*
{Mit Genehmigung der Photographiſchen 2 — — — 1896 bv_pbotograpbi[dje Sefellf.
Ruth. Nach einem Semälde von Renry Ryland. (S. 571)
Sie überließ ihm ihre Finger. Unbeweglich lagen
ſie in ſeinen. „Und das können Sie mich frageil?“
— Ilr wie ein Hauch, wie ein Seufzer Mreiften
— ]em Dr 4 —
Er ließ ihre Hand fallen „Sie ſind alſo nicht
lücklich geworden?“ ſetzte er die Frage nach einer
kleinen Weile in eine andere Form um.
Sie wich ſeinem forſchenden Blick aus, „NYc
bin ſeit zwei Jahren verheiratet — in der ganzen
Zeit hörte ich nie ein unfreundliches Wort von
meinem Mann.“
Was iſt es dann?“ Der Erbprinz ſpraͤch ſehr
hHafıtg. „Sie ſind nicht gern auf dem Lande? Sie
fühlen ſich krank?“
„Das bedeutet nichts.“ Sie ſah zu den rauſchen-
den Wipfeln auf, um nicht ın ſein Geſicht ſehen zu
müſſen. Ein ſeltſam erkältendes Gefühl des Fremd-
ſeins beſchlich ſie bei ſeinen Worten, als ob reißende
Ströme, Berge, öde Ebenen alles, was treunt
und fremd macht, zwiſchen ihnen läge. Wenn ſie
auch noch hätten zueinänder kommen wollen, ſie
vermachten es nicht mehr Der Steg war abgebrochen.
„Sie ſehen aber ſehr leidend dus,“ behaͤrrte er.
„Ich möchte Ihnen einen Vorſchlag machen.“
„Welchen denn?“ Der Stamm, an dem ſie lehnte,
ſchien zu ſchwanken, feurige Funken tanzten um die
ſchwarzgrünen Zweige.
;Ich will Ihrem Mann eine Anſtellung bei
Hof anbieten. Sie wiſſen, ſeit der Krankheit des
Herzogs bin ich ſelbſtändig. Wir zahlen jetzt andere
Gehälter in Glückſtadt“ — er lächelte etwas —
„es hat ſich überhaupt dort alles geändert, Frau
Sitta. Unſer Theater, unſere Konzerte werden als
Muſter künſtlexiſcher Leiſtungen gerühmt, Berliner
Profeſſoren halten häufig Vorträge, kurz, Glückſtadt
wacht aus ſeinem Dornröschenſchlaf auf. Sie wür-
Geſelligkeit zurückgezogen leben — ganz wie Sie
möchten. Die Stelle des Oberſtallmeiſters iſt durch
den Tod des alten Boddien frei. Kröchert würde
ſich vorzüglich dazu eignen.“
„Mein Mann würde den gnädigen Vorſchlag
trotzdem nicht annehmen können,“ ſagte Sitta ſteif.
„Wir ſind durch Pachtkontrakte hier gebunden.“
„Die laſſen ſich löſen — das wäre die geringſte
Schwierigkeit.“
„Vielleicht. Aberich ich möchte auch nicht
fort. Mein Mann findet ebenfalls Freude an ſeiner
Tätigkeit hier.“
„Es wäre aber für Ihre Geſundheit wirklich
beſſer In Glückſtadt ſind gute Arzte Sie könnten
nach dem Süden gehen, wären leichter entbehrlich
im Haushalt.“
Sie ſchüttelte den Kopf. „Ich bleibe hier!“
Finden Gie 038 D ſchön hier? ©r 6) mG
verhaltenem Lächeln über den tiefen Sandboden,
auf die kahlen Kiefernſtämme. In der Ferne blinkte
der Waſſerſpiegel eines kleinen ſchilfumſtandenen
Teichs.
„Nein — troſtlos!“ antwortete ſie mit einem
leichten Schauer.
„In Glückſtadt iſt es grün und blühend . Über
* Bergen liegt noch der blane Duft, wie einſt,
2— Z ;
„Es iſt doch alles anders dort geworden! Hoheit
ſagten es ja ſelbſt.“ Das kam wieder faſt unhör-
bar über ihre blaſſen Lippen. Der Vorſchlag des
Erbprinzen, der jedenfalls nur ſeinem guten Herzen,
dem Mitleid entſprang, rüttelte ihren gebrochenen
Stolz auf. Sie faßte ſich gewaltſam. „Euer Hoheit
ſind überaus gütig, aber unfjer Fortgehen von hier
ſo voll befriedigt find — iſt ein graßes Glück.“
Er ließ ſeine Blike mit ernſter Sorge über ihre
Geſtalt gleiten. „Ich habe Ihnen viel zu danken
—- mehr, wie Sie ſelber ahnen Der große Schmerz
um Ihren Verluſt war mein Befreier. Er hat mich
gelehrt, daß mur in der Beſchränkung die waͤhre
Freiheit liegt. Das wollte, das mußte ich Ihnen
einmal ausſprechen“ * :
„Ich danke Euer Hoheit aufrichtig 8 wig
ich nach Hauſe gehen — mein Kind hat mich nötig“
Sie hielt ihm ihre durchſichlig weiße Hand hin.
Er beugte ſich darüber. *
Er fonnte es nicht ändern — ein paar heiße
Tränen traten ihm in die Angen, als er ihrnachſah-
Sie ging ſehr langſam, mit ſchleppenden Schritten,
Sie ſtirbt neben ihm dahin — und keiner merkt
es!“ fagte er traurig.!„Entweder ſind alle mit
Blindheit geſchlagen, vder fie wollen nicht die Augen
aufmachen“ —
Ohne Jagdbeute kehrte er kurz vor Tiſch nach Haufe.
Sitta aß nicht mit, Frau v. Hohenthal machte
wortreiche Entſchuldigungen deswegen Sitta habe
ein wenig Blut ausgehuftet. Wahrſcheinlich fet eın
Vorſichtshalber ſolle fie aber ſtillliegen.
{Mit Genehmigung der Photographiſchen 2 — — — 1896 bv_pbotograpbi[dje Sefellf.
Ruth. Nach einem Semälde von Renry Ryland. (S. 571)
Sie überließ ihm ihre Finger. Unbeweglich lagen
ſie in ſeinen. „Und das können Sie mich frageil?“
— Ilr wie ein Hauch, wie ein Seufzer Mreiften
— ]em Dr 4 —
Er ließ ihre Hand fallen „Sie ſind alſo nicht
lücklich geworden?“ ſetzte er die Frage nach einer
kleinen Weile in eine andere Form um.
Sie wich ſeinem forſchenden Blick aus, „NYc
bin ſeit zwei Jahren verheiratet — in der ganzen
Zeit hörte ich nie ein unfreundliches Wort von
meinem Mann.“
Was iſt es dann?“ Der Erbprinz ſpraͤch ſehr
hHafıtg. „Sie ſind nicht gern auf dem Lande? Sie
fühlen ſich krank?“
„Das bedeutet nichts.“ Sie ſah zu den rauſchen-
den Wipfeln auf, um nicht ın ſein Geſicht ſehen zu
müſſen. Ein ſeltſam erkältendes Gefühl des Fremd-
ſeins beſchlich ſie bei ſeinen Worten, als ob reißende
Ströme, Berge, öde Ebenen alles, was treunt
und fremd macht, zwiſchen ihnen läge. Wenn ſie
auch noch hätten zueinänder kommen wollen, ſie
vermachten es nicht mehr Der Steg war abgebrochen.
„Sie ſehen aber ſehr leidend dus,“ behaͤrrte er.
„Ich möchte Ihnen einen Vorſchlag machen.“
„Welchen denn?“ Der Stamm, an dem ſie lehnte,
ſchien zu ſchwanken, feurige Funken tanzten um die
ſchwarzgrünen Zweige.
;Ich will Ihrem Mann eine Anſtellung bei
Hof anbieten. Sie wiſſen, ſeit der Krankheit des
Herzogs bin ich ſelbſtändig. Wir zahlen jetzt andere
Gehälter in Glückſtadt“ — er lächelte etwas —
„es hat ſich überhaupt dort alles geändert, Frau
Sitta. Unſer Theater, unſere Konzerte werden als
Muſter künſtlexiſcher Leiſtungen gerühmt, Berliner
Profeſſoren halten häufig Vorträge, kurz, Glückſtadt
wacht aus ſeinem Dornröschenſchlaf auf. Sie wür-
Geſelligkeit zurückgezogen leben — ganz wie Sie
möchten. Die Stelle des Oberſtallmeiſters iſt durch
den Tod des alten Boddien frei. Kröchert würde
ſich vorzüglich dazu eignen.“
„Mein Mann würde den gnädigen Vorſchlag
trotzdem nicht annehmen können,“ ſagte Sitta ſteif.
„Wir ſind durch Pachtkontrakte hier gebunden.“
„Die laſſen ſich löſen — das wäre die geringſte
Schwierigkeit.“
„Vielleicht. Aberich ich möchte auch nicht
fort. Mein Mann findet ebenfalls Freude an ſeiner
Tätigkeit hier.“
„Es wäre aber für Ihre Geſundheit wirklich
beſſer In Glückſtadt ſind gute Arzte Sie könnten
nach dem Süden gehen, wären leichter entbehrlich
im Haushalt.“
Sie ſchüttelte den Kopf. „Ich bleibe hier!“
Finden Gie 038 D ſchön hier? ©r 6) mG
verhaltenem Lächeln über den tiefen Sandboden,
auf die kahlen Kiefernſtämme. In der Ferne blinkte
der Waſſerſpiegel eines kleinen ſchilfumſtandenen
Teichs.
„Nein — troſtlos!“ antwortete ſie mit einem
leichten Schauer.
„In Glückſtadt iſt es grün und blühend . Über
* Bergen liegt noch der blane Duft, wie einſt,
2— Z ;
„Es iſt doch alles anders dort geworden! Hoheit
ſagten es ja ſelbſt.“ Das kam wieder faſt unhör-
bar über ihre blaſſen Lippen. Der Vorſchlag des
Erbprinzen, der jedenfalls nur ſeinem guten Herzen,
dem Mitleid entſprang, rüttelte ihren gebrochenen
Stolz auf. Sie faßte ſich gewaltſam. „Euer Hoheit
ſind überaus gütig, aber unfjer Fortgehen von hier
ſo voll befriedigt find — iſt ein graßes Glück.“
Er ließ ſeine Blike mit ernſter Sorge über ihre
Geſtalt gleiten. „Ich habe Ihnen viel zu danken
—- mehr, wie Sie ſelber ahnen Der große Schmerz
um Ihren Verluſt war mein Befreier. Er hat mich
gelehrt, daß mur in der Beſchränkung die waͤhre
Freiheit liegt. Das wollte, das mußte ich Ihnen
einmal ausſprechen“ * :
„Ich danke Euer Hoheit aufrichtig 8 wig
ich nach Hauſe gehen — mein Kind hat mich nötig“
Sie hielt ihm ihre durchſichlig weiße Hand hin.
Er beugte ſich darüber. *
Er fonnte es nicht ändern — ein paar heiße
Tränen traten ihm in die Angen, als er ihrnachſah-
Sie ging ſehr langſam, mit ſchleppenden Schritten,
Sie ſtirbt neben ihm dahin — und keiner merkt
es!“ fagte er traurig.!„Entweder ſind alle mit
Blindheit geſchlagen, vder fie wollen nicht die Augen
aufmachen“ —
Ohne Jagdbeute kehrte er kurz vor Tiſch nach Haufe.
Sitta aß nicht mit, Frau v. Hohenthal machte
wortreiche Entſchuldigungen deswegen Sitta habe
ein wenig Blut ausgehuftet. Wahrſcheinlich fet eın
Vorſichtshalber ſolle fie aber ſtillliegen.