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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 1): Arten, Bestandteile, Altargrab, Weihe, Symbolik — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2141#0679
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Sechstes Kapitel. Ursprung des Altargrabes 661

W o wir die Heimat und den Ursprung des Altargrabes zu suchen haben,
ist nicht sicher. Da indessen dasselbe uns am frühesten im Westen begegnet und hier
schon um die Wende des 4. Jahrhunderts eine weite Verbreitung gefunden hatte,
während im Osten nicht zwar die Erhebung und Beisetzung von Reliquien überhaupt,
wohl aber deren Rekondierung in einem Altargrab anscheinend erst in einer viel
späteren Zeit üblich oder doch wenigstens häufiger wurde, so ist es kaum anzu-
nehmen, daß es eine Schöpfung des Ostens ist, und daß der Westen es vom Osten
herübernahm. Es wird vielmehr entweder dort wie hier zu gleicher Zeit und aus
den gleichen Bedingungen heraus entstanden sein oder, und das scheint fast das
wahrscheinlichere, im Abendland seinen Ursprung haben. Jedenfalls hat der Westen
die aus dem altchristlichen Reliquienkult geborene Idee des Altargrabes weit
energischer aufgegriffen und weit erfolgreicher, nachhaltiger und allgemeiner zur
Verwirklichung gebracht, als das je im Osten geschehen ist.

Noch einige Worte über den schon in Pontifikalien des 9. Jahrhunderts
und durch die Synode von Gelichyt bezeugten, vereinzelt bis zum 15. Jahr-
hundert fortlebenden Brauch, bei der Altarweihe außer den Reliquien auch
drei Partikel des hhl. Sakramentes im Altargrab beizusetzen. Was hat seine
Entstehung und seine Aufnahme in den Ritus der Altarweihe veranlaßt?

Wollte man etwa der altehrwürdigen, bis weit in die altchristliche Zeit zurück-
reichenden Symbolik des Altares, nach der dieser als Sinnbild Christi galt, durch das
Einschließen der drei hl. Hostien eine mehr reale Unterlage geben? Wollte man
vielleicht hierdurch die Kirche dauernd, nicht bloß vorübergehend wie bei der Feier
der Messe, zu einer Wohnstätte des Herrn, zu einem Hause Gottes im vollen Sinne
des Wortes machen? Führte man den Brauch ein in der Erwägung, daß dorthin, wo
die Reliquien der hl. Märtyrer geborgen wurden, auch Christus, der König der Mär-
tyrer gehöre, in dessen Nachfolge und für den die hl. Märtyrer ihr Blut vergossen
und ihr Leben hingegeben hatten? Wollte man etwa durch die Beisetzung dreier
hl. Hostien das Altargrab zu einem Abbild des Himmels machen, in dem die hl. Mär-
tyrer den Thron des Dreieinigen als dessen himmlischer Hofstaat umgeben? Oder
fügte man die hl. Hostien den Reliquien bei, um den Altar, auf dem sich die euchari-
stische Feier vollziehen sollte, noch in einer diesem seinem Zwecke entsprechenden
besonderen Weise zu heiligen? War vielleicht gar zu Rom, wo der Brauch allem
Anschein nach seine Heimat hat und wo man eine Salbung des Altares bei dessen
Weihe lange nicht kannte und übte, das Einschließen der hl. Hostien in den Altar
gerade die Zeremonie, durch die man diesen vor allem für seine erhabene Bestim-
mung herzurichten und zu weihen beabsichtigte? Wir wissen es nicht.

Nirgends erhalten wir auch nur die geringste Andeutung darüber, was den
Brauch veranlaßte, welcher Sinn ihm zugrunde lag. Wir hören nur, daß er
bestand, nicht aber, was man mit ihm wollte, welche Bedeutung man mit ihm ver-
band. Selbst Sicardus von Cremona und Durandus, die seiner gedenken und doch
sonst für alles und jedes eine mystische Deutung zur Hand haben, begnügen sich
damit, das tatsächliche Bestehen des Brauches zu bezeugen. Daß man bei dessen
Einführung von bestimmten Erwägungen und Absichten geleitet war, liegt auf der
Hand und braucht kaum besonders bemerkt zu werden. Worin sie bestanden und
welcher Art sie waren, darüber lassen sich jedoch, wie die Dinge liegen, nur Ver-
mutungen aussprechen. Wir können den Gedankengängen nachspüren, die den
Brauch veranlaßt haben mögen, können sie mit mehr oder weniger Wahrscheinlich-
keit feststellen; welche von ihnen in Wirklichkeit für seine Entstehung bestimmend
waren, muß aber auf sich beruhen bleiben.
 
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