IÖ2
Zweiter Abschnitt. Die liturgische Gewandung.
Der Ursprung der Stola ist nicht völlig klar. Eine früher all-
gemeine, aber auch noch in jüngerer Zeit wiederholte Auffassung will,
sie sei der Überrest eines Stola genannten Gewandes, und zwar ent-
weder der auf der Vorder- und Rückseite desselben angebrachte Vertikal-
besatz, oder der Saumbesatz (ora, orarium) oder endlich die Einfassung
eines an der Vorderseite angebrachten, von unten bis oben reichenden
Schlitzes, wie er sich z. B. am Pluviale findet. Diese Theorie ist jedoch
in allen ihren Fassungen durchaus unzutreffend. Es ist sogar schwer
verständlich, wie man je zu solchen
ebenso phantastischen wie völlige Un-
kenntnis der alten Monumente ver-
ratenden Erklärungsversuchen hat kom-
men können. Eine zweite Hypothese
läßt, ausgehend von dem Namen Ora-
rium , das Parament von dem jüdi-
schen Gebetsmantel (Tallith) abstam-
men. Ursprünglich soll dieser aus dem
Judentum herübergenommene Gebets-
mantel den Klerikern wie Laien ge-
meinsam gewesen, später aber nur noch
bei jenen in Gebrauch geblieben sein.
Auch diese Meinung ist ganz unhalt-
bar. Der angebliche Gebetsmantel
bei den Christen ist ein Phantom; es
liegt auch nicht der geringste Anhalt
vor, daß ein solcher je existiert habe.
Was man für ihn an monumentalen
Beweisen angeführt hat, ist nicht ein-
mal ein Schatten von Beweis. Ein
dritter Erklärungsversuch führt die
Stola teils auf ein Halstuch teils auf
eine liturgische Serviette bzw. ein li-
turgisches Handtuch zurück. Aus einem
Halstuch, das den Zweck hatte, im
Winter gegen die Kälte zu schützen,
im Sommer die Kleider vor dem Eindringen des Schweißes zu bewahren,
soll die römische sowie die priesterliche und bischöfliche Stola im
Osten, in Spanien und Gallien entstanden sein, ans einem liturgischen
Manutergium das diakonale Orarium des Ostens, des altspanischen und
des gallikanischen Ritus. Diese letzte Erklärungsweise, auf deren nähere
Begründung wir hier des Raumes wegen verzichten müssen, löst
scheinbar die Frage nach dem Ursprung der Stola in ebenso ein-
facher wie einleuchtender Weise; prüft man aber die für sie vor-
gebrachten Gründe, so lassen sich auch gegen sie mancherlei Bedenken
Bild 89.
Damig, Marii
Zweiter Abschnitt. Die liturgische Gewandung.
Der Ursprung der Stola ist nicht völlig klar. Eine früher all-
gemeine, aber auch noch in jüngerer Zeit wiederholte Auffassung will,
sie sei der Überrest eines Stola genannten Gewandes, und zwar ent-
weder der auf der Vorder- und Rückseite desselben angebrachte Vertikal-
besatz, oder der Saumbesatz (ora, orarium) oder endlich die Einfassung
eines an der Vorderseite angebrachten, von unten bis oben reichenden
Schlitzes, wie er sich z. B. am Pluviale findet. Diese Theorie ist jedoch
in allen ihren Fassungen durchaus unzutreffend. Es ist sogar schwer
verständlich, wie man je zu solchen
ebenso phantastischen wie völlige Un-
kenntnis der alten Monumente ver-
ratenden Erklärungsversuchen hat kom-
men können. Eine zweite Hypothese
läßt, ausgehend von dem Namen Ora-
rium , das Parament von dem jüdi-
schen Gebetsmantel (Tallith) abstam-
men. Ursprünglich soll dieser aus dem
Judentum herübergenommene Gebets-
mantel den Klerikern wie Laien ge-
meinsam gewesen, später aber nur noch
bei jenen in Gebrauch geblieben sein.
Auch diese Meinung ist ganz unhalt-
bar. Der angebliche Gebetsmantel
bei den Christen ist ein Phantom; es
liegt auch nicht der geringste Anhalt
vor, daß ein solcher je existiert habe.
Was man für ihn an monumentalen
Beweisen angeführt hat, ist nicht ein-
mal ein Schatten von Beweis. Ein
dritter Erklärungsversuch führt die
Stola teils auf ein Halstuch teils auf
eine liturgische Serviette bzw. ein li-
turgisches Handtuch zurück. Aus einem
Halstuch, das den Zweck hatte, im
Winter gegen die Kälte zu schützen,
im Sommer die Kleider vor dem Eindringen des Schweißes zu bewahren,
soll die römische sowie die priesterliche und bischöfliche Stola im
Osten, in Spanien und Gallien entstanden sein, ans einem liturgischen
Manutergium das diakonale Orarium des Ostens, des altspanischen und
des gallikanischen Ritus. Diese letzte Erklärungsweise, auf deren nähere
Begründung wir hier des Raumes wegen verzichten müssen, löst
scheinbar die Frage nach dem Ursprung der Stola in ebenso ein-
facher wie einleuchtender Weise; prüft man aber die für sie vor-
gebrachten Gründe, so lassen sich auch gegen sie mancherlei Bedenken
Bild 89.
Damig, Marii