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Gemäldegruppe zeigen eine ganze Anzahl der landläufigen bunten Repro-
duktionen des Abendmahls die linke Hand des Thomas auf dem Tisch.
Demgegenüber stehen aber sehr gewichtige Zeugen, die von dieser Hand
des Thomas nichts wissen. Da ist vor allem Piero Luinis Kopie in Ponte
Eapriasca, die als die treuste und wertvollste Nachbildung des Meisterwerks
gilt und die die ominöse Hand wegläßt. Ferner zeugt dawider Raphael
Morghens sorgsamer Kupferstich, auf dem Thomas perspektivisch so weit
zurückstehend erscheint, daß er mit der Linken kaum noch den Tisch erreichen
dürfte. Dabei ist zu bemerken, daß Morghen die linke Hand des Thomas
nicht in seinen Stich aufnahm, obwohl sein Vorbild, die Freske zu Eastellazzo
sie enthielt. Endlich weiß auch das Original an der kritischen Stelle nichts
von einer Hand; die schärfste Betrachtung findet an ihr nur die Bruchstücke
eines Tellers und zweier Brote. So bliebe zur Rettung der 26. Hand für
das Original nur die Annahme übrig, daß sie schon ganz früh zerstört und
durch Tischgerät ersetzt worden sei.
Und gerade diese Ansicht hat nun in jüngster Zeit mehrfach bedeutsame
gelehrte Anerkennung gefunden: Strzygowski in seiner Abhandlung „Leonar-
dos Abendmahl und Goethes Deutung" (Goethe-Jahrbuch 1896) und Otto
Hoerth in seinem umfassenden Werk über Lionardos Abendmahl haben sie
gestützt. Für Strzygowski hat allerdings die Behauptung, daß die linke
Hand des Thomas ursprünglich von Lionardo stamme, eine ganz erhebliche
Wichtigkeit: er knüpft an die 24 Iüngerhände auf dem Original eine neue
psychologische Erklärung des Abendmahls. „Dem ich den Bissen eintauchen
und geben werde, der ist's, der mich verrät": dieses Iesuswort hat nach
Strzygowski den Aufruhr unter die Jünger gebracht; alle ihre Hände stnd
sichtbar und sagen: Hier sind wir, wir tauchen nicht mit in die Schüssel.
Dabei nähert sich schon wie magisch gezogen die Linke des Judas der rechten
tzand des Heilands, und über der Schüssel werden sie sich zur unheilver-
kündenden symbolischen Handlung vereinen. Nm dieser Auffassung willen
liegt Strzygowski viel an der linken Hand des Thomas, ihr Fehlen niuß
seinen Erklärungsversuch negativ beeinflussen.* Strzygowski gegenüber ver-
tritt nun Hoerth die alte Goethesche Deutung des Abendmahls, wonach die
Worte Jesu: „Einer ist unter euch, der mich verrät" in dem Ausdruck der
Jünger variiert werden. Hoerth hat also kein Interesse an der Vollzahl der
Hände; und doch behauptet er, daß die linke Hand des Thomas auf dem
Original ursprünglich vorhanden war: sie lag unter der linken Hand des
Jakobus des Aelteren. „Als infolge zunehmender Verderbnis des Originals
die Linke des Thomas verschwand, hielt einer der Restauratoren des Gemäldes
die Reste für Teile der Hand des älteren Jakobus uud zog sie zu dieser,
gewann dadurch aber sechs Finger: bis ein späterer Nebermaler die ganze
Hand des Jakobus tiefer legte Die Thomashand kann schon um die
Mitte des 16. Jahrhunderts im Original nicht mehr existiert haben. Neber-

Hoerth a. a. O. S. 29, 40—42
 
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