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Die Kunst der Vergangenheit im theoretischen
Konzept des Expressionismus der Jahre vor dem
Ersten Weltkrieg
Der Streit um die neue Kunst
Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, vermerkten schon die
zeitgenössischen Kritiker, daß Worringers methodische Überle-
gungen das theoretische „Rüstzeug“ für den Expressionismus
lieferten.1 Der Versuch des Kunsthistorikers, naturferne Kunst-
äußerungen mit Hilfe eines veränderten Bewertungssystems zu
erfassen, bot die Möglichkeit, auch die neue Kunst zu deuten und
zu werten.
Solche Erklärungshilfen hatte die expressionistische Moderne
dringend nötig. Geoffrey Perkins hat auf die prekäre Situation
hingewiesen, in der sich die jungen Künstler, die „Wilden
Deutschlands“, wie sie sich selbst nach dem Vorbild der Fauves
zunächst nannten,2 in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg
befanden.3 Mit ihren Werken, die weder einem klassischen Ideal,
noch der Naturnähe verpflichtet sind, in denen auf technische
Brillanz und Virtuosität wenig Wert gelegt und der Bildgegen-
stand oftmals bis zur Unkenntlichkeit deformiert wird, stießen
sie auf heftigen Widerstand. Brachen sie doch in den Augen ihrer
Zeitgenossen mit einer (scheinbar kontinuierlich verlaufenden)
Entwicklung, die zum einen auf eine möglichst präzise Erfassung
des Naturvorbildes und zum anderen auf eine Perfektionierung
der künstlerischen Mittel abzielte. So zerstritten die einzelnen
Parteien im Kunstbetrieb des Kaiserreiches waren: in der Ableh-
nung der neuen Kunst herrschte seltene Einmütigkeit.
Für die Verfechter der offiziellen Kunstpolitik handelte es sich
dabei nur um eine besonders absurde Spielart der insgesamt
verhaßten Moderne. Das zeigen beispielsweise die Antworten auf
eine Umfrage, die die Zeitschrift Die Kunstwelt 1913 unter den
„hervorragendsten Repräsentanten unseres heutigen Kunstlebens“
zur Bedeutung von Expressionismus und Kubismus veranstaltete.4
1) vgl. oben, S.
2) zu den Bezeichnungen'„Wilde“ und „Expressionisten“ vgl. Werenskiold 1984, S.
35-48
3) Perkins 1971, S. X-XV1 und Perkins 1974, S. 23-25
4) Umfrage Die Zukunft der deutschen Kunst, in: Die Kunstwelt 3,1913, S. 19-33 und
 
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