Chriſtliche
Kunſtblätter
Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. 85.
Domine ox decorem domus tuae. Ps. 25, 8.
Januar 1869.
Die Kirche des hl. Polyeukt in Conſtantinopel.
eigniſſe zu werfen, von welchen die eigenthümliche Lage herbei-
geführt wurde, durch deren Einfluß das Dichten und Trachten
der Erbauerin der Polyeuktus-Kirche, Anicia Juliana, be-
dingt war.
E Wenn ich mich anſchicke, eine ſo gut wie unbekannte
Kirche von untergeordneter Bedeutung in Conſtantinopel zu be-
ſprechen, deren Lage ſogar nur durch eine minutiöſe Unterſuch-
ung (auf welche hier einzugehen nicht der Ort iſt,) genau be-
ſtimmt werden kann, ſo wird jeder Leſer von ſelbſt vorausſetzen,
daß dieß mit Rückſicht auf ein allgemeines Jntereſſe geſchieht,
welche das fragliche Gebäude den Freunden des chriſtlichen Alter-
thums darbieten kann. Die künſtleriſche Decoration desſelben,
von weſcher wir Einiges durch eine verſifieirte Jnſchrift erfah-
ren, die uns in der griechiſchen Anthologie (J., 10), erhalten
iſt, gibt uns, nach meinem Dafürhalten, einen bisher unbeachtet
gebliebenen Fingerzeig für die Löſung eines oft beſprochenen,
noch nicht vollſtändig aufgeklärten Räthſels. Wir werden da-
durch auf die Spur der Heimath geführt, von welcher die
Sage von der Taufe Conſtantin d. Gr. zu Rom durch den
Papſt Sylveſter ausging, und zur Einſicht in die näheren Um-
ſtände, welche die Abfaſſung dieſer Legende veranlaßten.
Der Ungrund derſelben iſt allgemein eingeſtanden; auch die
Entſtehungszeit derſelben gegen das Ende des V. oder zu An-
fang des V. Jahrhunderts iſt mit genügenden Erweiſen ermittelt
worden. Der jetzt in griechiſcher Sprache vorliegende Text war
anfangs lateiniſch abgefaßt. Benützt wurde die Legende bereits
von einem Fälſcher, welcher bei den heftigen Wirren, die zu
Rom bei der beſtrittenen Wahl des Papſtes Symmachus aus-
brachen, eine Verunſtaltung der Geſchichte des Papſtes Liberius
für ſeine Parteizwecke in Umlauf ſetzte. Dieſe Thatſachen führen
von ſelbſt auf die Vermuthung, die Dichtung ſei in Rom ſelbſt
entſtanden und irgend ein römiſcher Kleriker ſei für den Ver-
faſſer zu halten. Die Erwägungen, zu welchen der zu beſpre-
chende Kirchenbau die Veranlaſſung gibt, liefern jedoch, meines
Erachtens, ein ganz andres Reſultat, nämlich dieſes: die Le-
gende wurde in den erſten Decennien des VI. Jahrhunderts zu
Conſtantinopel erſonnen, der urſprünglichen Abfaſſung ſtanden
die damaligen Parteiungen des römiſchen Klerus durchaus ferne.
Um nun die Gründe, welche dieſe Behauptung unterſtützen
können, den Leſern vollſtändig und genau vorzulegen, ſcheint es
unumgänglich, einen retroſpectiven Blick auf den Gang det Er-
Durch den im Jahre 455 an Kaiſer Valentinian JI. ver-
übten Mord war die Grundlage der Ordnung, welche Theodo-
ſius J. für die Regierung des römiſchen Reiches feſtgeſtellt hatte,
umgeſtürzt worden. Den von dieſem Kaiſer erlaſſenen geſetzlichen
Beſtimmungen gemäß ſollte die Einheit des römiſchen Geſammt-
ſtaates unverbrüchlich in den kommenden Zeiten feſtgehalten wer-
den. Unter zwei zwar formell getheilten, aber principiell in ſte-
ter Harmonie zuſammenwirkenden Adminiſtrationen ſollten die
beiden Reichshälften des Weſtens und Oſtens ein zu Schutz und
Trutz verbundenes Ganze ausmachen — den geiſtig geordneten
Erdtreis, die Oekumene, im Gegenſatze zu den ordnungsloſen,
unchriſtlichen Völkervereinen der Barbaren. Von einer Reichs-
grenze bis zur andern ſollte Ein Pulsſchlag das römiſche Volks-
leben beherrſchen. Nur ein und dasſelbe Geſchlecht, das Theo-
doſiſche, ſollte mit der oberſten Macht bekleidet, mit der Füh-
rung der Reichsangelegenheiten betraut ſein. Nach dem Hingange
des Stifters dieſer Ordnung ſollten die beiden Söhne desſelben,
Arkadius in der öſtlichen, Honorius in der weſtlichen Reichs-
hälfte, nach ihnen ihre beiderſeitigen Nachkommen die Regierung
in demſelben Sinne, nach denſelben Principien fortführen. Wie
wenig die Durchführung dieſer Satzungen der Willensmeinung
des Stifters entſprochen hat, wie die ſchnell eingetretenen, weit-
greifenden Beeinträchtigungen derſelben durch Leidenſchaften aller
Art, Ehrgeiz, Eiferſucht, Neid und Argwohn im Jnnern des
Reiches, durch die beſtändig ſich vermehrenden Bedrängniſſe von
außen her haben erfahren müſſen, erzählt die Geſchichte. Jm
Morgenlande erloſch der Mannesſtamm der Dynaſtie des Theo-
doſius J. bereits mit ſeinem Enkel, Theodoſius J., im Jahre
450. Allein des Letzteren Tochter, Pulcheria, (f 453) über-
nahm das väterliche Erbe und übergab es ihrem Gemahl Mar-
cian (f 457), unter deſſen Regierung die berührte Kataſtrophe
im Oecidente vor ſich ging. Um die Herrſchaft des abendländi-
ſchen Reiches ſtritten, nach Marcian's Ableben längere Zeit
hindnrch ſich drei Gewalten, wenn man will, drei Principien.
Die Beherrſcher des Morgenlandes, die ſich als die rechtmäßi-
Kunſtblätter
Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. 85.
Domine ox decorem domus tuae. Ps. 25, 8.
Januar 1869.
Die Kirche des hl. Polyeukt in Conſtantinopel.
eigniſſe zu werfen, von welchen die eigenthümliche Lage herbei-
geführt wurde, durch deren Einfluß das Dichten und Trachten
der Erbauerin der Polyeuktus-Kirche, Anicia Juliana, be-
dingt war.
E Wenn ich mich anſchicke, eine ſo gut wie unbekannte
Kirche von untergeordneter Bedeutung in Conſtantinopel zu be-
ſprechen, deren Lage ſogar nur durch eine minutiöſe Unterſuch-
ung (auf welche hier einzugehen nicht der Ort iſt,) genau be-
ſtimmt werden kann, ſo wird jeder Leſer von ſelbſt vorausſetzen,
daß dieß mit Rückſicht auf ein allgemeines Jntereſſe geſchieht,
welche das fragliche Gebäude den Freunden des chriſtlichen Alter-
thums darbieten kann. Die künſtleriſche Decoration desſelben,
von weſcher wir Einiges durch eine verſifieirte Jnſchrift erfah-
ren, die uns in der griechiſchen Anthologie (J., 10), erhalten
iſt, gibt uns, nach meinem Dafürhalten, einen bisher unbeachtet
gebliebenen Fingerzeig für die Löſung eines oft beſprochenen,
noch nicht vollſtändig aufgeklärten Räthſels. Wir werden da-
durch auf die Spur der Heimath geführt, von welcher die
Sage von der Taufe Conſtantin d. Gr. zu Rom durch den
Papſt Sylveſter ausging, und zur Einſicht in die näheren Um-
ſtände, welche die Abfaſſung dieſer Legende veranlaßten.
Der Ungrund derſelben iſt allgemein eingeſtanden; auch die
Entſtehungszeit derſelben gegen das Ende des V. oder zu An-
fang des V. Jahrhunderts iſt mit genügenden Erweiſen ermittelt
worden. Der jetzt in griechiſcher Sprache vorliegende Text war
anfangs lateiniſch abgefaßt. Benützt wurde die Legende bereits
von einem Fälſcher, welcher bei den heftigen Wirren, die zu
Rom bei der beſtrittenen Wahl des Papſtes Symmachus aus-
brachen, eine Verunſtaltung der Geſchichte des Papſtes Liberius
für ſeine Parteizwecke in Umlauf ſetzte. Dieſe Thatſachen führen
von ſelbſt auf die Vermuthung, die Dichtung ſei in Rom ſelbſt
entſtanden und irgend ein römiſcher Kleriker ſei für den Ver-
faſſer zu halten. Die Erwägungen, zu welchen der zu beſpre-
chende Kirchenbau die Veranlaſſung gibt, liefern jedoch, meines
Erachtens, ein ganz andres Reſultat, nämlich dieſes: die Le-
gende wurde in den erſten Decennien des VI. Jahrhunderts zu
Conſtantinopel erſonnen, der urſprünglichen Abfaſſung ſtanden
die damaligen Parteiungen des römiſchen Klerus durchaus ferne.
Um nun die Gründe, welche dieſe Behauptung unterſtützen
können, den Leſern vollſtändig und genau vorzulegen, ſcheint es
unumgänglich, einen retroſpectiven Blick auf den Gang det Er-
Durch den im Jahre 455 an Kaiſer Valentinian JI. ver-
übten Mord war die Grundlage der Ordnung, welche Theodo-
ſius J. für die Regierung des römiſchen Reiches feſtgeſtellt hatte,
umgeſtürzt worden. Den von dieſem Kaiſer erlaſſenen geſetzlichen
Beſtimmungen gemäß ſollte die Einheit des römiſchen Geſammt-
ſtaates unverbrüchlich in den kommenden Zeiten feſtgehalten wer-
den. Unter zwei zwar formell getheilten, aber principiell in ſte-
ter Harmonie zuſammenwirkenden Adminiſtrationen ſollten die
beiden Reichshälften des Weſtens und Oſtens ein zu Schutz und
Trutz verbundenes Ganze ausmachen — den geiſtig geordneten
Erdtreis, die Oekumene, im Gegenſatze zu den ordnungsloſen,
unchriſtlichen Völkervereinen der Barbaren. Von einer Reichs-
grenze bis zur andern ſollte Ein Pulsſchlag das römiſche Volks-
leben beherrſchen. Nur ein und dasſelbe Geſchlecht, das Theo-
doſiſche, ſollte mit der oberſten Macht bekleidet, mit der Füh-
rung der Reichsangelegenheiten betraut ſein. Nach dem Hingange
des Stifters dieſer Ordnung ſollten die beiden Söhne desſelben,
Arkadius in der öſtlichen, Honorius in der weſtlichen Reichs-
hälfte, nach ihnen ihre beiderſeitigen Nachkommen die Regierung
in demſelben Sinne, nach denſelben Principien fortführen. Wie
wenig die Durchführung dieſer Satzungen der Willensmeinung
des Stifters entſprochen hat, wie die ſchnell eingetretenen, weit-
greifenden Beeinträchtigungen derſelben durch Leidenſchaften aller
Art, Ehrgeiz, Eiferſucht, Neid und Argwohn im Jnnern des
Reiches, durch die beſtändig ſich vermehrenden Bedrängniſſe von
außen her haben erfahren müſſen, erzählt die Geſchichte. Jm
Morgenlande erloſch der Mannesſtamm der Dynaſtie des Theo-
doſius J. bereits mit ſeinem Enkel, Theodoſius J., im Jahre
450. Allein des Letzteren Tochter, Pulcheria, (f 453) über-
nahm das väterliche Erbe und übergab es ihrem Gemahl Mar-
cian (f 457), unter deſſen Regierung die berührte Kataſtrophe
im Oecidente vor ſich ging. Um die Herrſchaft des abendländi-
ſchen Reiches ſtritten, nach Marcian's Ableben längere Zeit
hindnrch ſich drei Gewalten, wenn man will, drei Principien.
Die Beherrſcher des Morgenlandes, die ſich als die rechtmäßi-