Chriſtliche
Kunſtblätter
Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg.
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. 92.
Domine dilexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.
Auguſt 1869.
Die Statuen der ſieben freien Künſte in der Vorhalle
des Münſters zu reiburg.
bei den gelehrten Schulen der claſſiſchen Zeit eine allgemeine
Zuſtimmung gefunden. Wie namentlich aus den Schriften des
Philo, die ſo bedeutend für das Chriſtenthum wurden, her-
vorgeht, war dieſer Complex in Alexandrien als die Grundlage
für die höhere Bildung anerkannt; vornehmlich durch Varro
wurde derſelbe Cyklus in Rom und in dem lateiniſch redenden
Abendland eingebürgert.
Dieſes Fundament konnte und durfte Auguſtin nicht ver-
laſſen, ſo lange er die erhabenen Gedanken zu verwirklichen
hoffte, die an dem Scheidewege, an welchen er damals geſtellt
war, ihm, wie ſie es in der Wirklichkeit ſind, als heilbringend
und ſegensreich erſchienen. Dieſe Jdeen, neben der erwähn-
ten, zwiefachen Beſchäftigung, welcher Auguſtin mit aller
Kraft ſeines Geiſtes, aller Gewiſſenhaftigkeit ſeines Herzens ſich
hingab, zweckten weſentlich darauf ab, Glauben und Wiſſen-
ſchaft zu verſöhnen, alle geiſtigen Beſtrebungen auf einen einzi-
gen, überweltlichen Punkt zu concentriren, den geläuterten Men-
ſchen von der Vergänglichkeit zu Gott emporzuheben. Zu dieſem Be-
hufe unterzog er ſich der Ausarbeitung einer eneklopädiſchen Wiſ-
ſenſchaftslehre. Einzelne Abtheilungen wurden, mehr oder minder
vollſtändig, ausgeführt. Die gänzliche Vollendung anderer wurde
von den ſich überſtürzenden, hemmenden Ereigniſſen der Zeit, ſowie
von den praktiſchen Anforderungen ſeines biſchöflichen Berufes
behindert, welche ihn von dem Beſtreben, die aus der Vorzeit
überkommenen Schätze der Nachwelt zu überantworten, mehr
und mehr ablenkten und ihn zu der eifrigen Fortbildung der
chriſtlich theologiſchen Doctrinen hinüberdrängten. Wenn aber
auch Auguſtinus in der ſpätern Periode ſeiner Wirkſamkeit, wie
Ambroſius es längſt vor ihm gethan, die Bedeutung der welt-
lichen Wiſſenſchaften weniger hoch in Anſchlag brachte und in
den Stürmen der Zeit manchen Balaſt der formellen Schul-
weisheit fahren zu ſaſſen entſchloſſen war, ſo hat er doch die
leitenden Jdeen ſeiner vorgängigen Bemühungen niemals ver-
läugnet, und die ſpäteſte Nachwelt hat es dankbar anzuerkennen,
daß durch die berührten Werke, welche zur Zeit ſeines Eintrit-
tes in die chriſtliche Kirchengemeinſchaft entſtanden, die weſent-
lichſten Dienſte dem Bildungsgange, auf dem ſie fortgeſchritten
iſt, geleiſtet worden ſind. Wenn die äußern Verhältniſſe den
ſtrebenden Geiſtern es ermöglichten, dem erhabenen Zwecke ſich
Dem Forſcher, der nicht in der gewöhnlichen, oberfläch-
lichen, nur die äußern Erſcheinungen beachtenden Weiſe, ſondern
mit ſtrengem Ernſte dem Studium der chriſtlichen Kunſt des
Abendlandes ſich zuwendet, tritt mit jedem Schritte, den er auf
dieſem Gebiete vorwärts ſetzt, die große, Ehrfurcht gebietende Ge-
ſtalt des Kirchenlehrers Aug u ſt i n us entgegen. Die tiefſinnige
Auffaſſungen des Verhältniſſes Gottes zur Welt und zur Menſch-
heit, der Erziehung der Völker durch die Leitung der Vorſehung,
welche die bildende Kunſt in ihren umfaſſenden Compoſitionen,
namentlich an den Portalen der Kirchen zu veranſchaulichen be-
müht war, iſt aus ſeinen Werken gewonnen worden; die Dar-
ſtellung der alt- und neuteſtamentlichen Figuren und Gruppen
in Gemäßheit der ihnen unterſtellten ſymboliſchen Bedeutung
geht größtentheils auf die von ihm ausgegangenen, oder durch
ihn vermittelten Belehrungen zurück. Eine aus eben dieſer
Quelle gefloſſene Anregung hat die allegoriſche Darſtellung der
ſieben freien Künſte, welche bei den Münſtern zu Chartres und
Freiburg zur Ausführung gekommen iſt, in den Kreis der mit-
telalterlichen Bildnerei eingeführt.
Aus dem Labyrinthe der manichäiſchen Spekulation war
Auguſtinus in die hellere Sphäre der griechiſchen Wiſſenſchaft
hinübergetreten, welche ihm bekanntlich mittelſt lateiniſcher Ver-
dollmetſchungen eröffnet wurde; aus der Vorſchule der platoni-
ſchen Philoſophie war er dann in die Hallen des chriſtlichen
Glaubens und Erkennens eingegangen. Während er, auf der
Villa Caſſiciacum, einestheils der Vorbereitung zum Empfang
der chriſtlichen Weihe, anderntheils der Ausbildung der ſeiner
Leitung anvertrauten Jünglinge oblag, beſchäftigte ihn zugleich
der auch nachmals von ihm zu Rom und in Afrika feſtgehaltene Ge-
danke, die Wiſſenſchaften des claſſiſchen Alterthums als Einleitung
in die höhere, von dem Chriſtenthume gebotene Erkenntniß für
die Gebildeten unter ſeinen Zeitgenoſſen, welche die vielſeitige,
blendende Gelehrſamkeit der Vorzeit von der mißverſtandenen
Einfachheit der chriſtlichen Doctrin zurückhielt, zu verwerthen.
Die von der Schule der Stoiker zuerſt ausgegangene Verbindung
der Einzelwiſſenſchaften zu einem in ſich geordneten Ganzen hatte
Kunſtblätter
Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg.
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. 92.
Domine dilexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.
Auguſt 1869.
Die Statuen der ſieben freien Künſte in der Vorhalle
des Münſters zu reiburg.
bei den gelehrten Schulen der claſſiſchen Zeit eine allgemeine
Zuſtimmung gefunden. Wie namentlich aus den Schriften des
Philo, die ſo bedeutend für das Chriſtenthum wurden, her-
vorgeht, war dieſer Complex in Alexandrien als die Grundlage
für die höhere Bildung anerkannt; vornehmlich durch Varro
wurde derſelbe Cyklus in Rom und in dem lateiniſch redenden
Abendland eingebürgert.
Dieſes Fundament konnte und durfte Auguſtin nicht ver-
laſſen, ſo lange er die erhabenen Gedanken zu verwirklichen
hoffte, die an dem Scheidewege, an welchen er damals geſtellt
war, ihm, wie ſie es in der Wirklichkeit ſind, als heilbringend
und ſegensreich erſchienen. Dieſe Jdeen, neben der erwähn-
ten, zwiefachen Beſchäftigung, welcher Auguſtin mit aller
Kraft ſeines Geiſtes, aller Gewiſſenhaftigkeit ſeines Herzens ſich
hingab, zweckten weſentlich darauf ab, Glauben und Wiſſen-
ſchaft zu verſöhnen, alle geiſtigen Beſtrebungen auf einen einzi-
gen, überweltlichen Punkt zu concentriren, den geläuterten Men-
ſchen von der Vergänglichkeit zu Gott emporzuheben. Zu dieſem Be-
hufe unterzog er ſich der Ausarbeitung einer eneklopädiſchen Wiſ-
ſenſchaftslehre. Einzelne Abtheilungen wurden, mehr oder minder
vollſtändig, ausgeführt. Die gänzliche Vollendung anderer wurde
von den ſich überſtürzenden, hemmenden Ereigniſſen der Zeit, ſowie
von den praktiſchen Anforderungen ſeines biſchöflichen Berufes
behindert, welche ihn von dem Beſtreben, die aus der Vorzeit
überkommenen Schätze der Nachwelt zu überantworten, mehr
und mehr ablenkten und ihn zu der eifrigen Fortbildung der
chriſtlich theologiſchen Doctrinen hinüberdrängten. Wenn aber
auch Auguſtinus in der ſpätern Periode ſeiner Wirkſamkeit, wie
Ambroſius es längſt vor ihm gethan, die Bedeutung der welt-
lichen Wiſſenſchaften weniger hoch in Anſchlag brachte und in
den Stürmen der Zeit manchen Balaſt der formellen Schul-
weisheit fahren zu ſaſſen entſchloſſen war, ſo hat er doch die
leitenden Jdeen ſeiner vorgängigen Bemühungen niemals ver-
läugnet, und die ſpäteſte Nachwelt hat es dankbar anzuerkennen,
daß durch die berührten Werke, welche zur Zeit ſeines Eintrit-
tes in die chriſtliche Kirchengemeinſchaft entſtanden, die weſent-
lichſten Dienſte dem Bildungsgange, auf dem ſie fortgeſchritten
iſt, geleiſtet worden ſind. Wenn die äußern Verhältniſſe den
ſtrebenden Geiſtern es ermöglichten, dem erhabenen Zwecke ſich
Dem Forſcher, der nicht in der gewöhnlichen, oberfläch-
lichen, nur die äußern Erſcheinungen beachtenden Weiſe, ſondern
mit ſtrengem Ernſte dem Studium der chriſtlichen Kunſt des
Abendlandes ſich zuwendet, tritt mit jedem Schritte, den er auf
dieſem Gebiete vorwärts ſetzt, die große, Ehrfurcht gebietende Ge-
ſtalt des Kirchenlehrers Aug u ſt i n us entgegen. Die tiefſinnige
Auffaſſungen des Verhältniſſes Gottes zur Welt und zur Menſch-
heit, der Erziehung der Völker durch die Leitung der Vorſehung,
welche die bildende Kunſt in ihren umfaſſenden Compoſitionen,
namentlich an den Portalen der Kirchen zu veranſchaulichen be-
müht war, iſt aus ſeinen Werken gewonnen worden; die Dar-
ſtellung der alt- und neuteſtamentlichen Figuren und Gruppen
in Gemäßheit der ihnen unterſtellten ſymboliſchen Bedeutung
geht größtentheils auf die von ihm ausgegangenen, oder durch
ihn vermittelten Belehrungen zurück. Eine aus eben dieſer
Quelle gefloſſene Anregung hat die allegoriſche Darſtellung der
ſieben freien Künſte, welche bei den Münſtern zu Chartres und
Freiburg zur Ausführung gekommen iſt, in den Kreis der mit-
telalterlichen Bildnerei eingeführt.
Aus dem Labyrinthe der manichäiſchen Spekulation war
Auguſtinus in die hellere Sphäre der griechiſchen Wiſſenſchaft
hinübergetreten, welche ihm bekanntlich mittelſt lateiniſcher Ver-
dollmetſchungen eröffnet wurde; aus der Vorſchule der platoni-
ſchen Philoſophie war er dann in die Hallen des chriſtlichen
Glaubens und Erkennens eingegangen. Während er, auf der
Villa Caſſiciacum, einestheils der Vorbereitung zum Empfang
der chriſtlichen Weihe, anderntheils der Ausbildung der ſeiner
Leitung anvertrauten Jünglinge oblag, beſchäftigte ihn zugleich
der auch nachmals von ihm zu Rom und in Afrika feſtgehaltene Ge-
danke, die Wiſſenſchaften des claſſiſchen Alterthums als Einleitung
in die höhere, von dem Chriſtenthume gebotene Erkenntniß für
die Gebildeten unter ſeinen Zeitgenoſſen, welche die vielſeitige,
blendende Gelehrſamkeit der Vorzeit von der mißverſtandenen
Einfachheit der chriſtlichen Doctrin zurückhielt, zu verwerthen.
Die von der Schule der Stoiker zuerſt ausgegangene Verbindung
der Einzelwiſſenſchaften zu einem in ſich geordneten Ganzen hatte