Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 8.1869

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7147#0004
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 82 —

geboten, durch welche die Literatur der Kunſtgeſchichte in neue-
ſter Zeit bereichert worden iſt; ich meine die Schrift des Herrn
J. Rudolph Rahn: ,,Ueber den Urſprung und die Ent-
wicklung des chriſtlichen Central- und Kuppelbaus'' (Leipzig
1866), welche ihren Gegenſtand in einer ebenſo gründlichen wie
lichtvollen Weiſe behandelt. Für meinen ſpeciellen Zweck werde
ich in aller Kürze die kunſtgeſchichtlichen Momente hervorheben,
welche Herr Rahn entwickelt und abgegrenzt hat, und wodurch
die Stelle genau bezeichnet wird, welche dem in Frage ſtehen-
den Kirchenbau zu Mailand in der Geſchichte der Architektur
anzuweiſen iſt. Die durch den Herrn Baudirector Hübſch ge-
wonnenen Reſultate erhalten dadurch ihre volle Beſtätigung.
Die älteſten chriſtlichen Kuppelbauten ſchließen ſich, was die
Technik betrifft, an die verwandten Leiſtungen, welche die Kunſt-
thätigkeit des claſſiſchen Alterthums überliefert hatte, ebenſo
und in demſelben Maße an, wie die Form der chriſtlichen
Baſiliken an die gleichnamigen Bauten des Alterthums. Das
gegebene Muſter wurde mit derſelben Freiheit und Selbſtſtän-
digkeit einer höhern Entwicklung zugeführt. Für den praktiſchen
Gebrauch des chriſtlichen Cultus war die längliche Form der
Baſilike weit bequemer und angemeſſener, als die der Polygon-
und Centralbauten; ſie wurde beſonders im Abendlande die
vorherrſchende. Für die Grabmonumente und die Baptiſterien
wurde jedoch, aus gewichtigen Gründen, das Schema der runden
und polygonen Anlagen beibehalten. Jn dem Zeitalter Con-
ſtantin d. Gr. wurde der Verſuch gemacht, die genannten Haupt-
formen der kirchlichen Architectur auszugleichen und mit ein-
ander zu verbinden. Wann und wo die Verwirklichung dieſes
Gedankens zum erſten Male zu Stande gekommen, können wir
freilich nicht mit voller Sicherheit angeben. Das Denkmal,
welches uns am Früheſten die glückliche Löſung dieſer Aufgabe
vor Augen ſtellt, iſt die Grabkirche der C o nſtantia, einer
Tochter Conſtantin d. Gr., bei Rom. Selbſtverſtändlich kann
die für die ſpätere Baukunſt ſo hochwichtige Neugeſtaltung der
Centralbauten nicht früher unternommen worden ſein, als nach
der Gewährleiſtung des öffentlichen chriſtlichen Cultus. Dieſe be-
ſtand darin, daß man den Verſuch machte, den Rotunden⸗ und
Polygonbauten annährend dieſelben Einrichtungen zu verſchaffen,
welche die Form der Baſiliken dem chriſtlichen Gottesdienſte
empfohlen hatte — nämlich die bequeme räumliche Eintheilung
zur Sonderung der verſchiedenen Beſtandtheile der Geſellſchaft,
die Erhöhungen der Scheidmauern des Mittelraumes, die
glanzvolle, allſeitige Beleuchtung, welche immerhin einem vor-
handenen Bedürfniſſe entſprachen, wenn auch die Aufnahme
größerer Verſammlungen innerhalb der Centralbauten weniger
beabſichtigt war.)
Jn der Grabkirche der Conſtantia ſehen wir das Syſtem
eines erhöhten, ſelbſtſtändig beleuchteten, von niedrigen Abſeiten
begleiteten Mittelraumes, welches bei den oblongen Baſiliken
längſt in der chriſtlichen Architectur ſich eingebürgert hatte, zum
erſtenmale bei einer Rotunde in Anwendung gebracht. Die
Gliederung des innern Raumes wurde bewerkſtelligt durch
eine doppelte Säulenſtellung, die hier errichtet wurde, und durch
welche zugleich die Stützen dargeboten wurden, auf welchen die
Ueberwölbung des Mittelraumes laſtete. Dadurch war ein er-
folgreicher Schritt zu einer ſpecifiſch chriſtlichen Umbildung der
altrömiſchen Centralform geſchehen; die Laſt der Kuppel war
nicht auf die umfaſſenden Mauern, ſondern auf die freiſtehen-
den, tragenden Glieder zurückgeleitet. Der feſte Beſtand dieſer
Kuppel wurde mittelſt der Wölbungen geſichert, womit die die
Centralhalle umgebenden Seitenhallen überzogen wurden; durch
Vermittlung dieſer wurde der Schub des Hauptgewölbes auf

die Umfaſſungsmauern zurückgeleitet. Das ſich nachmals ver-
vollkommnende Vertikal-Syſtem war im Princip bereits zur
Anwendung gekommen. Das Ziel, das die Folgezeit erſtrebte,
war erkannt, aber nur in unvollkommener Weiſe erreicht. Jn
der altrömiſchen Periode war freilich dieſer großen chriſtlichen
Neuerung wirkſam vorgearbeitet worden.
Von nun an wurde die Verwirklichung des angeregten Ge-
dankens an den verſchiedenſten Orten verfolgt, wo denkende
Architekten ihre Thätigkeit dem chriſtlichen Kirchenbau widmeten.
Zahlreiche Verſuche wurden gemacht, um die noch unbeſeitigten
Schwierigkeiten zu überwinden, um die Kuppel mit dem von
iſolirten Stützen getragenen Unterbau harmoniſch zu verbinden.
Jm Oriente wie im Occidente treten die Beſtrebungen, dies
Problem zu löſen, uns gleichmäßig entgegen. Der Nachweis
kann durchaus nicht geliefert werden, daß vor dem VJ. Jahrh.
die Baukunſt in den beiden Theilen des römiſchen Reiches ge-
ſonderte Wege ſelbſtbewußt verfolgt hätte.
Die Mittelpunkte, von welchen die betreffenden Beſtrebungen
ausgingen, waren die Hauptſtädte des Geſammtreiches, in wel-
chen, mit wirkſamer Unterſtützung der chriſtlichen Regierung, die
höhere Ausbildung des Kirchenbaus von Statten ging. Was
das Abendland betrifft, ſo war dies ganz beſonders in den
kaiſerlichen Reſidenzen zu Mailand und zu Trier der Fall,
in welchen, bei dem nunmehrigen Zurücktreten des zu dem
Schatten eines großen Namens herabgeſunkenen Roms, die
künſtleriſche Thätigkeit einen fruchtbaren Boden gewann. Das
Ringen nach der Erreichung des vorgedachten Zweckes gab zu
mannichfachen conſtructiven Verſuchen Veranlaſſung, welche wie
namentlich die Laurentiuskirche, durch ihre Kühnheit unſer ge-
rechteſtes Staunen erregen. Eine muſtergültige Löſung wurde erſt
durch die Architekten der Sophienkirche gefunden. Erſt mit der
Vollführung dieſes großen Werkes unter Juſtinian beginnt zu-
gleich die Begründung eines eigenthümlich byzantiniſchen Kunſtſtils.
Die Verwendung einzelner decorativer Momente kann für
den Charakter des ganzen Gebäudes nicht entſcheidend ſein.
Das Vorkommen der würfelförmigen Aufſätze über den Säulen
das man früher für ein ſicheres Kennzeichen byzantiniſchen Ein-
flußes erachtete, kann nicht mehr für ein ſolches gelten, nach-
dem die frühe Anwendung derſelben auch im Abendlande nach-
gewieſen iſt. Kirchliche Gebäude, zu deren Ausſchmückung auf
dem Wege des Handels Marmorplatten, Säulen u. ſ. w. aus
dem Marmora⸗Meere herbeigeſchafft wurden, ſind deßhalb keine
byzantiniſchen. Denn, wie Herr Dartein ſelbſt anführt, iſt z.
B. die Kirche San Apollinare nuovo zu Ravenna als ein weſent-
lich abendländiſches Werk anzuerkennen, und dennoch ſind bei
demſelben zahlreiche, aus dem Oſtreiche herbeigeführte bauliche
Ornamente verwendet worden.
Mit Hinweiſung auf dieſe bündige Darlegung der Geſchichte
der kirchlichen Architektur bis zum VJ. Jahrh. darf der Satz
mit aller Beſtimmtheit feſtgehalten werden, daß kein architek-
toniſches Princip, das außerhalb der Grenzen Jtalien's an's
Licht getreten wäre, den Bau von S. Lorenzo bedingt hätte. Der
Zuſammenhang mit den ältern römiſchen Denkmalen wird auch
durch den ausgezeichneten Backſteinbau der Ummauerung bezeugt,
wobei eine ſo ſorgfältige Behandlung ſich zeigt, daß dieſer ſo-
gar der heidniſch-römiſchen Zeit zugerechnet werden könnte
Was nun die genaue Zeitbeſtimmung betrifft, in welcher
Ausführung des Baues ſtatt hatte, ſo weiche ich nur um ein
Unbedeutendes von der Anſicht des Herrn Hübſch ab, weicer
die Gründung den Tagen des Kaiſers Gratian ud des
hl. Ambroſius zuſchreiben zu müſſen glaubt. Jch in namlich
geneigt, die fragliche Kirche unter der Herrſchaft es Kaiſers
Vale n t in i an J. und ſeiner Mutter, der Reichsverweſerin
Galla Placidia, entſtanden anzunehmen.
Die Ausfuhrung meiner die Lorenz⸗Kirche betreffenden Ueber-

) Ueber dieſe Vortheile, welche die ältere (Conſtantiniſche) Sophien-
kirche der Bevölkerung in Conſtantinopel darbot ſ. m. S. Ohrysostom.
Sor. in ilud, Exurient ote. Opp. Ed. Paris. 1621. T. III. p. 160.
 
Annotationen