Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Boll, Franz
Sphaera: neue griechische Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Sternbilder — Leipzig, 1903

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19748#0528

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
XV. Mittelalterliche Astronomie und neuere Forschung

449

seine Entstehung einem blofsen Mifsverständnis; andernfalls wäre
vielleicht ein arabisches oder spätgriechisches Gegenbild zu dem im
Matritensis bewimpelten Thyrsos des Kentauren darin zu suchen, zu-
mal Schütze und Kentaur wohl von jeher in einem gewissen Paralle-
lismus gestanden haben (vgl. oben S. 146).

7. Die Astrologie wurde von Humanismus und Reformation
keineswegs zurückgedrängt, sondern durch den Buchdruck in der um-
fassendsten Weise weiterverbreitet und in katholischen wie in protestan-
tischen Ländern von Astronomen und Laien gepflegt; sie blieb trotz
gelegentlichen Widerspruchs bis zum Ausgang -des XVII. Jahrhunderts
eine der grofsen Lebensmächte.1) Es versteht sich also von selbst,
dafs auch die freilich immer dunkler gewordene Kunde, die das Mittel-
alter von der Sphaera barbarica besafs, der neuen Zeit überliefert
wurde. Der berühmte Astronom und Mathematiker Johann Stoeffler
(1452—1531) weist in seinem grundgelehrten Kommentar zur Sphaera
des Proklos (gedruckt 1534 in Tübingen) gelegentlich auf Abu Macsar
und Ibn Esra hin und geht mit den Worten des Abu Macsar über die
Jungfrau Maria als virgo caelestis den ungläubigen Juden scharf zu
Leibe. Agrippa von Nettesheim (1487—1535) kennt noch den
Namen des Teucer Babylonicus aus Porphyrios, die arabischen Dekan-
gestalten, dann aus Petrus von Abano die 360 personifizierten Grade
und bespricht auch ein Dutzend Bilder der Sphaera graecanica.2) Und
so mag noch in manchem andern Werk des XVI. Jahrhunderts von der
Sphaera barbarica die Rede sein. Aber das ist alles ohne greifbaren
Einflufs auf die spätere Wissenschaft geblieben; nur ein Buch hat
alle diese Traditionen bis ins XIX. Jahrhundert getragen, Scaligers
Manilius. Scaliger stand der Astrologie, in späteren Jahren wenigstens3),
mit vollkommener Freiheit gegenüber; allein dafs er sich gerade den
Manilius als Gegenstand eines seiner bedeutendsten Kommentare ausge-
sucht hat, ist im Grunde eben doch bewufster oder unbewufster Einflufs
der Weltanschauung, die ihn rings umgab. Daraus wird es auch ver-
ständlich, wie er dazu kam, aus seinem Manilius nach Jakob Bernays'
Ausdruck einen Leitfaden der griechischen Astronomie und Astrologie

1) Ein klares Bild davon giebt das interessante, wenn auch nicht überall
ehrwandireie Buch von Troels-Lund f Himmelsbild und Weltanschauung im Wandel
der Zeiten', übersetzt von L. Bloch, Leipzig 1899; vgl. auch Jakob Burckhardts
Cultur der Renaissance, Abschn. VI, cap. 4 (II 234ff. der 7. Aufl.).

2) Da occulta philosoj)hia II cap. 37.

3) Sein eigenes Horoskop, das er dem Manilius von 1579, ohne seinen
Namen, beigegeben hatte, liefs er in der Neubearbeitung von 1600 weg. Vgl.
J. Bernays, J. J. Scaliger, p. 107 f.

Boll, Sphaera barbarica. 29
 
Annotationen