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kann sich nur entfalten, wo uneingeengt von ängstlichen Regeln der Stim-
mungsgehalt des produktiven Genies Farbe und Ton gewinnen darf. Calvin
erkennt einen Wert des Lebens nur an, wo es ein zuchtvoller, ehrfürch-
tiger Dienst Gottes wird, die Kunst will das diesseitige Leben verklären und
hat ihren Zweck erfüllt, wenn sie den Geist zum ästhetischen Kräftespiel ge-
bracht. Calvins Leitgedanke ist die Ehre des unsichtbaren Gottes und die
Kunst lebt nur im Sichtbaren und vom Sichtbaren. Dort ist Befreiung von
der Sinnenwelt das letzte Ziel, hier ihre Belebung und Harmonisierung. Dort
regiert der unbeugsame Wille; hier spinnt die Phantasie ihre zarten Fäden.
Und trotz allem ist das Urteil: „Calvins Wesen und jedwede Kunst sind
ausschließende Gegensätze" — ein Vorurteil.
Line geschichtliche Tatsache schon müßte uns vor vorschnellen Schlüssen
warnen. Die holländische Kunst erlebt ihre höchste Blüte zu eben der Zeit,
da der Calvinismus in Holland das Szepter führt. Hier reicht die Erklärung
nicht zu: die Siegesfreude einer glorreichen Nation, die unverbrauchte Kraft
eines kerngesunden Volkstums hätten zusammen mit einer gewaltigen wirt-
schaftlichen Entwicklung den Kulturboden geschaffen, auf dem die Kunst
gedeihen mußte. Denn wo der Calvinismus eindrang, da herrschte er über
das gesamte Leben, da setzte er auch den Geistesbewegungen ihre Grenzen.
Daher mußte die Kunst in der Wurzel irgendwie mit den religiösen Ideen
verwachsen sein. Zum mindesten mußte ihr Daseinsrecht religiös beglau-
bigt sein.
Den Schlüssel aber zu diesem Rätsel, wie Calvinismus und Kunst so
nahe beieinander wohnen konnten, müssen wir doch wohl bei Calvin selbst
suchen. Wir werden deshalb nacheinander untersuchen, welche Stellung
Calvin zum Bilderkult, zur Malerei und Plastik, zur Musik, zur Dichtung
und zur Redekunst eingenommen hat, um mit einer Beurteilung seiner An-
sicht über die Kunst im allgemeinen zu schließen. Calvins Theorie soll
dabei jeweils durch seine Praxis näher erläutert werden.
Die B i ld e r v e r e h r u n g der katholischen Kirche ist Calvin ein
Greuel. Kein Wort ist scharf genug für ihn, den Mißbrauch, der mit
den Bildern getrieben wird, zu verdammen. „Kot und Unflat sind sie,
welche die Heiligtümer Gottes besudeln." Bei der Erklärung von Hesekiel 8,
wo Gott dem Propheten das götzendienerische Eiferbild in seinem Tempel
zeigt, spürt man die leidenschaftliche Erregung Calvins. Wenn die Juden,
sagt er, vor dem Altar ein Idol errichteten, so war es, als ob sie in das
Angesicht Gottes gespien hätten, ja mehr noch, ihre Frechheit kann nur mit
der eines schamlosen ehebrecherischen Weibes verglichen werden. Sofort aber
benutzt er die Stelle zu einem geharnischten Protest gegen den katholischen
Bilderkult. „Denn wir wissen," so ruft er aus, „wie sehr die Papisten prahlen
mit ihren Bildern. Je mehr Bilder sie aber zusammenhäufen, desto mehr
rufen sie den Zorn Gottes hervor." In seinem dogmatischen Hauptwerk,
der „Grundlegung der christlichen Lehre", hat Calvin dem Bilderkult ein
besonderes Kapitel gewidmet unter der Überschrift „daß es nicht erlaubt ist,
kann sich nur entfalten, wo uneingeengt von ängstlichen Regeln der Stim-
mungsgehalt des produktiven Genies Farbe und Ton gewinnen darf. Calvin
erkennt einen Wert des Lebens nur an, wo es ein zuchtvoller, ehrfürch-
tiger Dienst Gottes wird, die Kunst will das diesseitige Leben verklären und
hat ihren Zweck erfüllt, wenn sie den Geist zum ästhetischen Kräftespiel ge-
bracht. Calvins Leitgedanke ist die Ehre des unsichtbaren Gottes und die
Kunst lebt nur im Sichtbaren und vom Sichtbaren. Dort ist Befreiung von
der Sinnenwelt das letzte Ziel, hier ihre Belebung und Harmonisierung. Dort
regiert der unbeugsame Wille; hier spinnt die Phantasie ihre zarten Fäden.
Und trotz allem ist das Urteil: „Calvins Wesen und jedwede Kunst sind
ausschließende Gegensätze" — ein Vorurteil.
Line geschichtliche Tatsache schon müßte uns vor vorschnellen Schlüssen
warnen. Die holländische Kunst erlebt ihre höchste Blüte zu eben der Zeit,
da der Calvinismus in Holland das Szepter führt. Hier reicht die Erklärung
nicht zu: die Siegesfreude einer glorreichen Nation, die unverbrauchte Kraft
eines kerngesunden Volkstums hätten zusammen mit einer gewaltigen wirt-
schaftlichen Entwicklung den Kulturboden geschaffen, auf dem die Kunst
gedeihen mußte. Denn wo der Calvinismus eindrang, da herrschte er über
das gesamte Leben, da setzte er auch den Geistesbewegungen ihre Grenzen.
Daher mußte die Kunst in der Wurzel irgendwie mit den religiösen Ideen
verwachsen sein. Zum mindesten mußte ihr Daseinsrecht religiös beglau-
bigt sein.
Den Schlüssel aber zu diesem Rätsel, wie Calvinismus und Kunst so
nahe beieinander wohnen konnten, müssen wir doch wohl bei Calvin selbst
suchen. Wir werden deshalb nacheinander untersuchen, welche Stellung
Calvin zum Bilderkult, zur Malerei und Plastik, zur Musik, zur Dichtung
und zur Redekunst eingenommen hat, um mit einer Beurteilung seiner An-
sicht über die Kunst im allgemeinen zu schließen. Calvins Theorie soll
dabei jeweils durch seine Praxis näher erläutert werden.
Die B i ld e r v e r e h r u n g der katholischen Kirche ist Calvin ein
Greuel. Kein Wort ist scharf genug für ihn, den Mißbrauch, der mit
den Bildern getrieben wird, zu verdammen. „Kot und Unflat sind sie,
welche die Heiligtümer Gottes besudeln." Bei der Erklärung von Hesekiel 8,
wo Gott dem Propheten das götzendienerische Eiferbild in seinem Tempel
zeigt, spürt man die leidenschaftliche Erregung Calvins. Wenn die Juden,
sagt er, vor dem Altar ein Idol errichteten, so war es, als ob sie in das
Angesicht Gottes gespien hätten, ja mehr noch, ihre Frechheit kann nur mit
der eines schamlosen ehebrecherischen Weibes verglichen werden. Sofort aber
benutzt er die Stelle zu einem geharnischten Protest gegen den katholischen
Bilderkult. „Denn wir wissen," so ruft er aus, „wie sehr die Papisten prahlen
mit ihren Bildern. Je mehr Bilder sie aber zusammenhäufen, desto mehr
rufen sie den Zorn Gottes hervor." In seinem dogmatischen Hauptwerk,
der „Grundlegung der christlichen Lehre", hat Calvin dem Bilderkult ein
besonderes Kapitel gewidmet unter der Überschrift „daß es nicht erlaubt ist,