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Blümel, Carl; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts / Ergänzungs-Heft: Griechische Bildhauerarbeit — Berlin, Leipzig, Band 11.1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.42528#0027
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Der laufende Bohrer

15

Wir kennen in der neueren Zeit den ganz individualistisch eingestellten Künstler
auf der einen Seite und auf der anderen nur mehr oder weniger industrialisierte
Massenarbeit, die mit Kunst nichts zu tun hat. Daß es aber auch einen künstlerischen
Werkstattbetrieb *) mit sehr vielen Händen aber nur einem Kopf geben kann 2) und
in den großen Blütezeiten plastischer Kunst immer gegeben hat, wird darüber leicht
vergessen. Das ist aus unserer Zeit heraus verständlich, wird aber zu einer ständigen
Fehlerquelle für viele Untersuchungen, die sich mit den großen dekorativen Skulp-
turen der Antike beschäftigen.

IV.

Für die nächsten Jahrhunderte bietet sich das Material an unfertigen Arbeiten
für die Untersuchung nicht mehr in der gleichen Menge, und doch ergeben sich gewisse
Anhaltspunkte, aus denen hervorgeht, daß wesentliche Änderungen für rundplastische
Arbeiten von hohem Werte bis tief in die hellenistische Zeit hinein
nicht eintreten. Allerdings hat sich unter Einwirkung des laufenden
Bohrers Taf. 1 i das äußere Bild verändert. Bei diesem Werkzeug ist
der eigentliche Bohrer in eine Holzrolle eingelassen, an der außen ein
starkes Gewinde angebracht ist. Bohrer mit Rolle sind drehbar ein-
gelassen in einen kräftigen Handgriff. Um das Gewinde wird eine
Schnur gelegt, die in einen Metallbogen eingespannt ist, den der
Bildhauer mit der rechten Hand am Griff faßt; durch eine geigende
Bewegung wird die Rolle mit Bohrer in Drehung versetzt, geführt
wird der Bohrer mit der linken Hand an dem Griff über der drehbaren
Rolle. Eine antike Darstellung dieses Bohrers findet sich im Telephosfries 3) auf den
Platten, wo dargestellt ist, wie vier Arbeiter die Arche für Auge bauen. Der Arbeiter
links oben bohrt mit dem laufenden Bohrer Löcher in den oberen Rand des Fahrzeugs.
Auch auf einer Gemme des Britischen Museums Nr. 645 4) hantiert ein Arbeiter mit
diesem Werkzeug Abb. 2, wenn auch kein Bildhauer dargestellt ist, sondern wahr-
scheinlich ein Gemmenschneider, so zeigt diese Gemme doch die Handhabung dieses
Bohrers recht deutlich 5). Mit diesem Bohrer besaß man ein Werkzeug, das in jeder
Faltentiefe, in jeder Unterhöhlung arbeiten konnte. Alle die komplizierten und auf-
geregten Faltendraperien schon des Parthenonfrieses, aber noch mehr der Giebel und
vor allem der Nikebalustrade wären ohne ihn nicht denkbar. In der Folgezeit wird er
dem Bildhauer immer unentbehrlicher, immer weiter dehnt sich seine Anwendung aus,
er bleibt nicht mehr auf die Gewandung beschränkt, man beginnt mit ihm auch die


Abb. 2. Gemme,
London.

’) Vergleiche Curtius a. 0. 22. Hingewiesen
sei auch auf: Hans Huth, Künstler und Werk-
statt der Spätgotik, Augsburg 1923.
2) Wenn Buschor (MJb. 1925, 25) davon spricht,
daß Phidias »im Panathenäenfries mit eigener
Hand gestaltete, was er zum Leben zu sagen
hatte«, so will er damit wohl nur besonders
unterstreichen, daß diese großen Skulpturen-
werke trotz vieler Hände doch in erster Linie

immer das Werk eines großen Künstlers bleiben.
3) Pergamon III 2 Taf. 31, 3 Text 163. Kekule
von Stradonitz, Griech. Skulptur3 313 Abb.
S. 312.
4) H. B. Wolters, Cat. of the engraved gems in the
Brit. Mus. 79 Nr. 645 Taf. 11; J. H. Middleton,
The engraved gems of classical times 105 Abb. 21.
5) Vgl. auch Zahn, Furtw.-Reichh. Taf. 162, 3 Text
270 Anm. 3.
 
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