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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 8.1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.7147#0049
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg.
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 93.

Domino diloxi docorem domus tuae. Ps. 25, 8.

September 1869.

Die Statuen der ſieben freien Künſte in der Vorhalle
des Münſters zu Freiburg.
(Fortſetzung.)

wahr, die über den Eingängen der gothiſchen Kirchen angebracht
waren. Namentlich iſt dieß bei den Sculpturwerken der Fall,
womit die Portale zu Chartres und zu Freiburg ausgeſchmückt
ſind. Ein älteres Beiſpiel bildet die Ausſchmückung des Bogen-
feldes über dem Eingang einer ſüdfranzöſiſchen Kirche (zu
Deols)) dar, welche ich berühren zu müſſen glaube, weil bei
dieſer der beſprochene Jnhalt früherer Moſaik-Böden im Aus-
zuge wiederholt geweſen zu ſein ſcheint. Chriſtus uud die vier
Evangeliſten nehmen die Mitte ein; in der erſten der umlau-
fenden Gurten erſcheint das apokalyptiſche Lamm in einem Kreiſe
von Engeln; in der zweiten, von den einzelnen Wiſſenſchaften
umringt, die Sapientia; in der dritten die Zodiakalzeichen.
Die Erkenntniß der Welt, das Studium der Wiſſenſchaften,
führt hin zu dem Erlöſer, der für uns gelitten, der wieder-
kehren wird am Ende der Zeiten, der in der ewigen Herrlich-
keit thront, wo jeder Sterbliche, deſſen Leben ihm geweiht war,
ſeinen ewigen Lohn finden wird. Ehe ich jedoch zur Beſprechung
der eigentlichen Aufgabe dieſes Aufſatzes, der Statuen der ſieben
freien Künſte in der Vorhalle des Freiburger Münſters, über-
gehe, ſei es mir noch vergönnt, die Behandlung desſelben
Gegenſtandes durch zwei andere Kunſtwerke der voraufgehenden
Periode zu erwähnen. Das eine, welches völlig in die Fuß-
ſtapfen des oben beſprochenen Werkes des Biſchofs Theodulf
eintritt und in ganz freier, eigenthümlicher Weiſe die Philoſophie
und die ſieben Künſte uns vorgeführt hat, iſt ein im Jahr
1175 entſtandenes Miniatur-Gemälde; das andere finden wir
in einer weiland ſehr berühmten allegoriſchen Dichtung vor,
welche das Werk des Marcianus Capella zum Vorbilde ge-
wählt hatte.
Das Gemälde ſieht man in dem dermalen auf der ſtädti-
ſchen Bibliothek zu Straßburg aufbewahrten Werke der Abtiſſin
Herrad des Kloſters Hohenburg im Elſaß, ,,Hortus deliciarum',
in welchem die Geſchichte des Menſchengeſchlechtes von der
Schöpfung bis zum jüngſten Gerichte überſchaulich gemacht, und
worin zugleich Alles und Jedes, was nur hemmend oder för-
dernd in die welthiſtoriſche Entwickelung eingegriffen hat, eben-

E Jm Laufe des XJJJ. Jahrh. hörte die Sitte auf, die
Fußböden der Kirchen mit Moſaik-Arbeiten zu verzieren; die
Belegung mit Quaderſteinen ward allgemein eingeführt. Die
Fertigkeit der Steinmetzen trug aber Sorge dafür, daß die
frühere ſinnreiche Ornamentation des Bodens durch die Neue-
rung nicht eingebüßt wurde. Man unternahm es, die frühere
Aufgabe mittelſt der Sculptur zu löſen. Das Beiſpiel einer
ſolchen ornamentirten Pflaſterung kam um das Jahr 1260 in
der Kirche zu St. Omer zu Stande. Die davon erhaltenen,
durch Herrn Hermant!) herausgegebenen Bruchſtücke weiſen
nach, daß auch die Figuren der ſieben freien Künſte in
dieſem Werke ausgeführt waren.
Dieſelben hieher gehörigen Darſtellungen, welche ſucceſſiv
Malerei, Stickerei, Moſaik-Arbeit und die Steinbeplattung zu
ihrer Aufgabe gemacht hatten, blieben ebenfalls Augenmerk der
bildenden Kunſt in der Periode, wo die Sculptur bei den im
gothiſchen Stile aufgeführten Kathedralen alle Jdeen und Lei-
ſtungen der frühern Zeit feſtzuhalten und zu übertreffen bemüht
war Es werden, wie man ſich leicht überzeugen kann, alle
betreffenden großartigen Compoſitionen der damaligen kirchlichen
Sculptur von der Jdee der göttlichen Erziehung des Menſchen-
geſchlechtes beherrſcht; alle von der Vorſehung gebotenen Mittel,
die den Menſchen auf ſeiner Pilgerfahrt zur Wiederherſtellung
ſeiner früheren vollkommeneren Zuſtande fortführen, werden
darin zuſammengefaßt. Daher kömmt es, daß die Portalſcul-
turen der gothiſchen Zeit weſentlich dieſelben Gegenſtände zu
einem noch großartigern Ganzen zuſammenfaſſen, welche die
Moſaik⸗Fußböden der Beherzigung der Gemeinden vorführten.
Jn demſelben Zuſammenhange, in welchem die ſieben Künſte
auf den erwähnten Moſaik⸗Fußböden einem weiten Cyklus hiſto-
riſher und allegoriſcher Figuren eingereiht waren, nehmen wir
dieſelben auch in dem Rahmen der großartigen Compoſitionen

M. ſ. A. de Caumont Abécédaire l'Archéologis. Vme Eition
Paris 1867. p. 508.

) Schnaſe, Geſchichte der bildenden Künſte im Mittelalter. Bd. JJ.
S. 103.
 
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