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Almanach 1920
Niederschrift der Seite, des Abschnitts oder des ganzen
Werkes, und Sie werden der beschämenden Nachsicht
nicht mehr bedürfen, die sich sonst in das Lob der
öffentlichen Kritik zweifellos mischen würde. Beherr-
schung des Materials ist die erste Bedingung, und sie
dürfen wir auch endlich heut in Deutschland von jeder-
mann fordern. Da ich weiß, wie Sie arbeiten — ich
beneide Sie vom Standpunkt dessen darum, dem der
Ausdruck seiner Gedanken und Empfindungen in Prosa
die größte Mühe bereitet — füge ich noch dies hinzu:
Im Augenblick der Produktion darf einem alles gefallen,
alles als die schönste und beste Lösung erscheinen. Im
Augenblick des Hinschreibens mag man in jeden Satz
verliebt sein, hinterher aber muß diese „Affenliebe“
des Verfassers der anspruchsvollen und verwöhnten
Strenge des Lesers weichen. Nicht nur aber sein erster
und sein bester sondern auch sein unnachsichtigster
Leser zu sein, halte ich für ein Grundprinzip jedes
Schriftstellers. Ich habe Ihnen noch mehr zu sagen
(und zu raten); aber es läßt sich das alles besser an
Ihren Text selbst anknüpfen. Stoßen Sie sich nicht
daran, wenn manches pedantisch und magistral klingen
sollte: die Hauptsache ist, daß es, wenn auch nur in
Kleinigkeiten,Ihre Aufmerksamkeit auf stilistische Dinge
erhöht.
Almanach 1920
Niederschrift der Seite, des Abschnitts oder des ganzen
Werkes, und Sie werden der beschämenden Nachsicht
nicht mehr bedürfen, die sich sonst in das Lob der
öffentlichen Kritik zweifellos mischen würde. Beherr-
schung des Materials ist die erste Bedingung, und sie
dürfen wir auch endlich heut in Deutschland von jeder-
mann fordern. Da ich weiß, wie Sie arbeiten — ich
beneide Sie vom Standpunkt dessen darum, dem der
Ausdruck seiner Gedanken und Empfindungen in Prosa
die größte Mühe bereitet — füge ich noch dies hinzu:
Im Augenblick der Produktion darf einem alles gefallen,
alles als die schönste und beste Lösung erscheinen. Im
Augenblick des Hinschreibens mag man in jeden Satz
verliebt sein, hinterher aber muß diese „Affenliebe“
des Verfassers der anspruchsvollen und verwöhnten
Strenge des Lesers weichen. Nicht nur aber sein erster
und sein bester sondern auch sein unnachsichtigster
Leser zu sein, halte ich für ein Grundprinzip jedes
Schriftstellers. Ich habe Ihnen noch mehr zu sagen
(und zu raten); aber es läßt sich das alles besser an
Ihren Text selbst anknüpfen. Stoßen Sie sich nicht
daran, wenn manches pedantisch und magistral klingen
sollte: die Hauptsache ist, daß es, wenn auch nur in
Kleinigkeiten,Ihre Aufmerksamkeit auf stilistische Dinge
erhöht.