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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 8.1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.7147#0037
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 90.

Domine dilexi deorem domus tuae. Ps. 25, 8.

Juni 1869.

Das Portalrelief an der Altſtädter Kirche zu
Pforʒheim.

Pforzheim ſind vier nach Außen geöffnete Halbkreiſe neben
einander geſtellt, ſo daß in der Mitte nur ein kleiner Raum
frei bleibt. Die einander benachbarten Endpunkte eines jeden
dieſer Halbkreiſe werden durch ein kleineres, ſeine Rundung
nach Außen kehrendes Kreisſegment mit einander verbunden.
Ju den ganzen Complex iſt ein Kreis hineingelegt, über wel-
chen die in beſagter Weiſe aneinander gereihten Halbkreiſe nur
um ein Weniges hinausragen, und zwar ſo, daß er beſtändig
unter einem der Halbkreiſe ſich durchzieht und über den folgen-
den hinweggeht. Ueber dem Scheitelpunkte dieſes Kreiſes ragen
drei Spitzen in die Höhe, welche ich für die drei Mittelfinger
einer ausgeſtreckten Hand halte. Daß dieſer wunderlichen Ver-
ſchlingung eines Kreiſes mit 4 Halbkreiſen ein ſinnbildlicher
Gedanke zu Grunde liegen müſſe, geht aus den anderen offen-
bar bedeutungsvollen Figuren hervor, welche dieſelbe umgeben.
Jch will jedoch, ehe ich meine Anſicht ausſpreche, die weiteren
Darſtellungen des Reliefs näher in's Auge faſſen.
Die untere Mitte nimmt die halbe, unbekleidete Geſtalt eines
Mannes ein, deſſen weit vorſtehender Schnurrbart beſonders
auffällig iſt. Die Augenlider ſind wie zum Schlummer herab-
geſenkt; kurzes Haar zieht ſich von einem Ohre zum andern;
der Ausdruck des Geſichtes iſt ein ruhiger und würdiger. Eine
Anmerkung der Redaction zu der Mittheilung des Hrn. Prä-
laten Ullmann glaubt, der Figur den Charakter eines Porträts
beilegen zu dürfen, und meint, dieſelbe werde wohl auf den
Stifter der Kirche zu beziehen ſein. Jch kann dieſe nicht weiter
begründete Vermuthung keineswegs theilen, und nehme keinen
Anſtand, eine freilich äußerſt rohe Darſtellung des vom Kreuze
herabgenommenen oder im Grabe ruhenden Heilandes anzuneh-
men. Da während des XJ. Jahrh. die früher nur im Oriente
beliebte Darſtellung des ſterbenden oder geſtorbenen Chriſtus
im Abendlande Eingang gefunden hatte, während vordem bei
den Crucifixen die erhabene Jdee des vom Tode unbeſiegbaren
Gottmenſchen feſtgehalten worden war, ſo darf uns die Dar-
ſtellung eines in den Schlummer des Todes verſenkten Hei-
landes auf dem Pforzheimer Relief nicht befremden. Der
Schnurrbart kann dieſer Erklärung keinen Eintrag thun, wenn
man gleichzeitige Darſtellungen des Gekreuzigten, namentlich die
auf dem bekannten Taufſteine von Zerbſt vorkommende ver-

Das Reliefbild, welches über dem vordern Haupteingang
der Altſtädter Kirche zu Pforzheim angebracht iſt, legt der
chriſtlichen Archäologie ein ſchwer zu entzifferndes Räthſel vor.
Der verewigte Prälat, Herr Dr. K. Ullmann, hat in dem
,, Anzeiger für Kunde der deutſchen Vorzeit'' (Neue Folge. B. 7.
Jahrgang 1860. S. 87) eine als treu verbürgte Abzeichnung
davon veröffentlicht. Nach Anführung einiger früher gewagten,
ganz unhaltbaren Deutungsverſuche, erklärt ſich derſelbe dahin,
eine poſitive Erklärung, die irgendwie genügen würde, nicht
geben zu können. Sein kurzer Bericht hebt mit allem Rechte
hervor, daß die in Urkunden des XJV. Jahrh. vorkommende
Kirche, welche früher den Namen St. Martins-Kirche führte,
aber auch St. Maria geheißen zu haben ſcheint, ihrem Urſprunge
nach einer bedeutend frühern Zeit — wie die Redaction an-
merkt, wohl dem XJ. Jahrh. — angehört habe. Der Bau
ſelbſt, heißt es weiter, in ſeiner gegenwärtigen Beſchaffenheit,
iſt jüngern Datums, und dürfte aus ſeinem alterthümlichen,
vielleicht früheſten Beſtand nur das Portal mit ſeinem räthſel-
haften Bildwerke bewahrt haben.
Jch unterfange mich nicht, zu verſprechen, daß dem folgen-
den Aufſatze es gelingen werde, ein jede Einzelnheit aufhellendes
Licht über die Compoſition zu verbreiten. Mit zuverſichtlicher
Behauptung gehe ich aber von der Anſicht aus, daß der Schlüſſel
nirgend anders geſucht werden müſſe, als da, wo er für alle
anderen Portalverzierungen der mittelalterlichen Kirchen gefunden
wird — nämlich in dem Kreiſe der bibliſchen Symbolik, aus
welchem die vielfachen Darſtellungen entlehnt wurden, wodurch
der in das Gotteshaus Eintretende über die Bedeutung des-
ſelben belehrt, und auf die wichtigſten Lehrſätze des Chriſten-
thums hingewieſen wird, die er für die Gewinnung ſeliger
Unſterblichkeit zu beherzigen hat.
Den Mittelpunet des Giebelfeldes nimmt eine geometriſche
Figur ein, welche ſehr häufig, ſowohl bei der Verzierung chriſt-
licher Kirchenbauten, wie auf Denkmälern der Plaſtik, zwar mit
mehrfachen Modificationen, die aber das urſprüngliche Schema
weſentlich feſthalten, ſich wiederholt. Bei dem Bildwerk zu
 
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