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Die Kunstgeschichte als Eideshelferin
des Expressionismus
Kunstgeschichte und moderne Kunst
„Die Kunstgeschichte hat heute eine seltsam neue Bedeutung. War
schon lange vor der Erhebung des ,Sturm und Drang die Kunstge-
schichte ein Schatzb eh alter ehrwürdiger Zeugen und Märtyrer, die
man anrief im Kampfe der Parteien [...], so wurde sie nun für
Zuchtwahl und Wahlverwandtschaft die wahre Zuflucht. Nicht nur
die Kunstwerke bezeugen uns dies, die Aussprüche, Briefe, Flugschrif-
ten und Bücher der Künstler erweisen es ebenso. Kämpfte man früher
als Künstler mit Gedichten und Karikaturen, Anekdoten und Pam-
phleten, so greift man heute zur Wissenschaft, zur liebsten Waffe des
Europäers, und die Kunstwissenschaft ist ja leider handlich genug.
Die Geschichte dieser beschworenen Kunstgeister, dieser Schlag- und
Stichworte, wird auch eine Kunstgeschichte der neuen Epoche sein.
Mit dieser Prognose Kurt Karl Eberleins aus dem Jahr 1921
kehren wir an den Ausgangspunkt unserer Überlegungen, zur
Kunstgeschichte, zurück. Für das Fach mußte die Ahnensuche
der expressionistischen Künstler und ihrer Apologeten eine Her-
ausforderung darstellen. Schon einmal, zu Blütezeiten des Histo-
rismus im 19. Jahrhundert, hatten seine Vertreter aktiv ins Kunst-
geschehen der Zeit eingegriffen, indem sie den Künstlern die
Stilformen früherer Epochen verfügbar gemacht hatten. Die äl-
tere Kunst war damals das Vorbild gewesen, an dem sich die
zeitgenössische Produktion zu orientieren hatte.2 Jetzt bot sich,
wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen, erneut die
Chance, historische Forschung mit Blick auf das aktuelle Gesche-
hen zu betreiben. Denn obwohl es die Expressionisten ablehnten,
aus der Kunstgeschichte hergeleitete ästhetische Normen zu ak-
zeptieren, waren doch die Werke außereuropäischer Kulturen und
des Mittelalters zum ideellen Fixpunkt ihres Schaffens geworden,
beeinflußten kunst- und kulturhistorische Schriften zur Gotik die
theoretische Begründung und die Zielvorstellungen der neuen
1) Eberlein 1921, S. 173
2) vgl. dazu Gerd Wolandt, Historismus und Objektivismus in der Ästhetik des 19.
und 20. Jahrhunderts, in: Historismus, Tagung der Fritz-Thyssen-Stiftung, Mün-
chen 1977 (maschinenschriftliches Manuskript); Ernst Badstübner, Kunstgeschichts-
bild und Bauen in historischen Stilen - Ein Versuch über die Wechselbeziehungen
zwischen kunstgeschichtlichem Verständnis, Denkmalpflege und historistischer
Baupraxis im 19. Jahrhundert, in: Klingenburg 1985, S. 30-49
 
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