe, durchaus nicht
elegante „Sandſchneider? Hans-Henning machte
ſich aber gar nichts daraus, daß der Lack ſeines
Wagens ein wenig zerkratzt, das blaue Tuch der
Kiſſen abgeſchabt war. Seelenvergnügt, in beſter
Laune fuhr er damit los.

Es würde alles vorzüglich klappen heute. Karola
braute die Bowle genau nach ſeinem Rezept, Hilde
überwachte die Braten und Kuchen in der Küche,
der Täufling ſchrie im voraus, alſo konnte man hoffen,
daß er bei der Taufe ſchweigen würde, und Sitta
beſtreute den ganzen Tiſch mit Roſen. Es war ja
Juni — der Roſenmonat! Im Garten in Hinrichs-
hagen blühten viele, und aus Malchow kamen ganze
Körbe voller Roſen. Wenn doch irgend etwas miß-
glücken ſollte, die Laune der Frau Schwiegermutter
zum Beiſpiel, je nun — Häns-Henning ließ die
Peitſche über den Rücken der Pferde hinſpielen —
„ſo trägt man halt, was nicht zu ändern iſt!“

Der Zug lief pünktlich in die Bahnhofshalle ein.
Der Erbprinz kam allein, ohne Adjutanten oder
Kammerherrn, nur ein Lakai begleitete ihn. Er
wollte augenſcheinlich möglichſt wenig Umſtände
machen.

Er drückte Hans-Henning herzlich die Hand.
„Mein lieber Kröchert, wie freue ich mich, Sie end-
lich wiederzuſehen!“

Hans-Henning verbeugte ſich dankend „Hoheit
ſind ſehr gnädig, zu uns zu kommen. Wir haben
leider wenig zu bieten. Vielleicht kann ich Euer
Hoheit morgen zum Schuß bringen — aber ver-
ſprechen kann ich's nicht. Ich habe keinen beſonde-
ren Wildſtand — viel Überläufer“ Dabei half er
dem Erbprinzen auf den hohen Wagen.

„Vor allen Dingen komme ich, um Sie und Ihre
Frau Gemahlin wiedexzuſehen, verſicherte der Erb-
prinz herzlich. „Und dann wiſſen Sie ja — Treib-
jagden hab' ich genug. Wenn ich morgen mal ganz
allein, mit dem Gewehr über der Schulter, im Wald
herumbummeln kann — das iſt ein ſeltener Genuß
für mich.“

„Verſteht ſich, Hoheit — ſolche Vergnügen gibt's
in Hinrichshagen. Abex Jonſt müſſen Euer Hoheit
ſehr vorlieb nehmen! Meine Schwiegermutter iſt
tief unglücklich in dem Gedanken, wie Euer Hoheit
ſich bei uns werden beſcheiden müſſen!“

„Laſſen wir das! — Es geht Ihrer Frau gut,
lieber Kröchert?“

„Danke untertänigſt — es könnte beſſer ſein.
Meine Frau iſt recht angegriffen.“

„Sie war immer zart,“ ſagte der Erbprinz nach-
denklich. „Das Korn ſteht übrigens vorzüglich.“
Er deutete auf ein ſeidengrünes Gerſtenfeld, an dem
ſie vorüberfuhren. *

„Ja, aber bis man das Geld nicht in der Taſche
hat, iſt keine Ernte ſicher.“

„Sie ſind ſehr praktiſch geworden, Kröchert!“

Muß ich ſein, Hoheit! Es macht mir Freude,
mich ſelbſt um alles zu kümmern Ich halte mir
keinen Inſpektor. Freilich, meiner Frau würd ich's
gern leichter machen. — Nun, vielleicht kommt auch
das mit der Zeit.“ ;

Der Erbprinz ſtellte nur noch gleichgültige Fragen.
Sie fuhren durch das Dorf, das einige beſcheidene
Anſtaltẽn gemacht hatte, um die Taufe, vor allem
die Ankunft des Erbprinzen zu feiern. Über den
Türen hingen grüne Blätterkränze; die Dorſkinder,
die mit offenem Mund dem Wagen nachſchauten,
ſahen in fonntäglichem Putz, rein gewaſchen, recht
unſchön aus Der Schmutz ſtand den fonnenbraunen
Geſichtern, die zerlumpten Höschen und Röckchen
den durch alle Pfützen watenden kleinen Geſtalten
weit beſſer.

Auf der Rampe des Gutshofes erwarteten der
alte Kröchert, Frau v. Hohenthal, Karola und Hilde
den Wagen. Frau v. Hohenthal ſah ſich nervös nach
Sitta um. Goͤtt ſei Dank — da kam fie noch im
letzten Moment aus dem Garten! In dieſem Augen-
blick war Frau v. Hohenthal wieder einmal ſehr ſtolz
auf ihre Tochter. ‘ 5 S ;

Sitta hielt einige auserwählt ſchöne Kofen in
der Hand. Mit ruhiger Grazie ging ſie, dem Erb-
prinzen entgegen und üherxreichte ihm die Blamen
mit tiefer Verbeugung. Wirklich ein hübſches Bild:
 
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