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Was ist deutsch an deutscher Kunst?
Ein Anliegen dieser Arbeit war es zu zeigen, wo die Wurzeln des
expressionistischen Rückbezugs auf die Gotik liegen und welche
Bedeutung dieses Phänomen für die Kunstproduktion des Expres-
sionismus hatte. Daß die neue Kunstrichtung als legitime Nach-
folgerin der Gotik eingeführt werden konnte, verdankte sie nicht
allein der „abstrakten“ Gotikdeutung Wilhelm Worringers, son-
dern auch dem Bedürfnis der Zeitgenossen nach kultureller Iden-
tität: nach einer Kunst, die sich, anders als der Impressionismus,
von dem übergroßen Vorbild Frankreichs emanzipiert haben, die
dem Chauvinismus bei Kriegsbeginn kongenial sein und die
schließlich über den verlorenen Krieg und die politische Ächtung
hinwegtrösten sollte. Die Vorstellung, es könne so etwas wie das
„Deutsche“ in der Kunst seit der Germanenzeit geben, das, los-
gelöst von geschichtlichen Ereignissen und unabhängig von den
Faktoren der Tradition und Rezeption in einem Volk für alle
Zeiten verbindlich ist, hatte sich über zwei Jahrhunderte hinweg
hartnäckig gehalten. Das ist um so erstaunlicher, als es sich bei der
Konstruktion eines überzeitlichen Nationalcharakters in der
Kunst in jedem Fall um eine willkürliche Setzung handelt, die die
gesamte Entwicklung unter einem einzigen Blickpunkt
subsumiert.1 Was nicht in das Schema des „Deutschen“ passen
will, muß entweder stillschweigend übergangen oder als „art-
fremd“ eliminiert werden. Schon 1923 riet deshalb Paul Frankl,
die Frage nach Deutschtum und Rasse den Politikern zu überlas-
sen, und fügte hinzu, es werde „nicht lange dauern, daß einer
kommt, der wieder das klassische Ideal als das eigentlich deutsche
hinstellt.“2
Nur zehn Jahre später behandelten die nationalsozialistischen
Machthaber die Fragen nach Rasse und Deutschtum in der Kunst
tatsächlich als Politikum, das für die modernen Künstler und ihre
Förderer existenzbedrohend werden sollte. Denn jetzt ging es
nicht mehr um Glaubensbekenntnisse für die eine oder andere
Stilrichtung, „sondern insgeheim auch um die Idee des neuen
Deutschland und des neuen Reiches der nationalsozialistischen
Revolution.“3 Zunächst jedoch schienen alle kulturpolitischen
1) vgl. dazu Lars Olof Larsson, Nationalstil und Nationalismus in der Kunstgeschichte
der zwanziger und dreißiger Jahre, in: Dittmann 1985, S. 169-184
2) Frankl 1923, S. 27
3) Kurt Karl Eberlein, Was ist deutsch an deutscher Kunst?, Leipzig 1934, S. 3
 
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