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Den vollendetsten Ausdruck für dieses Glück in der Religion,
für diesen unreflektierten Ausdruck des Inhaltes der Seligpreisungen, hat
unser Hans Thoma gefunden, da er das Manuesalter erreicht — es
war 1878: da malte er rückschauend: „Großmutter und Enkel". Im
Schwarzwaldtal am Sonntagmorgen — sitzen die beiden ganz still abseits
im äußersten Winkel des Gartens — abseits von der Welt. Der Hans horcht.
Die Großmutter liest und deutet die Bibel. Klein Vöglein auf dem Zaune
pfeift dazu. Die fernen Wolken wandern übers stille Tal — den Höhen
zu. Die Bäume am Zaun sind im ersten Grün. Der Hans ist zwischen
schwerem Denken und Fröhlichkeit. Die Großmutter ist nur Ernst und
Andacht — Alter und Jugend. — Die beiden gehören zusammen. Sie
stehen dem Glauben am nächsten — das Alter zum Ausgang — die Jugend
zum Eingang.
Um 1878 hat nun auch Thoma — er war von München, wo er mit
Böcklin und Steinhaufen zusammen war, nach Frankfurt an den Main
gewandert — schon die Meisterschaft des Pinsels gewonnen. In silberigen
Lichtern malt er die Sonne, wie seine Meister in Paris — aber er löst die
Linien nicht auf — er bleibt sein Leben lang der Stilist, der im hellsten
Freilicht die Linie nicht verwischen läßt.
Der schwerblütige Alemanne, der Blutsverwandte Böcklins, kann das
Denken bei seinen Bildern nicht lassen, wenn es auch heute noch so ver-
pönt ist. Man fühlt allen diesen Bildern an, daß er wirklich den Mut
hatte, die vielen schönen Bilder, die in seiner Seele schlummerten und
die noch keiner gemalt hatte, zu malen. Daß Arnold Böcklin da manchmal
über die Staffelei hereinschaut, ist nicht verwunderlich. Daher von Ab-
hängigkeit Thomas von Böcklin oder von literarisch beeinflußter Kunst zu
reden, halte ich für ungerechtfertigt. Man will ja jetzt auch Böcklins Kunst
als Kunst zweiten Grades einschätzen — als von literarischen Gedanken,
nicht von rein malerischen Ideen getragen. Es gibt allerdings eine literarisch
beeinflußte Kunst zweiten Grades — die Kunst der reinen Illustration einer
Dichtung. Eine Kunst zweiten Grades bleibt die Illustration dann, wenn
sie nur Szenen darstellt um der Erzählung willen. Aber auch in der
szenischen und historischen Darstellung erhebt sich die Illustration zur vollen
Kunst, sobald die Mittel ins rein Künstlerische und der dargestellte Vorgang
ins rein Menschliche oder rein Geistige erhoben sind. Von diesem natür-
lich kreatürlichen Standpunkt aus sind z. B. auch Thomas Nibelungen-
darstellungen nicht bloß literarisch illustrativ, sondern objektiv künstlerisch
zu werten.
Außer der Illustrationskunst, in welcher Kunst nur Mittel zum Zweck
sein kann, gibt es aber eine Kunst, welche im brüderlichen Verein mit der
Dichtung ihr Ohr und Auge nach denselben Klängen und Höhen erhebt,
wo die allgemeinen Menschheitsideen klingen und visionär sich offenbaren.
So haben Böcklin, Hans Thoma, Klinger, Michelangelo und Dürer Kunst-
werke geschaffen, bei denen dargestellte Idee eine Einheit von Dichtkunst
 
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