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von 1667 der Umstand, daß ihre Lesarten fast durchweg besser und poetisch höher
stehend sind als die der Praxis pietatis msliea von 1648 (?) und 1653. Wenn
also je die zweifelhafte Annahme Geltung behalten sollte, daß die Praxis unver-
änderte Originaltexte Gerhardts biete, da wo sie diese Originaltexte erstmals bringt
(denn die späteren Aenderungen sind unleugbar), so würde die größte Wahrschein-
lichkeit dafür sprechen, daß Gerhardt selber die Verbesserungen vornahm, die Ioh.
Georg Ebeling in seiner ersten Berliner Ausgabe von 1667 bringt, und die tatsächlich
Verbesserungen sind. Welcher Dichter bessert nicht an seinen eigenen Texten wenigstens
einmal?
Unter keinen Umständen darf aber der Wert der Ebelingschen Texte von 1667
so schroff und ganz von der Hand gewiesen werden zugunsten der Praxis pietatis
rneliaa.
Niemand erkennt die zahlreichen Aenderungen der Praxis piotatis melica von
1653 an den 18 Gerhardtliedern, die die Praxis von 1638 (?) brachte, als von
Gerhardt herrührende Verbesserungen an. Wenn nun der Herausgeber der Praxis,
Ioh. Crüger, an diesen 18 Liedern Gerhardts in der Ausgabe von 1653, wie
allgemein anerkannt, eigenmächtig geändert hat, so ist es ganz unwahrscheinlich,
daß er dies bei den 64 anru/1653 neuaufgenommenen Gerhardtliedern nicht gewagt
haben sollte, aus Pietät gegen den Verfasser; denn eine solche Pietät hätte auch
die Aenderungen an jenen 18 Liedern verboten: das ist doch klar! Ueberdies wissen
wir nicht, ob diese 64 Lieder, wenigstens zum Teil, nicht schon in der verlorenen
vierten Ausgabe der Praxis standen. Da nun die Praxis in jeder neuen Auflage
eigenmächtige Textänderungen aufweist, erscheint es ganz zweifellos, daß ihre
Gerhardttexte unter keinen Umständen als unverfälschte Originale angesehen werden
dürfen.
Es ist dringend zu wünschen und zu hoffen, daß die erste Originalausgabe von
Gerhardts Liedern durch Ioh. Georg Ebeling 1667 wieder zu dem ihr gebührenden
Ansehen gelange, damit die Gerhardtschen Liedertexte von Lesarten befreit werden,
die zum Teil entschieden minderwertig, in keinem Fall aber besser sind als der
Ebelingsche Text. W. Mader
S
Der perfekte Kunstkenner
^r>ir möchten in unsere ernsten Spalten auch einmal den Humor ein
^Vwenig hereinblitzen lassen, so etwas wie Fasching. Es ist ja bekannt,
daß da und dort in den Kirchen die Baumeister ihren Witz, wenn auch ver-
steckt, haben walten lassen. Das mag auch uns gestattet sein.
Karl Eugen Schmidt hat im Verlag von W. Spemann, Berlin und
Stuttgart, eine Satire erscheinen lassen, mit dem obigen Titel, als ein
„Vademecum für Kenner, und solche, die es werden wollen".
Ich möchte zur Lektüre dieses köstlichen Büchleins anregen und ohne
Bosheit einige Nüsse zum besten geben, wie sie in dem Büchlein in alpha-
betischer Ordnung kommen.
Aestheten
Vor wenigen Jahren noch war der Kenner verpflichtet, selbst Aesthet
zu sein. Die Hauptleute der Aestheten waren etwa Whistler in London, der
 
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