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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 8.1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.7147#0003
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg.

(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 94.

Domine diloxi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

Oetober 1869.

Die Kirche des hl. aurentius (San Loronzo Mag-
giore) in Mailand.

Zu den großen Verdienſten des verewigten Herrn Bau-
direktors Hü bſch gehört es auch, nach der ſoͤrgfältigſten tech-
niſchen Prüfung den Nachweis geliefert zu haben, daß die
urſprünglichen Theile der im Laufe der Jahrhunderte vielfach
umgeſtalteten Kirche des heil. Laurentius zu Mailand einer
Schöpfung der chriſtlichen Kunſt angehören, nicht aber, wie noch
von Kug ler behauptet wurde, Ueberreſte eines großartigen heid-
niſchen Baudenkmales ſind. Meine Verwunderung war nicht
gering, als ich in den archäologiſchen Annalen des Herrn
Didron!) durch Herrn von Dartein mit aller Zuverſicht
die Behauptung ausgeſprochen fand, die Anſicht des Herrn
Hübſch über die Entſtehungszeit des fraglichen Kirchenbaues
könne nur in dem Falle gebilligt werden, wenn man ſich ent-
ſchließen wolle, dem von demſelben vorgelegten Syſteme in
Betreff des Entwicklungsganges der chriſtlichen Architektur über-
haupt beizutreten; dies aber ſei ſchlechthin unthunlich. Das
Richtige ſei erkannt worden von einem italieniſchen Baumeiſter
Clericetti, von welchem in einem, in der Zeitſchrift ,,Politec-
ico' veröffentlichten Aufſatze als die Zeit, in welcher die be-
egte Laurentiuskirche gegründet wurde, die erſte Hälfte des
Jahrh. beſtimmt wurde. Herr von Dartein, der Ver-
faſſer des fraglichen Aufſatzes, und Clericetti gehen von der
Behauptung aus, von der erſten Ausbildung der chriſtlichen
Kirchenbaukunſt an habe Jtalien auf dieſem Gebiete einen eigen-
thümlichen ang verfolgt; erſt um die Zeit der Vertreibung
der Gothen aus talien und der von Juſtinian angeordneten Re-
organiſation dieſes Landes ſei, von Conſtantinopel aus, ein neuer,
der ſog. byzantiniſche Stil eingewandert. St. Vitale zu Ra-
venna und St. Laurentius zu Mailand ſeien Ergebniſſe dieſer
Revolution. Der Berfaſſer, der den parallelen Bildungsgang
der Baukunſt im Oſten und Weſten des römiſchen Reiches in
Abrede ſtellt, macht das Eingeſtändniß, daß der eine Epoche
begründende Bau der Sophienkirche in Conſtantinopel, an und
für ſich, die Künſtler des Abendlandes nicht beſtimmt haben

kann, aus ihrer bis dahin verfolgten Richtung herauszutreten, da
nach ausdrücklichen hiſtoriſchen Zeugniſſen, die St. Vitaliskirche in
Ravenna, in welcher er eine ſchlechthin bzantiniſche Conſtruction
anerkennt, um mehrere Jahre der Errichtung der Sophienkirche
voraufging; allein, meint er, Kirchen von demſelben ſpecifiſchen
Stil, von welchen freilich keine Spur auf uns gekommen fei,
hätten ſchon in vorgängiger Zeit in Conſtantinopel ausgeführt
werden können. Jn dieſer flachen Allgemeinheit iſt das Ver-
werfungsurtheil über die leitenden Jdeen des deutſchen Wer-
kes ausgeſprochen, das aus einem viele Jahre hindurch fortge-
ſetzten ernſtlichen Studium der altchriſtlichen Kirchenbauten her-
vorgegangen iſt. Eine eingehende Widerlegung wird nicht ge-
geben; der Verfaſſer verweist auf ſeine ſummariſche Behand-
lung der Geſchichte der Baukunſt in der Lombardei, für welche
er im Jahr 1862 den Plan der Lorenz-Kirche in Mailand aufge-
nommen, und den er 1865 publicirt habe, bevor ihm von
dem Werke des Herrn Hübſch Kenntniß geworden ſei. Herr
Hübſch, ſo meint er, habe, um ſeinem Syſtem einige Wahr-
ſcheinlichkeit zu geben, den Beweis liefern müſſen, daß eine
Kirche in rein byzantiniſchem Stile jemals in Jtalien ohne
griechiſche Mitwirkung entſtanden ſei. Die Laurentius-Kirche
könne als Beweis dafür nicht angeführt werden, weil die Da-
tirung dieſes Baues ganz unſicher ſei; in Jtalien und im gan-
zen Occidente ſei keine ,,vollſtändig byzantiniſche'' Kirche aus
früherer Zeit nachweisbar, als St. Vitalis in Ravenna. Erſt
mit dieſer beginne der byzantiniſche Bauſtil im Abendlande,
und für die Laurentiuskirche dürfe durchaus kein höheres Alter
in Anſpruch genommen werden.
Wir ſind nun darauf hingewieſen zu fragen, mit welchem
Rechte denn die Laurentiuskirche, die der Verfaſſer als eine
Rotunda bezeichnet, als ein nach dem ſupponirten eigenthüm-
lichen Syſteme der oſtrömiſchen Kunſt aufgeführtes Gebäude zu
betrachten ſei. Der byzantiniſche Character, welchen die Herren
Clericetti und Dartein der Laurentiuskirche vindiciren, kann nur
in dem dabei zur Anwendung gekommenen Ueberwölbungsſſtem
geſucht werden. Auf dies alſo hat die Unterſuchung der frag-
lichen Hypotheſe ſich vornehmlich zu richten.
Was nun dieſen Gegenſtand betrifft, ſo iſt jedem wißbe-
gierigen Leſer eine hinreichende Belehrung durch eine Arbeit

) T. XXV. Monuments dn haut Moyen Age conservés à Cvidale
en Frioul, par: M. . e Dartei. p. 313.
 
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