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3. Die Ausgabe von Johann Georg Ebeling 1666/67, die erste gesammelte
Ausgabe von Gerhardts Liedern, bringt 26 seiner Lieder zum erstenmal und ist
demnach für diese 26 zweifellos die maßgebende Quelle. Or. August Ebeling nimmt

an, daß Ioh. G. Ebeling diese
Lieder von Gerhardt direkt empfing,
und dies ist auch das wahrschein-
lichste.
Wie sind nun diese Urquellen
zu bewerten? Zunächst werden
diese Einzeldrucke für die 16 be-
treffenden Lieder maßgebend sein
müssen, jedenfalls für 11 davon,
für die sie überhaupt die einzige in
Betracht kommende Quelle sind.
Die andern 5 finden sich bei Ioh.
G. Ebeling und zwar mit so ver-
schwindend wenigen und gering-
fügigen Abänderungen, daß sie für
die Zuverlässigkeit des Ebelingschen
Textes ein gewichtiges Zeugnis
ablegen, zumal die Abweichungen
sehr wohl Korrekturen von Ger-
hardts eigener Hand sein können.
Was die Lraxis pietatis
rneliea anbelangt, so ist sie keine
Redaktion von Gerhardtliedern,
sondern ein Gesangbuch, das die
Lieder verschiedener Liederdichter
vereinigt. Nun haben von alters
her die Zusammensteller von Ge-


Markuskirche Ernte Relief-Intarsie
Entworfen von R. Pelin

sangbüchern keine peinliche Rücksicht darauf genommen, die Originaltexte ganz genau
wiederzugeben, vielmehr erschien es ihnen Bedürfnis, da und dort (vermeintlich)
bessernde Hand anzulegen. Daß die Praxis den unverfälschten Gerhardttext bieten
würde, dafür liegt keinerlei Beweis vor, ja nicht einmal irgendein Anhaltspunkt. Wir
haben in der Praxis von 1648 (?) bis 1661 lediglich die, soweit bisher bekannt, Erstdrucke
von 89 Gerhardischen Liedern; das beweist aber zunächst nichts für die Zuverlässigkeit
ihrer Texte. Wohl aber liefert die Praxis selber einen zweifellosen Beweis dafür,
daß es ihr um den unveränderten Originaltext rein gar nicht zu tun war; denn schon
die Praxis von 1633 bringt von den in der Praxis 1648 erstmals gedruckten 18
Gerhardtliedern nur ein einziges unverändert wieder, während sie bei den 17 andern

in nicht weniger als 81 Fällen von ihrem 1648 er Text abweicht! Und diese Praxis
von 1653, die an ihren früher gebrachten Gerhardttexten so maßlos änderte, soll nun
wieder für 64 Gerhardtlieder maßgebend sein, und wir sollen ohne weiteres vertrauen,
daß sie uns in ihnen die unverfälschten Originaltexte bietet? Die späteren Ausgaben
der Praxis bringen immer wieder neue Textänderungen, die kein Fachmann als
von Gerhardt selber herrührend ansieht.
Es ist sonst allgemein der Brauch, und zwar ist das auch das einzig Richtige,
nicht ein Gesangbuch, sondern die älteste Spezialausgabe der Lieder eines Dichters
als zuverlässigste Quelle für die Originaltexte desselben anzusehen, und es ist kein
triftiger Grund vorhanden, bei Gerhardt eine Ausnahme zu machen.
Wie steht es nun aber mit der Ausgabe von Johann Georg Ebeling? Er ist
der erste, der Gerhardts Lieder gesammelt herausgab. Seine Begeisterung und hohe
 
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