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tiges zustande gebracht, daß man fast versucht wäre zu sagen: Es lebe
der Kompromiß!
Jetzt ist es aber hohe Zeit, daß ich mich dem Leser zum Führer anbiete
und ihn bekanntmache mit den Sehenswürdigkeiten der Ausstellung. Lieber
Leser, erlaß mir das. Ich würde dich, du würdest mich langweilen. Wähl
dir einen bessern Führer. Oder noch besser: Geh selber nach Düsseldorf,
kauf dir einen Katalog oder auch keinen, und tritt in diese heiligen Hallen
ein. lokroits, nam st tue äsi sunt, das darf doch auch, das darf gerade
vou einer christlichen Kunstausstellung gelten. Ausstellungen wollen nicht
beschrieben, sondern beschaut werden. Bist du, Kunstpilgrim, für guten
Rat empfänglich? Mache dich am Morgen beizeiten auf, ehe die vielen,
welche auch zur Ausstellung kommen wollen, dir den Platz versperren. And
dann wähle den Weg durch den Hofgarten. Anter seinen ehrwürdigen
Baumriesen, im Anblick seiner großen Matten, die nicht unter der täg-
lichen Schere verfeinert werden, sondern ihr Gras wild dürfen wachsen
lassen, bereiten dich großartige Naturperspektiven vor auf die Kunstperspek-
tiven. Wenn dein Auge sich vollgesogen hat von der Schönheit göttlichen
Schassens, dann ist es ruhig und klar geworden, die Gebilde von Menschen-
hand zu betrachten.
Als mich der liebenswürdige Vorsitzende unserer Ausstellungskom-
mission durch die Räume führte — es war nach der Eröffnung, Hand-
werker waren beflissen, die letzte ordnende Hand anzulegen — sagte er
zu mir: „Eine Fülle von wertvollen Keimen künftigen Kunstschaffens!"
Das ist in kurzen Worten die Bedeutung der Ausstellung. Es gibt in
sich völlig abgeschlossene Epochen künstlerischer Betätigung. Nehmen wir
die Gotik oder das Barock. Da ist keine Weiterbildung mehr denkbar. Wer
sich heute ihrer bedient, ist kein Schöpfer, sondern ein Nachbildner. Im
günstigen Fall denkt er große Gedanken vergangener Zeiten noch einmal.
Dabei aber steht er fortwährend in Gefahr, störende Anachronismen
zu begehen und erst noch von seinen Meistern der Stümperei überführt
zu werden. Es ist eine nicht leicht zu überschätzende Errungenschaft unserer
Zeit, die nach vielen Seiten hin den Typus des Äbergangs trägt, daß sie
nicht auf eine Stilrichtung eingeschworen ist, sondern freie Bahn jedem ehr-
lichen Wollen und echten Können läßt. Wer sich von diesen Bahnen verliert,
rettet sich, sofern er was ist, bald von selbst wieder auf sie zurück. Anver-
standen und verkannt sein ist in unseren Tagen mit ihrem gesunden Sinn
fürs Wirkliche, fürs Vernünftige kein Zeichen wahrer Größe mehr. And
der sich bis in den Sumpf verliert, bleibt eben drin stecken; niemand erbarmt
sich seiner, höchstens daß ihm einer den Star sticht, ihn von seinem ver-
fehlten Beruf überzeugt und ihm den guten Rat gibt, den Pinsel mit einem
ungefährlicheren Handwerkszeug zu vertauschen. Es ist schade, daß man's
nicht gewagt hat, dem Ansinnen zu trotzen, eine ganze Reihe von den
Verstiegenheiten der Berliners Louis Corinth aufzunehmen. Derselbe Maler,
der neuestens (Berliner Sezession!) in widerlichem Fleische schwelgt, bietet
 
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