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Boll, Franz
Sphaera: neue griechische Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Sternbilder — Leipzig, 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.19748#0534

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XV. Mittelalterliche Astronomie und neuere Forschung

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der Revolution zürn Opfer gefallene Astronom Bailly, nahm im
IX. Buch seiner Histoire de l'astronomie ancienne depuis son origine
jusqu' ä l'etablissement de l'ecole d'Alexandrie (Paris 1775) diese Ge-
danken Newtons in vollem Umfang auf — rien n'est plus evident ni
mieux demontre que cette assertion, erklärt er (p. 509) — und ver-
legte nur die Epoche des Chiron mit Freret auf das Jahr 1353 zu-
rück. Der griechische Sternhimmel war so mit Hilfe des Eudoxos
glücklich datiert. Ein kostbares Material aber, um in noch weiter
entlegene Zeiten hinaufzusteigen, schienen dem gelehrten Astronomen
die Sphären des Ibn Esra zu bieten, die er bei Scaliger fand. Für
die allerälteste galt ihm die indische Sphäre, d. h. das indische
Dekan Verzeichnis des Ibn Esra, parce que ce peuple n'a jamais rien
pris des autres peuples1), qu'il est lui-meme tres-ancien, et que par
consequent ses connoissances doivent avoir ete prises ä la source pre-
miere. Der indischen kommt an Alter zunächst die persische Sphäre
des Ibn Esra, d. h. mit andern Worten die durch fünf Sprachen ge-
gangene abgeblafste Kopie unseres Teukrostextes TR. Sie ist für Bailly
am 3000 oder 3200 v. Chr. von den Persern geschaffen, zu einer Zeit,
wo die vier Jahrpunkte im Aldebaran, Antares, Regulus und Fomal-
haut lagen: von den Persern ging sie zu den Chaldäern über, um
2400 v. Chr. Es ist Bailly nicht entgangen, dafs eine grofse Zahl
der bei Ibn Esra in der cpersischen' Sphäre verzeichneten Bilder mit
griechischen identisch war; auch sah er, dafs bei Ibn Esra die per-
sischen Bilder keine Eigennamen tragen. Wie das kam, wurde oben
S. 420 gezeigt; Bailly aber zog mit etwas zu behender Logik daraus
den Schlufs, dafs die Griechen, d. h. zunächst Chiron, um 1353 v. Chr.
von den Chaldäern namenlose Gestalten überkommen und sie dann
mit Namen, denen ihrer mythischen und geschichtlichen Heroen, aus-
gestattet haben. Kirchers Zeichnungen bespricht Bailly in den
Paragraphen 30, 31, 35: er sah in ihnen eine uralte ägyptische Sphäre,
die den Einflufs der indischen Kultur auf die ägyptische beweise.
Auch die 360 Paranatellonta, die Scaliger aus Petrus von Abano ent-
nahm, liefs Bailly ebenso arglos als eine einheitliche Sphäre von
hohem Alter gelten: nicht ägyptischer Herkunft, wie Scaliger geglaubt
hatte, sondern vielmehr assyrischer.

An ausgedehntem Einflufs, wie in dem Mangel einer kritischen
Grundlage wurde Bailly noch weit übertroffen von seinem berühmten Zeit-

1) Er meinte unter diesen c Indern' ein uraltes Volk in Hochasien „qui, selon
lui, nous avait tont appris, excepte, comme disait d'Alembert, son nom et son
existence" (Letronne, Melanges p. 5).
 
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