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Hausen in gewissen Zeiten ihrer Entwicklung dasselbe Problem malten.
Inwieweit hier religiöse Entwicklungsprozesse vorliegen, soll nicht untersucht
werden. Jedenfalls ist der Nikodemus-Kops identisch mit dem Kopf des
Hans Thoma. Auch hier ist die Situation auf den einfachsten Begriff ge-
bracht. Jede religiöse Phrase fehlt. Der Christustypus ist nach der Seite
des Denkers entwickelt. Der Schönheitsbegriff ist beibehalten. Vom Naza-
renertum keine Spur. Eine eigene Schöpfung — die im Kopf des Künstlers
ein gewisses Widerspiel findet. — Malerisch eine der ersten Leistungen. In
Hell und Dunkel etwas von Rembrandt. In der Symbolisierung mit den
Lichtstrahlen etwas katholisierend — in den Typen aber rein protestantisch.
Die Aufgaben, die Thoma in Frankfurt erwuchsen, gingen nicht nach
der religiösen Seite. Aber den großen Bildern bleibt immer jener stille
religiöse Unterton, von dem ich schon sagte, ob es „Die Gefilde der
Seligen" sind (1879) oder „Meineid rächt sich" (Fresko aus dem
Wagnerzyklus, 1883), „Einsamer Ritt" (1889) — der Ritter, der in
voller Wehr durch Feindesland reitet, wafsenbereit und seiner Kraft ver-
trauend. Dann „Die Heilige Cäcilie" — zum erstenmal steigt die
erhabene Alpenwelt aus dem Bilde auf. — 1897: „Adam und Eva" —
mehr dekorativ empfunden als dramatisch. .
In den neunziger Jahren klingt der Märchenton immer deutlicher
mit. Märchen- und Himmelswelt verband Thoma in der bemalten Litho-
graphie: „Lngelswolken": ein Puttenkonzert auf den Wolken, etwas
für Träumer, die gern im Rasen liegen am Sonntag und den Wolken nach-
gucken. Deutsche religiöse Romantik atmet das weithin berühmte Bild,
das in farbigem Steindruck in vielen deutschen Häusern hängt und in
seinen blauen und violetten Tönen einen großen Zauber hat —: „Der
Hüter des Tales". Ein Sankt Georg mit dem Heiligenschein, über dem
Tale auf hoher Wacht, schirmend, den Sternen nahe, in der Nacht das
Friedensbanner über die Täler und Berge, die Hütten und die Matten
haltend. Das Bild ist eine Inspiration, die mit Thomas Seelenverwandt-
schaft mit Richard Wagner Zusammenhängen mag. Wer zu diesem Bilde
nicht die Gedanken der Gralsritterschaft tragen mag, mag an das Lied
denken: „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen". Jeder
Versuch, dieses Lied zu personifizieren, ist gescheitert. In diesem „Hüter
des Tales" finde ich den relativ adäquatesten Ausdruck für das Lutherlied.
Die fehlende Symbolik der Burg, soweit sie nicht durch den geharnischten
Ritter angedeutet erscheint, ist ersetzt durch die künstlerisch noch grandioser
wirkende schirmende Sternenwacht. Der Gedanke der schirmenden Burg und
der wachenden Sterne berührt sich aufs engste. In den Sternen ist die Be-
ziehung zu Gott gesteigert. Der umpanzerte Ritter auf hohem Felsen ist
das persongewordene Bild der ragenden Burg. Der archaisierende Stil
der Panzerung und der Physiognomie des Ritters löst auch einen zeit- und
kunstgeschichtlichen Anklang an die wehrhafte Zeit des Lutherliedes aus.
Mit diesem „Hüter des Tales" sind wir in den reichen Kreis der
 
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